Anfang September schien die MotoGP-Weltmeisterschaft im Jahr 2023 längst entschieden: Francesco Bagnaia lag nach seinem zweiten Platz im Sprint von Barcelona ganze 66 Punkte vor seinem dichtesten Verfolger Jorge Martin. Nur einen Tag später sollte der Highsider des amtierenden Champions im Katalonien Grand Prix jedoch einen Wendepunkt darstellen. Knapp vier Wochen sind seither vergangen und lediglich drei mickrige Zähler trennen Bagnaia und Martin noch.

Damit darf sich die Königsklasse des Zweiradsports nicht nur über einen unverhofften WM-Kampf freuen, sondern auch über die engste Weltmeisterschaft der MotoGP-Geschichte. Seitdem das aktuelle Punktesystem im Jahr 1993 eingeführt wurde, lagen die beiden bestplatzierten Fahrer nach den ersten 14 Rennwochenenden einer Saison nie enger zusammen. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag Fabio Quartararo nach 14 Grand Prix noch 32 Punkte vor Aleix Espargaro und 44 Zähler vor dem späteren Weltmeister Bagnaia.

Der WM-Kampf 2022 war nach 14 Rennen weniger spannend als in diesem Jahr, Foto: LAT Images
Der WM-Kampf 2022 war nach 14 Rennen weniger spannend als in diesem Jahr, Foto: LAT Images

Die bislang engste MotoGP-WM nach 14 Rennwochenenden war die Corona-geprägte Saison 2020, als Joan Mir nur 13 Punkte vor Franco Morbidelli Weltmeister wurde. In jenem Jahr wurden nur 14 Grand Prix ausgetragen. Die engste noch laufende Saison gab es 2015, als Valentino Rossi und Jorge Lorenzo nach 14 WM-Läufen nur 14 Zähler getrennt waren. Auch in den Jahren 2017 und 2009 ging es zwischen Marc Marquez und Andrea Dovizioso (16 Punkte) bzw. Rossi und Jorge Lorenzo (18 Punkte) noch ziemlich knapp zu.

Zum gleichen Zeitpunkt: Mick Doohan dominiert Saison 1997

Den punktemäßig größten Unterschied nach 14 Rennen hatte Mick Doohan in seinem dominanten Jahr 1997, als er 12 der 15 Rennen gewann und zwei weitere Male Zweiter wurde. Er führte nach dem vorletzten Lauf der Saison ganze 156 Zähler vor Tadayuki Okada. Drei Jahren zuvor war ihm mit 143 Punkten Vorsprung auf Luca Cadalora bereits ein ähnliches Kunststück gelungen. Das genügt im All-Time-Ranking aber nur zu Platz drei, denn 2005 war Rossi mit 147 Zählern Vorsprung auf Max Biaggi noch dominanter. Die MotoGP-Legende steht mit der Saison 2002 auch auf Platz vier, damals lag der Italiener 121 Punkte vor Biaggi. Für den größten Vorsprung der Neuzeit sorgte 2019 Marquez, als er nach 14 von 19 Rennen bereits 98 Punkte vor Dovizioso führte. Die bislang dominanteste Saison eines Ducati-Piloten gelang 2007 Casey Stoner, als er sich nach 14 WM-Läufen schon 76 Zähler von Rossi distanziert hatte.

Marc Marquez sorgte 2019 für die dominanteste Saison der Neuzeit nach 14 Saisonläufen, Foto: Repsol
Marc Marquez sorgte 2019 für die dominanteste Saison der Neuzeit nach 14 Saisonläufen, Foto: Repsol

Besonders beeindruckend wird der marginale Unterschied zwischen Bagnaia und Martin im Jahr 2023 deshalb, wenn bedacht wird, dass zu dieser Saison auch die Sprints neu eingeführt wurden. Dadurch werden an jedem Wochenende bis zu 12 zusätzliche WM-Punkte vergeben. Insgesamt kann ein Fahrer in diesem Jahr also nicht mehr nur 25 Zähler pro Rennwochenende sammeln, sondern ganze 37. Bei 20 Events im Rennkalender sind in der MotoGP-Saison 2023 somit insgesamt 740 WM-Punkte zu vergeben, im Vorjahr waren es 'nur' 500.

Bagnaia und Martin: In Sprint und Grand Prix auf Augenhöhe

Ebenfalls beeindruckend sind die großen Schwingungen in ihren Leistungen, die Bagnaia und Martin nach 14 Rennwochenenden trotzdem so nah zusammengebracht haben. Ersterer startete gut, leistete sich in Argentinien und Austin aber dicke Patzer, durch die Martin trotz eher schwachem Saisonstart in Schlagdistanz bleiben konnte. Der Pramac-Pilot erlebte dann kurz vor der Sommerpause ein Zwischenhoch in Frankreich, Italien und Deutschland, konnte aber kaum Boden gutmachen, weil auch Bagnaia stark unterwegs war. Der Italiener blieb nach der Sommerpause dominant, während Martin wieder etwas einbrach. Dann aber folgte jener Katalonien-GP: Seither ist Martin kaum noch zu stoppen, Bagnaia befindet sich im Formtief. Zwischenzeitlich 66 Punkte getrennt, liegen vor den beiden finalen Triple-Headern der Saison dadurch nur noch drei Zähler zwischen ihnen.

Einen großen Unterschied im Scoring selbst gibt es nicht: Weder Bagnaia noch Martin haben einen auffallend großen Anteil ihrer WM-Punkte in Grand Prix oder Sprint gesammelt. Auch hier werden die beiden Ducati-Piloten nur durch kleine Differenzen getrennt. Im Sprint hat Bagnaia mit 118 zu 111 Punkten die Nase vorn, obwohl Martin mit fünf Siegen einen mehr aufweisen kann. Dafür führt der Spanier aber im GP-Ranking mit 205 zu 201 Punkten, obwohl hier Bagnaia mehr Siege (5 zu 3) eingefahren hat.

MotoGP-WM 2023 ohne Sprints noch spannender

Kurios: Gäbe es 2023 keine Sprints bzw. würden nur die Grand-Prix-Ergebnisse gewertet werden, wäre die Weltmeisterschaft der MotoGP sogar noch spannender. Dann läge nämlich auch Marco Bezzecchi nur zehn Zähler zurück, er kommt aktuell auf 195 GP-Punkte. Der VR46-Pilot schnitt in den Sprints mit nur 70 Punkten verhältnismäßig schlecht ab. Vor dem Japan Grand Prix hätte Bezzecchi die Fahrer-WM mit 182 Punkten sogar vor Bagnaia (181) und Martin (180) angeführt.