Jorge Lorenzo ist 2014 bislang nicht wiederzuerkennen. Bereits 44 Zähler beträgt der Rückstand auf Spitzenreiter Marc Marquez - nach gerade einmal zwei Rennen. Noch ist der WM-Zug selbstverständlich nicht abgefahren, jedoch scheint klar: Lorenzo ist derzeit nicht annähernd in der Verfassung, Marquez im Geringsten gefährlich zu werden.

Nach einem verheerenden Fehlstart war Jorge Lorenzos Rennen in Austin gelaufen, bevor es begonnen hatte, Foto: Movistar Yamaha
Nach einem verheerenden Fehlstart war Jorge Lorenzos Rennen in Austin gelaufen, bevor es begonnen hatte, Foto: Movistar Yamaha

Alarmierend ist dabei weniger die gewohnt überragende Leistung des Honda-Piloten. Viel eher schockiert die Tatsache, dass 'Roboter' Lorenzo die Misere einzig und alleine sich selbst zuzuschreiben hat. So crashte der Mallorquiner nach Traumstart in Katar aufgrund zu großem Übermut in Führung liegend bereits in der ersten Runde. Am Sonntag in Austin folgte sodann mit einem aberwitzigen Fehlstart der bisherige Tiefpunkt der Seuchensaison.

Erlischt das Feuer des Kriegers?

Bereits bei den Testfahrten zu Jahresbeginn lief es für Lorenzo alles andere als zufriedenstellend. So klagte er bei den beiden dreitägigen Tests in Malaysia vehement über die neuen Bridgestone-Reifen, die ihn seiner Meinung nach zu stark benachteiligten. Nicht nur, dass er zeitenmäßig nicht an Erzrivale Marquez vorbeikam - auch Teamkollege Valentino Rossi lief Lorenzo zumindest in Sepang deutlich den Rang ab.

Beunruhigender als die Resultate waren dabei jedoch die Körpersprache und die Haltung Lorenzos. Der große Krieger und Kämpfer der Vorsaison wirkte ratlos, frustriert, ideenlos. Lorenzo haderte mit sich und der Welt, statt wie in früheren Jahren Schwierigkeiten und Probleme als Antrieb und Motivation zu nutzen, kämpfend einen Weg aus der Krise zu finden.

Lorenzo: Herrscher der zweiten Saisonhälfte 2013

Rückblick. Silverstone, 01. September 2013. 13:45 Uhr Ortszeit. Das MotoGP-Rennen auf der Traditionsrennstrecke rund um einen alten englischen Militärflughafen nähert sich dem Klimax. Drei spanische Piloten fliegen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf die letzten Kurven zu. Die Zuschauer an der Strecke und auch die Millionen Fans vor den TV-Geräten stellen sich dabei nur eine Frage: Holt Jahrhunderttalent und Super-Rookie Marc Marquez seinen fünften Sieg in Folge?

In Silverstone feierte Lorenzo einen seiner beeindruckendsten Siege, Foto: Yamaha Factory Racing
In Silverstone feierte Lorenzo einen seiner beeindruckendsten Siege, Foto: Yamaha Factory Racing

Jorge Lorenzo, amtierender Weltmeister, hat trotz seiner schlimmen Verletzungsmisere im Sommer 2013 sowie 44 Punkten Rückstand zu diesem Zeitpunkt die Flinte längst nicht ins Korn geworfen. Souverän hat er fast das gesamte Rennen vor Marquez und Dani Pedrosa angeführt, ehe wenige Kurven vor Schluss das Unausweichliche passiert: Marquez sticht in einer Linkskurve auf der Bremse innen vorbei und übernimmt die Führung. Die WM scheint entschieden, Lorenzo endgültig gebrochen. Was dann jedoch folgt, ist selbst mit dem Wort unglaublich nicht ausreichend beschrieben: Mit dem Herzen eines Champions und loderndem Feuer in den Augen drückt sich Lorenzo in der allerletzten Kurve innen vorbei zurück an die Spitze - und triumphiert.

Das Wunder von Silverstone sollte alles andere als eine kurze Unterbrechung der Marquez'schen Siegesserie bleiben. Getrieben vom Ehrgeiz, der Beste bleiben und seinen Titel verteidigen zu wollen, pusht sich Lorenzo trotz unterlegener Yamaha M1 in ungeahnte Höhen und bisweilen über das Limit hinaus. Vom chancenlosen Teamkollegen Rossi alleine gelassen, lehnt sich der Weltmeister Rennen für Rennen gegen die Repsol-Honda-Armada auf - und das mit Erfolg. Mit fünf Siegen, einem zweiten und einem dritten Rang sprengt Lorenzo in den letzten sieben Rennen nicht weniger als 40 Punkte von Marquez' Vorsprung los, scheitert letztlich nur denkbar knapp mit vier Zählern Rückstand an der Titelverteidigung.

Fokus noch voll auf dem Sport?

Angesichts der Leistung der vergangenen Jahre ist das Bild, das Lorenzo derzeit abgibt, nicht einfach zu verstehen. Hat ihm die knappe Niederlage gegen Marquez derart zugesetzt, dass er den eigenen Stärken nicht mehr vertraut? Erkennt er dessen überlegenes Talent an und gerät darüber in Panik? Lenken ihn die vielen außersportlichen Verpflichtungen inklusive zuletzt stetig wachsender Anzahl an Werbepartnern und Sponsoren vielleicht doch zu sehr ab?

Die außersportlichen Aktivitäten bei Jorge Lorenzo nahmen zuletzt zumindest gefühlsmäßig überhand, Foto: Alfa Romeo
Die außersportlichen Aktivitäten bei Jorge Lorenzo nahmen zuletzt zumindest gefühlsmäßig überhand, Foto: Alfa Romeo

Sollte die Talfahrt Lorenzos in dem Maße der jüngsten Entwicklungen weitergehen, könnte der MotoGP-Gigant womöglich gänzlich zerbrechen. Fest steht jedoch, dass der zweifache Weltmeister der Königsklasse sicher nicht 'über Nacht' sein Talent und seine Fähigkeiten eingebüßt hat. Dem Sport, den Fans und auch ihm selbst ist zu wünschen, dass die derzeitige Phase nur eine unglückliche Episode in einer noch langen Saison darstellt. Denn noch ist Zeit genug, in den am Gleis wartenden WM-Zug einzusteigen...