Im vergangenen Winter übertrafen sich Fahrer und Ingenieure im Ducati-Lager gegenseitig mit Lobeshymnen auf die neue Desmosedici GP22. Schon nach den Testfahrten im November 2021 jubelte Francesco Bagnaia, dass sein Arbeitgeber mit der Konstruktion des neuen Motorrads ein ohnehin perfektes Bike noch einmal verbessert hätte. Jack Miller sah in der Maschine das Potenzial, die Saison 2022 zu dominieren.

Vergangene Woche legte diesbezüglich Technikchef Gigi Dall'Igna nach, der verriet, dass man in der Entwicklung des neuen Motors noch mehr Leistung gefunden habe. "Wir haben ganze Arbeit geleistet", sagte Dall'Igna stolz. Worte, die angesichts der Ducati-Ergebnisse im Saisonfinish 2021 durchaus respekteinflößend klingen. Vier der letzten sechs Rennen konnte man gewinnen, zehn von 18 möglichen Podiumsplatzierungen holte man in diesem Zeitraum.

In Sepang fand nun am Wochenende die erste tatsächliche Bewährungsprobe 2022 stand. Ducati holte zwar durch Enea Bastianini die Bestzeit, allerdings sitzt der auf einer Vorjahresmaschine. Die aktuellen Bikes waren weiter hinten zu finden: Jorge Martin auf P3, Francesco Bagnaia auf Platz sechs und Johann Zarco, Luca Marini und Jack Miller gar nur auf den Positionen neun, elf und 14.

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Ist die 2022er-Ducati also doch nicht so gut wie erwartet und die 2021er-Maschine vielleicht sogar das bessere Motorrad? Auch wenn die Zeitenliste das aktuell nahelegt, würde man mit dieser Annahme einem Trugschluss aufsitzen. Dass Vorjahresmaschinen ihren Nachfolgern bei den Wintertestfahrten überlegen sind, ist in der MotoGP nichts Neues. "In den ersten Saisonrennen können wir vielleicht noch gut mithalten, danach weiß ich es nicht so recht", zeigte sich auch Testspitzenreiter Bastianini realistisch.

Ducati und die Sache mit dem Potenzial

Ducati-intern ist man von der Überlegenheit der GP22 also ziemlich überzeugt. Wie aber schlägt sie sich im Vergleich mit der Konkurrenz? Hersteller wie Suzuki scheinen ihr Testprogramm für 2022 schon mehr oder weniger erfüllt zu haben. "Ich fühle mich bereit für das erste Rennen", sagte etwa Alex Rins in Sepang. Die Ducatisti klangen da anders. "Wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen", verriet Bagnaia. "Wir müssen dem Bike noch einige Kinderkrankheiten austreiben", bestätigte Jack Miller.

Michele Pirro bereitete die GP22 beim Shakedown vor, Foto: MotoGP.com
Michele Pirro bereitete die GP22 beim Shakedown vor, Foto: MotoGP.com

Kommentare die erst einmal weniger positiv klingen als die aus dem Suzuki-Lager, allerdings muss man sich den Zweck von Testfahrten in Erinnerung rufen. Jack Miller dazu: "Wir brauchen nicht das beste Bike beim ersten Test, wir brauchen das beste Bike beim ersten Rennen." Und diesbezüglich scheint die Ducati auf einem guten Weg. Mit der GP22 hat man noch viel Luft nach oben, so die einhellige Meinung. Der Hersteller aus Borgo Panigale ist dafür bekannt, über den Winter stets größere Veränderungen an das Motorrad zu bringen als viele Konkurrenten. Dass es da länger braucht, bis das Bike ideal funktioniert, ist nur logisch.

Ein Indiz für den erkennbaren und noch bevorstehenden Aufwärtstrend sind die Zeiten aus Sepang. Die fünf Piloten auf der GP22 (Bagnaia, Miller, Martin, Zarco, Marini) steigerten sich in ihren persönlichen Bestzeiten von Samstag auf Sonntag um durchschnittlich 1,378 Sekunden. Die fünf schnellsten Konkurrenten (Bastianini, Aleix Espargaro, Rins, Vinales, Quartararo) um gerade einmal 0,349 Sekunden. Die Erkenntnis ist also klar: Schafft es Ducati, das volle Leistungsvermögen seiner GP22 zu entfalten, wird man in dieser MotoGP-Saison nur schwer zu schlagen sein. Die Konkurrenz ist gewarnt.