In der Formel E soll endlich Schluss sein mit der Meisterschafts-Lotterie, die in der abgelaufenen Saison darin gipfelte, dass 18 der 24 Fahrer mit Titelchancen zum Finale nach Berlin reisten. Ein neues Qualifying-Format soll zu einem echten Kampf um die Weltmeisterschaft führen und fairere Bedingungen für die Piloten zulassen.

Waren bislang die bestplatzierten Fahrer in der Gesamtwertung fast durchweg benachteiligt, weil sie in der Qualifying-Gruppe 1 die schlechtesten Streckenbedingungen vorfanden, soll das neue Quali-Format mit einer K.o.-Phase zu einer besseren Vergleichbarkeit und einem nachvollziehbaren Spannungsbogen führen.

Die 22 Fahrer starten ab der kommenden Saison zunächst in zwei Gruppen zu je elf Piloten. Nach zehn Minuten Fahrzeit mit beliebig vielen Runden ziehen die schnellsten vier Piloten aus den beiden Gruppen ins Viertelfinale ein. In mehreren direkten Zweier-Duellen ergibt sich am Ende eine Startaufstellung, in der der Final-Sieger von der Pole Position startet.

Die Erstellung der exakten Startaufstellung klingt kompliziert, aber im Wesentlichen geht es darum, in der jeweiligen Gruppenphase in den Top-4 zu landen. Damit ist ein aussichtsreicher Startplatz in den ersten vier Reihen gesichert. Auf dem Weg dorthin finden die Piloten ab sofort gleiche Bedingungen vor, statt mit einem Strecken-Nachteil ins Qualifying zu starten.

Wehrlein: Ich finde es fairer

"Ich finde das fairer", sagte Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein im ran-Interview nach der ersten Qualifying-Simulation bei den offiziellen Formel-E-Testfahrten in Valencia. "Man sieht es auch nicht mehr so wie letzte Saison, dass beim letzten Rennen noch 18 Fahrer Chancen haben, den Titel zu gewinnen. Es wird sich schon vorher herauskristallisieren, welche Fahrer und Teams am stärksten sind."

Zwar haben fast alle Teams im vierten und letzten Jahr mit dem Gen2-Auto ein ähnliches Niveau erreicht, doch Performance-Unterschiede gibt es weiterhin. Diese und auch das Talent des Fahrers dürften mit den neuen Regeln nun deutlich mehr zum Vorschein kommen. Auch die Strategie nimmt in den Qualifyings eine wesentliche Rolle ein: Den Teams steht es frei, wie viele Runden sie in der Gruppenphase zurücklegen wollen. Bislang stand den Fahrern nur eine schnelle Runde zur Verfügung.

Ebenso wird es spannend sein, zu sehen, wie die Teams ihr Reifen-Kontingent managen. In der kommenden Saison stehen jedem Fahrer pro Renntag vier statt wie bisher drei frische Reifen zur Verfügung. Beim einem Doppel-Rennen können die Piloten auf sechs neue Allwetter-Reifen von Michelin zurückgreifen. Die Reifen dürfen auch während des Qualifyings gewechselt werden, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die genauen Abläufe sind bislang noch nicht im Sportlichen Reglement fixiert worden.

Neues Qualifying-Format: Keine Zufälligkeit mehr

Wehrlein dürfte das neue und voraussichtlich ausgeglichenere Format gefallen. Der frühere DTM-Champion und Formel-1-Fahrer zählt seit seinem Formel-E-Debüt 2018 zu den besten Piloten auf einer schnellen Runde. Zweimal startete er von der Pole Position (2019 in Mexiko mit Mahindra und 2021 mit Porsche in Puebla), insgesamt siebenmal aus der ersten Reihe. Beeindruckend: Bei bislang 32 Rennen in der Formel E fuhr er trotz der Qualifying-Lotterie 16 Mal aus den Top-8 der Startaufstellung los.

Porsche-Einsatzleiter Amiel Lindesay stimmte Wehrlein in Valencia zu: "Das neue Qualifying-Format ist ein positiver Schritt und sollte es für alle fairer machen. Am Ende sehen wir hoffentlich die besten Fahrer und Teams vorne und keine Zufälligkeit mehr."

Nur bei den 14 in der Gruppenphase ausgeschiedenen Fahrern bleibt es gewissermaßen eine Lotterie, ihre Startposition richtet sich nach dem Ausgang des Qualifying-Finals: Die Fahrer aus der Gruppe des Final-Siegers starten von den ungeraden Positionen, die Piloten aus der anderen Gruppe von den geraden Positionen. Die Verlierer der Halbfinal-Läufe qualifizieren sich gemäß ihren erzielten Rundenzeiten auf den Plätzen drei und vier. Selbiges gilt für die Verlierer der Viertelfinal-Läufe, die sich auf den Positionen fünf bis acht einordnen. In der Gruppenphase dürfen alle Fahrer maximal 220 kW Leistung abrufen, ab dem K.o.-Segment dann die vollen 250 kW.

Weltmeister de Vries: Spannung wie in der Formel 1

"Ich erwarte in der kommenden Saison weniger Zufälligkeit", glaubte auch Weltmeister Nyck de Vries im ran-Interview. "Diese Meisterschaft braucht keine externen Faktoren, um sie spannender zu machen." Das bisherige, zur Saison 2018 eingeführte Qualifying-Format sollte den Titelkampf künstlich spannend halten, in dem die bestplatzierten Fahrer stets benachteiligt werden. Durch die immer größere Performance-Dichte verkam das Qualifying zuletzt zum Würfelspiel.

De Vries, der mit Mercedes die letzte Saison vor dem Werksausstieg bestreitet: "Die letzte Saison war spannend mit Blick auf die Unvorhersehbarkeit. Aber ist es wirklich noch spannend, wenn man keine Ahnung hat, wer gewinnt? Du konntest nicht einmal jemanden richtig unterstützen, weil es vorne immer anders war. Wenn wir jetzt eine Gruppe mit fünf bis zehn Fahrern haben, die konstant um die Spitze kämpfen, dann wird es interessant. Wie in der Formel 1, wo wir einen echten Fight sehen."

Das sind die Favoriten für die Formel-E-Saison 2022

So ziemlich alle Teams und Fahrer erwarten die Rückkehr zu einer echten Hierarchie in der Formel E, in der die besten Teams am Ende den Titel unter sich ausmachen. Zu den Favoriten zählen neben Weltmeister Mercedes auch das Jaguar-Werksteam, Porsche in seiner dritten Saison und nicht zuletzt das zweifache Meister-Team DS Techeetah.

"Ich bin sehr glücklich über die Änderung", sagte der zweifache Techeetah-Champion Jean-Eric Vergne. "Letzte Saison war es unfair. Oftmals waren wir in der ersten Gruppe, wo die Strecke noch sehr staubig war. Das war unfair für alle Fahrer, die so hart arbeiten." Teamkollege und 2020-Meister Antonio Felix da Costa: "Wir werden kommende Saison häufiger die gleichen Fahrer vorne sehen." Die achte Saison der Formel E beginnt am 28./29. Januar 2022 mit einem Doppel-Rennen in Saudi-Arabien.