Drei verschiedene Sieger in vier Rennen, insgesamt sechs Fahrer von drei verschiedenen Herstellern auf dem Podest. Wovon andere Rennserien nur träumen können, ist in der MotoGP wieder einmal herrliche Realität. Konstanz vs. Speed, Reifenflüsterer vs. Draufgänger und je nach Strecke wechselnde Vorzeichen für jeden Hersteller. Warum variiert das Kräfteverhältnis 2016 so? Und was bedeutet das für die Weltmeisterschaft? Motorsport-Magazin.com nimmt die Faktoren unter die Lupe, die eine spannende Saison versprechen:

Faktor 1: Fahrstil & fahrerische Vorlieben

Während man in der Formel 1 oder der WRC nur im richtigen Jahr im richtigen Auto sitzen muss, um Weltmeister zu werden, zählt in der MotoGP des Jahrgangs 2016 mehr denn je das fahrerische Können bzw. der eigene Fahrstil. Das beste Beispiel dafür lieferte Valentino Rossi am Sonntag in Jerez ab. Obwohl sein Topspeed in 26 der 27 Runden unter jenem von Jorge Lorenzo lag (der Schnitt der fünf schnellsten Messungen wies Lorenzo als um 3,9 km/h schneller aus), ließ er dem Weltmeister keine Chance.

Das liegt einerseits an Rossis sanfterem Fahrstil, als auch an der - wenn man Lorenzos Aussagen nach dem Rennen liest - besseren Setup-Arbeit. Unter den exakt gleichen Bedingungen (identes Motorrad, idente Reifenwahl) performte Rossi im Zusammenspiel mit seiner M1 am Sonntag einfach besser und machte so den Unterschied.

Ähnlich verhielt es sich mit Marc Marquez in Austin. Der Spanier feierte dort vor zwei Wochen seinen vierten Sieg in Texas und bleibt dort ungeschlagen. Und dass, obwohl die vier anderen Honda-Fahrer massive Probleme hatten (die nächstbeste Honda kam 47 Sekunden hinter MM ins Ziel). Marquez und Austin - das passt einfach. Wir werden 2016 erwarten dürfen, dass die Leistungen der Fahrer von Strecke zu Strecke massiv schwanken werden. Je nach den eigenen Vorlieben.

Faktor 2: Michelin im Fokus

Der Wechsel von Bridgestone auf Michelin hat das generelle Kräfteverhältnis in der MotoGP zwar nicht revolutioniert, die Arbeit der Fahrer aber dennoch massiv beeinflusst. Valentino Rossi etwa fühlt sich mit dem französischen Gummi nun viel wohler, worin er auch seine deutliche Leistungssteigerung im Qualifying begründet sieht.

"Bei Michelin ist klar, dass du den weicheren Reifen im Qualifying nimmst und mit der härteren Mischung in das Rennen gehst. Das ist eine Konstante. Bei Bridgestone musstest du oft das Rennen mit der gleichen Reifenmischung bestreiten, wie deine schnelle Runde am Samstag", sagte Rossi nach seiner Pole Position in Jerez.

Im Rennen hingegen wurde der Grat zwischen Sieg und Sturz viel schmaler, was etwa die Crash-Orgien von Katar und Argentinien unter Beweis stellten. Auch liegt nicht jeder Reifen jedem Motorrad auf jeder Strecke. "In Austin wären wir mit dem Reifen, den Marquez benutzt hat, sicher nicht ins Ziel gekommen", erklärte Rossi in Jerez. In den anderen Rennen lag der Bonus allerdings bei Yamaha. "Bis auf Austin hatte Honda damit sicherlich mehr Probleme als wir", ist sich Jorge Lorenzo sicher.

Der Doktor wird den Fans gemeinsam mit Marquez und Lorenzo wohl eine heiße Saison bescheren, Foto: Milagro
Der Doktor wird den Fans gemeinsam mit Marquez und Lorenzo wohl eine heiße Saison bescheren, Foto: Milagro

Faktor 3: Das Motorrad

Je nach Strecke gibt es 2016 auch bei der Performance der unterschiedlichen Motorräder große Schwankungen. Ducati etwa kämpfte in den ersten drei Rennen jeweils bis zum Schluss um die Podiumsplätze, war in Jerez aber nie auch nur nahe an diesem Kampf dran. Die aggressive Ducati der Jahrgänge 2016 (Factory Team) und 2015 (Pramac Racing) bekam das Durchdrehen des Hinterreifens nie in den Griff.

So kam es auch, dass Eugene Laverty und Hector Barbera auf dem zwei Jahre alten Modell über die volle Renndistanz nur sechs Sekunden langsamer waren als Andrea Iannone auf dem aktuellen Fabrikat. "Es wurde nie wirklich besser, selbst als wir das komplette Setup des Bikes über Bord warfen und neu ausarbeiteten", erklärte Iannone in Jerez nach dem Rennen.

Faktor 4: Strategie & Konstanz

Zugegeben: Was Überholmanöver an der Spitze betrifft, so ist die MotoGP-Saison 2016 noch nicht das Gelbe vom Ei. Vier Siege in vier Rennen aus Pole Position, die letzten zwei davon reinrassige Start/Ziel-Siege. An manchen Manövern merkte man, dass sich die Fahrer mit den Unsicherheitsfaktoren Elektronik und Reifen bei der Risikofreudigkeit noch nicht zu hundert Prozent ans Limit zu gehen trauen. Ein Umstand, der sich aber mit jedem Rennkilometer und jedem Funken mehr Vertrauen in die Technik zwischen den eigenen Beinen bessern sollte.

WM-Leader Marc Marquez gab in Jerez ganz offen zu, dass er nicht mehr auf Teufel komm raus attackiert. "In meinem Kopf tobt ein Kampf, denn der alte Marquez will sich immer wieder durchsetzen. Aber ich muss etwas zurückhaltender fahren, bis ich wieder ein Vertrauen wie 2014 aufbauen kann. Für die Show bin ich aktuell wohl nicht der beste Marc, aber ich will nicht wieder in eine Situation geraten wie im ersten Halbjahr 2015."

Einen Vorsprung zu verwalten, macht diesen im Regelfall nicht größer. Jorge Lorenzo und Valentino Rossi sind bereits in Schlagdistanz und dass 2016 auch die größten Ausnahmekönner nicht vor einem Sturz gefeit sind, bewiesen ausgerechnet Lorenzo (in Argentinien) und Rossi (in Austin). Nach vier Rennen stehen nur noch sieben der 21 Fahrer bei einer Zielankunftsquote von 100 Prozent. Für eine spannende Saison 2016 ist also alles angerichtet.