So viele Überholmanöver sah man selbst in der MotoGP schon lange nicht mehr. "Mich hat das ganze Rennen an meine alten Zeiten in der 125cc-Klasse erinnert", meinte Jorge Lorenzo nach dem spannenden Australien-GP auf Phillip Island. Aber wie konnte es zu der Situation kommen, dass vier Fahrer sich im Rundentakt überholen und am Ende innerhalb von nur 1,058 Sekunden über den Zielstrich fahren? Das Rennen in der Analyse:

Lorenzo, das Maß an Konstanz

Jorge Lorenzo leistete am Sonntag den Großteil der Führungsarbeit. Bei 23 der 27 Durchfahrten bei Start/Ziel führte er das Feld an. Zwischenzeitlich sah es sogar aus, als könnte er sich absetzen, denn in Runde sieben hatte er bereits 1,434 Sekunden Vorsprung auf den Rest des Feldes herausgefahren. Plötzlich legte das Verfolger-Trio aus Marc Marquez, Andrea Iannone und Valentino Rossi aber zu und Lorenzos Vorsprung schmolz wieder dahin.

Lorenzo konnte, im Gegensatz zu seinen Verfolgern, sein Anfangstempo kaum steigern. In Runde fünf fuhr er mit 1:29,711 Minuten seine schnellste Einzelzeit des gesamten Rennens. Alle drei Konkurrenten konnten diesen Wert zu einem späteren Zeitpunkt noch unterbieten. Lorenzo legte dafür ein Höchstmaß an Konstanz an den Tag und beging keinen einzelnen Fehler, der zu einem negativen Ausreißer nach oben bei einer einzelnen Rundenzeit geführt hätte.

MarquezLorenzoIannoneRossi
Schnellste Runde1:29,2801:29,7111:29,5091:29,369
Langsamste Runde1:30,9431:30,3091:30,4941:30,559
Differenz1,6630,5980,9851,190

Schnellste und langsamste Rennrunde (Startrunde ausgenommen) lagen bei Lorenzo nur 0,598 Sekunden auseinander. Auch Iannone und Rossi waren sehr konstant.

Marquez zündet Turbo nach Fehlern

Das krasse Gegenteil von Lorenzo war Marc Marquez. Wie im Rundenzeit-Vergleich deutlich zu sehen ist, hatte der Weltmeister drei krasse Ausreißer nach oben in den Laps 6, 12 und 25. Hier stieg seine Zeit jeweils - und zum einzigen Mal im gesamten Rennen - über 1:30 Minuten. In der jeweiligen Folgerunde steigerte er sich aber wieder um jeweils rund eine Sekunde

Seine beiden schnellsten Rennrunden - zugleich die beiden schnellsten Runden im gesamten Feld - fuhr er unmittelbar bzw. zwei Runden nach einer 1:30er-Runde. Beinahe unglaublich: Im finalen Umlauf des Rennens erzielte Marquez in 1:29,280 Minuten sogar die schnellste Runde des kompletten Rennens. Obwohl er diese Lap nur als Dritter gestartet hatte und somit zwei Überholmanöver auf diese Runde fielen.

Iannones Topspeed-Waffe

Andrea Iannone konnte sich auf Phillip Island auf eine Sache verlassen: Die Endgeschwindigkeit seiner Ducati. 344,4 km/h wies die Topspeedmessung als Bestwert der 27 Runden aus. Insgesamt fünfmal würde er mir 343,4 km/h oder mehr geblitzt. Mit diesem Wert kam im gesamten Feld sonst nur noch Teamkollege Andrea Dovizioso mit, der immerhin zweimal mit über 343,4 km/h gemessen wurde.

Zum Vergleich: Von allen anderen Fahrern konnte nur Scott Redding ein einziges Mal mit 341,3 km/h die Marke von 340 knacken. Jorge Lorenzos Bestwert an diesem Tag betrug 332,0 km/h, womit der Mallorquiner auf der Geraden der langsamste der siegfähigen Fahrer war. Marc Marquez peitschte seine Honda auf bis zu 338,0 km/h, Valentino Rossi erzielte immerhin 337,0 km/h. Iannone konnte mit seiner scharfen Waffe daher beim Anbremsen von Kurve 1 mehrfach zur Attacke ansetzen, was er auch oft genug tat.

Insgesamt gab es beim Australien-GP am Sonntag 26 Positionsveränderungen. Gemessen allerdings nur zur jeweils vollen Runde, also ohne sämtliche gekonterten Manöver zwischen erster und letzter Kurve. Eine Vielzahl von Iannone-Attacken, die in den anschließenden Kurven von seinen Gegenspielern wieder gekontert wurden, scheint in dieser Statistik erst gar nicht auf.

Fazit

Marc Marquez war im absoluten Limit-Bereich am Sonntag der beste Fahrer. Damit prolongierte er, was sich bereits an den beiden Tagen zuvor im Training und Qualifying abgezeichnet hatte. Dass es am Ende so knapp wurde, ist in einigen Aussetzern begründet. Womöglich einer kleinen Verunsicherung nach einer sturzreichen und problembehafteten Saison geschuldet.

Marquez triumphierte aufgrund seiner Killerqualitäten, Foto: Yamaha
Marquez triumphierte aufgrund seiner Killerqualitäten, Foto: Yamaha

Jorge Lorenzo hingegen legte maximale Konstanz an den Tag und glänzte durch ein vollkommen kontrolliertes Rennen. Im Gegensatz zu manch anderen Rennen der nahen Vergangenheit überpacte er diesmal zu Beginn nicht, sodass er seine Reifen auch in der letzten Runde noch voll belasten konnte.

In dieser Hinsicht muss man auch Bridgestone gratulieren, denn bei keinem einzigen Fahrer war ein eklatanter Abbau zu bemerken. Das beweisen auch die konstanten Rundenzeiten von Andrea Iannone und Valentino Rossi. Und das nur zwei Jahre nachdem Bridgestone auf Phillip Island das größte Desaster seiner MotoGP-Historie erlebt hatte.

"Im heutigen Rennen konnten alle Fahrer über die komplette Renndistanz hundert Prozent geben und die rekordverdächtige Pace war ein Beweis, wie sehr sie sich gegenseitig an der Spitze pushen konnten. Marcs letzte Runde war ein beeindruckender Beweis seiner unglaublichen und weltmeisterlichen Fähigkeiten", lautete daher auch das Fazit von Bridgestone-Entwicklungschef Shinji Aoki.