Das Telefon klingelt. "Yamaha Motors, kann ich Ihnen helfen?" Valentino Rossi sitzt mit Headset am Schreibtisch, PC-Bildschirm und Unterlagen auf dem Empfangsboard verdecken ihn fast. Alessio Salucci reicht ihm einen frisch gebrühten Espresso, den er dankend entgegennimmt - und verschwindet wieder aus dem Bild. Natürlich spielt Rossi für Yamaha Motor USA nur die Rolle des Empfangsmitarbeiters. Sein bester Freund muss allerdings nicht extra in eine andere Rolle schlüpfen, denn er ist einfach immer und überall für den Yamaha-Piloten da. Ob im Büro, auf der Rennstrecke oder zu Hause in Tavullia: Salucci - besser bekannt als Uccio - ist Rossis rechte Hand. "Ich kümmere mich ein bisschen um alles, seine Kombis, Helme und alles weitere. Wenn Valentino mich um irgendetwas bittet, dann mache ich das für ihn. Während der Rennwochenenden fahre ich aber allen voran sein Motorhome", erklärt er.

Uccio kannte Rossi schon, als der noch kein neunfacher Weltmeister und gefeierter Motorradstar war. Da die Väter der Italiener bereits befreundet und beide im gleichen Alter waren, wuchsen sie gemeinsam in Tavullia auf. "Ich kann wahrlich behaupten, dass wir uns echt gut kennen, denn wir stammen aus dem gleichen kleinen Ort und wir haben unser Leben mehr oder weniger zusammen begonnen und auch zusammen gelebt." Ein Leben mit Valentino Rossi? Viele würden wohl ihr letztes Hemd dafür geben, für Uccio ist das ganz normal. Auf die Frage nach der lustigsten Geschichte, die er gemeinsam mit dem MotoGP-Star erlebt hat, verfällt er in schallendes Gelächter. "Vale ist an sich eine lustige Geschichte. Es ist an jedem Tag witzig mit ihm."

Scooter- und Ape-Duelle

Nicht nur die Schule besuchten sie zusammen, auch die Straßen in der Heimat machten sie gemeinschaftlich unsicher. Während sich alle anderen Klassenkameraden für Fußball entschieden, stiegen Vale und Uccio auf Dreiräder und brausten damit Hügel hinunter. "Manchmal sind wir mit den Scootern und auch mit dem Ape - also dem Fahrzeug mit drei Rädern - Rennen auf der Straße gefahren. Daran kann ich mich gut erinnern, es war eine tolle Zeit. Für mich ist das ein sehr wichtiger Lebensabschnitt und ich werde ihn immer in meinem Herzen tragen. Wir haben stets hart gegeneinander auf der Straße gekämpft und das war echt super", lacht der 33-Jährige.

Während Uccio sich nach der achten Klasse entschied, in den Betrieb seines Vaters einzusteigen, blieb Rossi noch zwei weitere Jahre auf der Schule, um danach professioneller Rennfahrer zu werden. Trotzdem begleitete Uccio seinen Kumpel an jedem Rennwochenende bei den Minibikes, zur italienischen Meisterschaft und später in der EM. "Dann brauchte Valentino jemanden, der sein Motorhome fährt. Aber als er das erste Mal mit dieser Idee ankam, hatte ich noch gar keinen Führerschein, weil ich erst 16 Jahre alt war", berichtet der in Pesaro geborene Mann, der ab 1997 offiziell für seinen besten Freund zu arbeiten begann. Auch heute verbringen sie so oft es geht ihre Freizeit miteinander. "Wir sind sehr gute Freunde und da ist es natürlich normal, dass wir zusammen abhängen. Wir wohnen auch beide noch in Tavullia."

Keine Superstars, sondern ganz normale Menschen

Obwohl nicht nur Rossi, sondern auch Uccio im Fahrerlager zu den beliebtesten Zielen von Autogrammjägern zählen, werden sie in der Heimat nicht wie Superstars gefeiert. "Für die Leute in Tavullia sind Valentino und ich normale Menschen, denn wir sind hier aufgewachsen, waren hier in der Schule und haben von hier aus schon sehr früh damit begonnen, zu den Motorradrennen zu fahren. Zu Hause ist also alles ganz normal, wir werden wie normale Menschen behandelt und das tut uns beiden sehr gut." Außerhalb des 8000-Seelen-Ortes wird besonders Rossi von seinen Fans regelrecht gejagt, auch Uccio ist meist von zahlreichen Menschen umringt. "Für mich ist das aber eine große Freude. Die Fans sind einfach grundlegend für uns, sie sind sehr wichtig und für mich ist das kein Problem. Im Gegenteil: Je mehr Fans wir haben, desto besser."

Rossis bester Freund ist im Umgang mit den Fans schon Routinier. Wenig verwunderlich ist es da auch, dass Saluccis Vater Präsident des Valentino-Rossi-Fanclubs ist, der 1995 gegründet wurde, als Rossi zum ersten Mal Rennen auf internationaler Ebene bestritt. Uccio selbst hatte seinen Vater und einen Freund angefleht, den Fanclub zu gründen. "Mein Vater hat erst nur gelacht und mich gefragt: Bist du dir so sicher? Ich habe aber immer weiter darauf beharrt und mich dafür stark gemacht, dass wir einen Fanclub brauchen." Und mit Rossis Erfolgen stieg auch die Anzahl der begeisterten Anhänger. "Der Club kommt immer zu den Rennen, und auch die Späße nach dem Rennen denkt sich immer der Fanclub aus. Die Idee kam zuerst von meinem Vater Rino und seinem Freund Flavio. Valentino fand es gut und hat gleich mitgezogen."

Weniger Spaß, mehr Geld

Seitdem sind nicht nur Rossi und Uccio älter geworden, auch das Paddock-Leben hat sich in 15 Jahren stark verändert. "Am Anfang hat alles im Fahrerlager mehr Spaß gemacht. Jetzt geht es viel mehr ums Geld, die Leute sind professioneller und wir alle haben deshalb weniger Spaß in der Hospitality. Aber ich denke, das ist normal." Salucci ist trotzdem sehr glücklich darüber, Teil des MotoGP-Zirkus zu sein und einen spannenden Job auszuüben. "Ich mag es sehr, im Fahrerlager zu sein - vor fünfzehn Jahren genauso wie heute." Und das sogar nach zwei harten Jahren bei Ducati, die Uccio als schwierige Zeit bezeichnet - nicht nur für ihn selbst, sondern vor allem für Rossi. "Denn wenn man versuchen will, zu gewinnen und nichts passiert oder sich nichts verbessert, ist es einfach frustrierend. Es war eine schwere Zeit, aber jetzt sind wir wieder bei Yamaha und wir hoffen, dass wir hier wieder an die richtige Position zurückkommen", gibt er sich optimistisch.

Gemeinsam gehen Rossi und Uccio durch dick und dünn., Foto: Milagro
Gemeinsam gehen Rossi und Uccio durch dick und dünn., Foto: Milagro

Der Italiener geht so ziemlich alles rund um seinen erfolgreichen Freund mit viel positiver Energie an. Besonders das Reisen durch die ganze Welt mag er. "Speziell in Spanien fühle ich mich sehr wohl, denn es gefällt mir hier. Eigentlich gefällt es mir überall, auch in Japan. Das Reisen ist einfach mein Leben." Dabei gehört seit kurzer Zeit noch ein weiterer wichtiger Teil zu Uccios Leben, der ausnahmsweise einmal nichts mit Rossi zu tun hat. "Ich habe Familie zu Hause, meine Freundin Pamela und meine Tochter Viktoria. Mein Baby ist erst im Oktober geboren worden und es ist einfach fantastisch. Ich bin also auch gerne zu Hause." Besonders die Wintermonate genießt der Familienvater im Kreis seiner Lieben sehr. "Da fühle ich mich natürlich wohl, schließlich ist es meine Familie. Aber nach etwa zwei Monaten in Tavullia habe ich dann auch das Gefühl, dass ich wieder raus in die Welt muss, sonst wird es zu langweilig."

Ruhig und normal

An Rossis Seite ist es alles andere als langweilig, obwohl Uccio ihn als einen recht ruhigen Typen beschreibt. "Er ist ein ganz normaler Mensch. Charaktermäßig ist er eine ziemlich ruhige Person, ganz normal. Ich mag ihn, er ist nie nervös oder stresst herum, er bleibt einfach gelassen." Der neunfache Weltmeister habe also einen sehr guten Charakter. Doch trotz seines Erfolges ist auch Valentino Rossi nur ein Mensch und zeigt laut Salucci besonders eine Schwäche: "Er hat nur ein Problem: Er kommt immer zu spät, einfach immer! Das kann nichts übertreffen." Darüber tröstet aber besonders sein ungebremster Siegeswille hinweg. "Er ist unglaublich! Valentino ist der Erste, der auf die Strecke fährt und der Letzte, der runterfährt. Er ist sehr professionell. Er kommt gut mit den Mechanikern und dem ganzen Team klar und arbeitet unglaublich viel am Bike", verrät Uccio.

Auch wenn Salucci im Film für Yamaha Motors USA nur eine Nebenrolle bekommt und zum Kaffeekochen verdonnert wird, blüht er bei seiner Arbeit für Valentino Rossi voll auf. "Ich mag meinen Job wirklich sehr und mit ihm zusammen zu sein macht einfach immer Spaß." Eine andere Aufgabe kann sich der Mann aus Tavullia beim besten Willen nicht vorstellen. "Sicherlich wird Valentino weiter Rennen fahren, sei es nun in einem Auto oder zunächst noch auf dem Motorrad. Ich denke, dass ich mein ganzes Leben lang für ihn arbeiten werde. Zumindest hoffe ich das."

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