Die MotoGP-Saison 2023 biegt in ihre entscheidende Phase ein. Beginnend mit dem Indonesien-Grand-Prix stehen sechs Grands Prix innerhalb von sieben Wochen an. WM-Leader Francesco Bagnaia und Jorge Martin trennen vor dieser hektischen Schlussperiode nur drei Punkte. Mit 54 Zählern Rückstand darf sich Marco Bezzecchi noch theoretische Chancen ausrechnen, aller Voraussicht nach wird der WM-Fight aber zu einem Fall für zwei.

Einen Titel-Showdown zwischen zwei Fahrern desselben Herstellers erlebt die MotoGP nur sehr selten. Zuletzt gab es einen solchen 2015 zwischen den Yamaha-Stars Valentino Rossi und Jorge Lorenzo. Nun steht ein solcher im Ducati-Lager bevor, allerdings mit besonderen Vorzeichen. Denn während Bagnaia für das offizielle Werksteam an den Start geht, fährt Martin für den Kundenrennstall von Pramac - ein Nachteil für den Spanier?

Jorge Martin fährt seit 2021 für Pramac Racing, Foto: LAT Images
Jorge Martin fährt seit 2021 für Pramac Racing, Foto: LAT Images

Paolo Ciabatti, als Ducati-Sportdirektor verantwortlich für den gesamten Kader des italienischen Herstellers, sieht keinen Grund für diese Bedenken. "Das Pramac-Team hat dasselbe Motorrad und Fahrer, deren Verträge direkt mit Ducati abgeschlossen sind. Sie haben alles, was sie sich wünschen. Man muss sich nur Peccos Motorrad und Jorges Motorrad ansehen. Beide haben etwa die neuen Flügel an der Federgabel", erklärt er gegenüber 'AS'.

Tatsächlich verfügen Bagnaia und Martin über die exakt selbe Ausführung der Ducati Desmosedici GP. Beide fahren das 2024er-Modell mit identischer Aerodynamik und Motorenspezifikation. Auch ein Update im Bereich des Holeshot-Devices ging an beide Fahrer. Generell gilt Ducati als Vorreiter im Umgang mit seinen Kundenteams. Als vor einigen Jahren andere Hersteller ihren Satellitenrennställen noch Altmaterial lieferten, rüstete Ducati die Pramac-Mannschaft bereits mit neuester Technik aus. Daran hat sich nichts geändert.

Pramac und Ducati blicken auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück: Hier Alex Hofmann in Barcelona 2007, Foto: Pramac Racing
Pramac und Ducati blicken auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück: Hier Alex Hofmann in Barcelona 2007, Foto: Pramac Racing

"Viele Leute fragen mich, wie es sein kann, dass ein Kundenteam das Werksteam schlägt. Die Antwort ist, dass Pramac eigentlich kein Kundenteam ist", erläutert Ciabatti. "Sie haben lediglich andere Sponsoren, aber die Bikes sind identisch, die Fahrer haben Ducati-Verträge und sieben Ducati-Angestellte arbeiten für das Team. Wenn wir Angst davor hätten, dass sie gewinnen, würden wir sie nicht so gut behandeln. Dann würden wir ihnen alte Motorräder geben und ihre Fahrer nicht bei uns anstellen."

Eine Bevorzugung von Francesco Bagnaia oder gar Stallorder im Saisonfinish müsse Martin demnach nicht befürchten: "Das Wichtigste für uns ist, dass eine Ducati gewinnt. Natürlich hat das Werksteam gewisse Verpflichtungen gegenüber den Sponsoren. Deshalb wäre es mir persönlich lieber, wenn Pecco gewinnt, aber wenn es Jorge schafft, weil er einfach besser ist… Er hat ein Factory-Bike und ist ein Factory-Pilot."

Jorge Martin: Erster Kunden-Champion der Geschichte?

Setzt sich Jorge Martin am Ende der Saison tatsächlich gegen Francesco Bagnaia durch, wäre er der erste MotoGP-Weltmeister aus einem Privatrennstall oder 'Independent Team', wie es im offiziellen Wortlaut der Motorrad-Weltmeisterschaft heißt. Einige Privatiers kamen dem Titelgewinn sehr nahe: Sete Gibernau wurde 2003 und 2004 Vizeweltmeister auf der Gresini Honda, ebenso Marco Melandri 2005. 2020 musste sich Franco Morbidelli auf der Petronas SRT Yamaha nur Joan Mir geschlagen geben. Der ganze große Coup gelang einem Satellitenteam bis heute aber nicht.