Valentino Rossi und Franco Morbidelli sind eines der ungleichsten Paare der MotoGP-Saison 2021. Während der 42-jährige Altmeister in vier Rennen nur vier Punkte holte, steht Franco Morbidelli nach seinem Podium in Jerez bei 33 Zählern und damit bei mehr als der achtfachen Punkteausbeute seines Teamkollegen. Ein größeres Gefälle innerhalb eines Teams gibt es nur bei Aprilia (A.Espargaro vs. Savadori 35:2).

Für Aufregung sorgt bei vielen Fans der Umstand, dass der deutlich schwächer performende Rossi von Yamaha vollwertiges Werksmaterial bekommt, während Morbidelli mit deutlich abgespecktem Altmaterial ausgestattet wird - und das, obwohl der Italiener amtierender Vizeweltmeister ist und somit 2020 bester Yamaha-Fahrer war.

Ein Umstand, der auch an Morbidelli nagt, wie er in der Pressekonferenz nach dem Spanien-GP offen zugab: "Ich habe mit Lin (Jarvis; Yamaha-Sportchef) über meine Gedanken und die generelle Situation gesprochen. Ich war sehr offen zu ihm und er war sehr offen zu mir. Er hat Verständnis für mich, aber wir kamen zu dem Schluss, dass meine Situation aufgrund der Verträge und wegen der besonderen Corona-Situation sehr unglücklich ist. Ich hoffe aber, dass irgendwann in meinem Leben das Glück wieder zu mir findet."

Im Laufe des Wochenendes wendeten sich unzählige Fans an Motorsport-Magazin.com mit der Frage, warum das Petronas-Team nicht einfach Valentino Rossis Full-Factory-Bike an Franco Morbidelli weitergibt und der 42-jährige Italiener stattdessen mit der alten Yamaha weiterfährt. Folgende Faktoren spielen dabei eine Rolle:

Faktor 1: Das Reglement

Laut MotoGP-Regelwerk ist ein Tausch schlichtweg nicht möglich. Punkt 2.4 des Technischen Reglements legt fest, dass alle Teile auf den entsprechenden Fahrer homologiert werden müssen und nicht auf das jeweilige Team. Das betrifft vor allem den Motor und die Verkleidung. Somit meldete der Petronas-Rennstall zum Stichtag vor Saisonstart jeweils unterschiedliche Motoren und Aero-Elemente für seine zwei Piloten bei der FIM an, die nun nicht mehr getauscht werden dürfen.

Die im Vorjahr beschlossenen Corona-Regelungen kommen für Morbidelli erschwerend hinzu: 2021 darf Yamaha (wie auch Honda, Ducati und Suzuki) nur jene Motoren einsetzen, die für den Saisonstart 2020 homologiert wurden. Für Morbidelli wurde damals ein Aggregat gemeldet, das im Grunde auf dem oft kritisierten Motor aus 2019 basiert. Die exakte Spezifikation ist zwar ein Betriebsgeheimnis von Yamaha, doch ein Blick auf die Topspeed-Werte zeigt, dass Morbidelli einen klaren Nachteil gegenüber seinen Markenkollegen hat.

Deutlich zu sehen: Aerodynamische Unterschiede zwischen Morbidellis und Rossis Yamaha (beide Bilder aus Jerez), Foto: Petronas Yamaha
Deutlich zu sehen: Aerodynamische Unterschiede zwischen Morbidellis und Rossis Yamaha (beide Bilder aus Jerez), Foto: Petronas Yamaha

In den vier bisherigen Rennen hatte er unter den Yamaha-Fahrern immer den schlechtesten Topspeed-Schnitt (Mittelwert der besten fünf Topspeeds) im Rennen. Im Vergleich mit dem gesamten MotoGP-Fahrerfeld landete der Vizeweltmeister in Portimao auf dem letzten Platz, in den drei anderen Rennen lag lediglich Lorenzo Savadori hinter ihm (gewertet werden nur Fahrer, die mind. 5 Runden absolviert haben).

Ein Upgrade für Morbidelli wäre allerdings für 2021 erlaubt gewesen: Das Reglement schreibt lediglich vor, dass nur Motoren eingesetzt werden dürfen, die vom Hersteller bereits für 2020 für irgendeinen seiner Fahrer homologiert wurden. Explizit erlaubt ist - insofern unterschiedliche Spezifikationen homologiert wurden - dass diese unter den Fahrern neu verteilt werden dürfen. Yamaha hätte somit den neuesten Motor an alle vier Piloten vergeben können, so wie etwa bei Honda Taka Nagakami im Winter ein Upgrade auf die neueste Version bekam. Dieser Schritt hätte allerdings zum Stichtag vor Saisonstart erfolgen müssen, worauf Yamaha verzichtet hat. Das führt uns zum zweiten Faktor.

Faktor 2: Die Verträge

Warum behandelt Yamaha seinen Vizeweltmeister Franco Morbidelli so stiefmütterlich? Das Problem hierbei sind die Verträge zwischen den Japanern, dem Petronas-Team und dem Italiener. Bereits am 13. Juli 2020 verkündete der malaysische Rennstall, dass der MotoGP-Vertrag mit Morbidelli um zwei Jahre bis zum Saisonende 2022 verlängert wird. Zu diesem Zeitpunkt war der Saisonstart noch nicht erfolgt und Morbidelli hatte noch keinen einzigen Podestplatz auf seinem Konto.

Üblicherweise ist in derartigen Verträgen bereits die Art der Unterstützung durch das Team bzw. den Hersteller festgeschrieben. Da der Deal von Petronas selbst - und nicht vom Yamaha-Konzern - verkündet wurde, sehen viele im MotoGP-Paddock es als gesichert an, dass Morbidelli seinen Vertrag direkt mit dem Team geschlossen hat und nicht mit Yamaha.

Mittlerweile ist es in der MotoGP üblich, dass ein Hersteller Verträge mit mehr als zwei Fahrern schließt und diese dann außerhalb des Werksteams in Satelliten-Rennställen parkt. Diese Praxis hat Yamaha bei Valentino Rossi angewandt. Dessen Vertrag für 2021 wurde erst am 26. September verkündet, weil zuvor die Anwälte von Rossi, Yamaha und des Petronas-Konzerns eine für alle zufriedenstellende Einigung finden mussten.

Die Einigung: Rossi bleibt weiterhin Angestellter von Yamaha, kassiert sein Gehalt aus Japan und erhält vertraglich gleichwertige Unterstützung wie die beiden Fahrer des Werksteams zugesichert. Allerdings ist er nicht mehr Teil des Factory-Teams, sondern wird im Petronas-Rennstall eingesetzt. Dass er nur einen Ein-Jahres-Vertrag erhielt, begründete Yamaha-Sportchef Lin Jarvis unter anderem damit, dass man ihm für 2022 keinen Platz bei Petronas zusichern könne, da der Vertrag zwischen Yamaha und den Malaysiern mit Saisonende 2021 ausläuft.

Jarvis und Razali: Die Verhandlungen um die Weiterführung der Kooperation werden hart, Foto: LAT Images
Jarvis und Razali: Die Verhandlungen um die Weiterführung der Kooperation werden hart, Foto: LAT Images

Faktor 3: Petronas vs. Yamaha

Dass Morbidelli im Winter - als er bereits Vizeweltmeister und bestplatzierter Yamaha-Fahrer in der WM war - kein Upgrade auf gleichwertiges Material bekam, liegt auch im Umgang der Japaner mit ihren Kunden. Für besseres Material bittet Yamaha regelmäßig zur Kasse. So verkündete das Petronas-Team etwa im Herbst 2019, dass man dank finanzieller Zuschüsse des Hauptsponsors eine Full-Factory-M1 für Fabio Quartararo von Yamaha loseisen konnte. Dass der Franzose im Vorjahr gleichwertiges Material bekam, liegt also weniger an den sportlichen Erfolgen seiner Rookie-Saison, denn an den Millionen des Petronas-Konzerns.

Teamdirektor Razlan Razali brachte die Beziehung zwischen Yamaha und seinem Rennstall im Rahmen der Teampräsentation vor Saisonstart auf den Punkt: "Wir haben Yamaha im vergangenen Dezember erklärt, dass wir uns bei ihnen nur wie ein zahlender Kunde fühlen, aber nicht wie ein echter Partner. Wir haben ihnen auch erklärt, dass wir das Gefühl haben, dass die Initiative zu engerer Zusammenarbeit eher von unserer Seite ausgeht als von deren."

Daher kam es bislang auch noch zu keiner Einigung über eine Verlängerung der Zusammenarbeit über 2021 hinaus. "Seit Dezember des Vorjahres liegt uns ein Vertragsvorschlag von Yamaha vor, aber vor Mai oder Juni rechne ich nicht mit einer Entscheidung", so Razali, der hinzufügte: "Wenn ein anderer Hersteller an unsere Tür klopft, werden wir zuhören. Unsere Türen sind immer offen und wir sehen uns alle Möglichkeiten an."

Wie geht es mit Morbidelli weiter?

Eine Chance auf besseres Material hat er in der laufenden Saison nicht mehr. Am Motor und der Aerodynamik seines Motorrads darf nichts mehr verändert werden. Bei den restlichen Teilen, wie etwa der Schwinge oder dem Rahmen, könnte Yamaha grundsätzlich zwar nachbessern, aufgrund der Verträge haben aber die drei direkt beim Werk angestellten Fahrer Quartararo, Vinales und Rossi Vorrang.

Dass Yamaha wenig Interesse an der Weiterentwicklung eines alten Motorrads hat, liegt auf der Hand. Am Sonntag brachte es Jack Miller in der gemeinsamen Podium-Pressekonferenz mit Morbidelli auf den Punkt: "Dein Motorrad ist zwei Jahre alt, du hast morgen beim Test ohnehin nichts zu tun." In der Saison 2021 kann Morbidelli bloß versuchen, das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen.

Für 2022 gibt es aber Hoffnung. Das Petronas-Team strebt nach größerer Unterstützung durch Yamaha, so wie sie etwa KTM Tech3 zukommen lässt oder Ducati dem Pramac-Team. Teil des neuen Vertrages ab kommendem Jahr könnte bessere Unterstützung für Morbidelli sein, dessen starke Leistungen die Yamaha-Chefetage kaum noch übersehen kann.

Im Falle einer Trennung zwischen Petronas und Yamaha würde Morbidelli zwischen den Stühlen sitzen. Er verfügt für 2022 zwar über einen Vertrag mit den Malaysiern und könnte von einem Wechsel des Teams auf ein anderes Fabrikat (Suzuki?) profitieren. Andererseits könnte er auch selbst eine Veränderung anstreben und etwa in Valentino Rossis VR46-Team anheuern, wo er vielleicht sogar wieder auf Yamaha (dann mit Full Factory Support?) unterwegs wäre. Diese Option ist aber von Ausstiegsklauseln abhängig oder von einer Einigung eines potenziellen neuen Arbeitgebers mit dem Petronas-Rennstall.

Bis dahin muss der MotoGP-Vizeweltmeister die guten Momente genießen, wie jenen am vergangenen Sonntag in Jerez, als er es zum ersten Mal in diesem Jahr auf das Podest schaffte. Sein Fazit nach dem Rennen, liest sich beinahe wie ein Leitspruch für die gesamte Saison: "Uns umgibt der Schatten der Frustration, aber in Momenten, in denen ich gute Ergebnisse hole, bin ich dennoch glücklich."