Die MotoGP bleibt 2020 unberechenbar. Mit Alex Rins gab es beim Aragon-GP am Sonntag einen neuen Saisonsieger - bereits den achten im laufenden Jahr. Suzuki durfte sich aber nicht nur über den ersten Triumph der Saison freuen, sondern auch über die WM-Führung, die Joan Mir in einem für Fabio Quartararo desaströsen Rennen erobern konnte. Neben Mir und Rins reihte sich in Aragon Alex Marquez auf dem MotoGP-Podest ein und holte somit seinen zweiten 2. Platz in Folge. Motorsport-Magazin.com seziert das Rennen in der großen GP-Analyse.

Die Reifenwahl in Aragon

Für die meisten MotoGP-Asse bestand die Qual der Wahl nur beim Vorderreifen. Denn 16 der 21 Fahrer setzten hinten auf die Soft-Mischung. Lediglich alle vier Ducati des aktuellen Jahrgangs sowie Cal Crutchlow zogen am Heck den Medium auf und kombinierten diesen allesamt mit Medium vorne.

Auf die Soft-Mischung vorne setzten beide Suzuki, Maverick Vinales sowie beide KTM-Fahrer aus dem Werksteam und Bradley Smith. Zehn Piloten zogen vorne den Medium-Reifen auf, wobei Alex Marquez jener war, der am weitesten vorne landete. Fahrer mit allen Kombinationen schafften es in die Top-10.

Vorne - Hinten Fahrer (Platzierung)
Soft - Soft Rins (1.), Mir (3.), Vinales (4.), Binder (11.), P.Espargaro (12.), Smith (19.)
Medium - Soft Marquez (2.), Nakagami (5.), Morbidelli (6.), Zarco (10.), A.Espargaro (13.), Lecuona (14.), Oliveira (16.), Bradl (17.), Quartararo (18.), Rabat (20.)
Medium - Medium Dovizioso (7.), Crutchlow (8.), Miller (9.), Petrucci (15.), Bagnaia (out)

Suzukis Pace

Den Grundstein zum Doppelpodium legte Suzuki bereits im MotoGP-Qualifying. Waren zuletzt in Le Mans beide Fahrer bereits in Q1 gescheitert, so schafften es diesmal beide in Q2. Joan Mir holte mit P6 seine beste Startposition seit Spielberg, Rins (10.) überstand zum ersten Mal seit drei Rennwochenenden überhaupt Q1.

Der spätere Sieger ließ einen Blitzstart folgen und machte in der Auftaktrunde des Aragon-GP sechs Plätze gut - mehr als jeder andere im Feld. Mir konnte sich zwar nicht verbessern, hielt aber zumindest seine Startposition. Rins legte in den ersten Runden einen Killerinstinkt an den Tag, sicherte sich im 3. Umlauf die schnellste Rennrunde, überholte dabei noch Franco Morbidelli und fand sich ab diesem frühen Zeitpunkt im Podestkampf wieder.

Fabio Quartararo sollte sich an diesem Tag nicht lange wehren können und auch der Führende Vinales verlor Zehntel um Zehntel seiner anfänglichen 1,108 Sekunden Vorsprung auf Rins. In der 8. Runde war Vinales fällig, der sich nur vier weitere Runden an Rins hängen konnte, ehe er abreißen lassen musste. In der 13. Runde schlüpfte ihm auch Mir durch, eine Runde später wurde er von Marquez überholt und das Podest war somit vorerst dahin.

Mir eröffnete ab der 13. Runde die Jagd auf seinen Teamkollegen an der Spitze und konnte seinen Rückstand von 1,170 Sekunden (Lap 13) binnen vier Runden auf 0,383 Sekunden (Lap 17) verringern. Näher sollte er Sieger Rins in diesem Rennen aber nicht mehr kommen. Denn plötzlich mischte ein anderer Fahrer vorne mit: Alex Marquez.

Durchbruch für Marquez

Der 24-jährige Honda-Pilot war nur einen Rang hinter Rins gestartet, hatte aber schon in der 1. Runde den Anschluss an ihn verloren. So musste Marquez im direkten Duell vorbei an Andrea Dovizioso (Lap 2), Taka Nakagami (Lap 3), Jack Miller (Lap 7), Fabio Quartararo (Lap 8), Franco Morbidelli (Lap 9) und Maverick Vinales (Lap 14), ehe er sich Chancen auf einen Podestplatz ausrechnen durfte. In 7 der 23 Runden war er der schnellste Mann im Feld.

Schnellste Zeit in jeder der 23 Runden:

Fahrer Anzahl Schnellste Runde in
Alex Marquez 7 Lap 7, 9, 11-12, 14, 16, 19
Joan Mir 3 Lap 8, 10, 15
Franco Morbidelli 3 Lap 4-5, 22
Taka Nakagami 3 Lap 17, 20-21
Maverick Vinales 2 Lap 1, 23
Fabio Quartararo 1 Lap 2

Zwar belegte Marquez bei den absolut schnellsten Rundenzeiten dieses Rennens nur den 4. Rang (hinter Rins, Morbidelli und Quartararo), doch er konnte als letzter MotoGP-Fahrer im gesamten Feld Zeiten unter 1:49,0 fahren. Ein Umstand, der wohl seiner Vorderreifen-Wahl geschuldet sein dürfte. Denn selbst auf den TV-Bildern war klar ersichtlich, dass Marquez in der Schlussphase mit seinem Medium-Vorderreifen in den Kurven aggressiver zu Werke gehen konnte als das Suzuki-Duo mit dem weichen Pneu.

Sieger Alex Rins fuhr seine letzte Zeit im 1:48er-Bereich in der 6. Runde, Joan Mir konnte sogar in Runde 8 noch diese Marke erreichen. Danach gelang das nur noch Alex Marquez. Die Zeiten des späteren Zweitplatzierten lagen sogar in den Umläufen 9, 11, 12 und 14 noch im Bereich von 1:48 Minuten. Im gesamten Rennen blieb er achtmal unter 1:49,0, Rins nur fünfmal, Mir sechsmal.

Marquez fuhr auf Rins von seinem Rekordrückstand in diesem Rennen in Lap 6 (+2,863 Sek.) binnen sechs Runden 1,809 Sekunden zu. Das sind drei Zehntelsekunden pro Umlauf, die Marquez auf Leader Rins in diesem Abschnitt aufholen konnte.

Als er in Runde 18 endlich an Mir vorbei war, hinter dem Marquez sechs Runden lang hin, konnte er Rins in der Folgerunde fast fünf Zehntelsekunden abnehmen und direkt zu ihm aufschließen. Das bescherte den MotoGP-Fans in den letzten Runden einen direkten Kampf um den Sieg, in dem Marquez sogar zwei Attacken versuchte - letztlich vergeblich. "Ich habe heute nicht an den zweiten Platz gedacht, sondern wollte es unbedingt bis zum Ende versuchen. Zwei Fehler haben mich meine Chance gekostet, Rins noch zu überholen", gab Marquez nach dem Rennen zu.

Die Leiden des Fabio Quartararo

Der Polesitter wurde am Sonntag in Aragon gnadenlos durchgereicht. 17 seiner MotoGP-Gegner konnten ihn auf der Strecke überholen, einzig Francesco Bagnaia (er stürzte früh), Tito Rabat und Bradley Smith war dieses Vergnügen nicht vergönnt.

Dabei sah es zu Beginn noch einigermaßen gut für den WM-Leader aus. Er konnte seine Pole Position zwar nicht verteidigen, kam hinter Vinales aber auf Rang zwei aus der ersten Runde. Im 2. Umlauf war Quartararo sogar schnellster Mann im gesamten Feld und fuhr in Lap 3 die drittschnellste Runde des gesamten Rennens. Bis zur 6. Runde blieb er auf Podestkurs, ehe seine Rundenzeiten ins Bodenlose absackten.

Einen großen Abfall um rund neun Zehntelsekunden im Vergleich zur Vorrunde gab es in Lap 7, von der 13. zur 14. Runde sank Quartararos Rundenzeit sogar um eineinhalb Sekunden ab. Seine 1:51,866 Minuten sollten die zweitschlechteste fliegende Runde des gesamten Rennens bedeuten. Insgesamt erzielte Quartararo in neun der 23 Runden die schlechteste Umlaufzeit aller MotoGP-Piloten.

Der Grund dafür soll ein Defekt gewesen sein: "Es war ein technisches Problem. Der Luftdruck im Vorderreifen war vollkommen außer Kontrolle. Die ersten drei Runden war er ideal, aber dann ist er nach oben geschossen. Da kann man sich ja vorstellen, wie es später im Rennen aussah. Ich kann keine Zahlen nennen, aber es war alles andere als normal. So etwas habe ich noch nie erlebt", erklärte Quartararo nach dem Rennen.

Fazit

Suzuki hat sich in der WM-Gesamtwertung der MotoGP vom gefährlichen Außenseiter zum Favoriten aufgeschwungen. Sechs Podestplätze in den letzten fünf Rennen, darunter zwei Doppel-Podien in den letzten drei Läufen, die auf drei unterschiedlichen Strecken und bei unterschiedlicher Witterung ausgetragen wurden, sprechen eine eindeutige Sprache.

Joan Mir kommt mit nunmehr fünf Podien auf eine Quote von 50 Prozent, während keiner seiner Gegner bislang öfter als dreimal zu einer Siegerehrung durfte. In der Gesamtwertung liegt er nun sechs Punkte vor Quartararo, auf den er in fünf der letzten sechs Rennen Punkte aufholen konnte. Selbst Alex Rins ist mit 36 Punkten Rückstand noch nicht aussichtslos zurück, falls er in den kommenden Rennen weiterhin Big Points einfahren sollte.

Alex Marquez spielt mit 54 Punkten Rückstand in der Gesamtwertung keine Rolle mehr, ist aber der Mann der Stunde in der MotoGP. Mit seinem zweiten Podestplatz in Folge bewies er, dass er sich seinen Platz in der Startaufstellung redlich verdient hat. Zumindest der Titel des "Rookie des Jahres" (er liegt punktgleich mit Binder) sowie die Nummer-1-Position bei Honda (er liegt 25 Punkte hinter Nakagami) scheinen 2020 aber noch möglich.

Fabio Quartararo muss sich bereits am kommenden Wochenende im zweiten Aragon-Rennen rehabilitieren, um das Momentum nicht vollkommen zu verlieren. Aus zwei Pole Positions in den letzten beiden Rennen konnte er lediglich sieben Punkte erobern. Von der Aura, die ihn nach den beiden Jerez-Siegen umgab, ist nicht mehr viel übrig. Mit nur sechs Punkten Rückstand auf Mir hat er aber nach wie vor alle Karten selbst in der Hand.