Es schien alles gerichtet: Lewis Hamilton stand auf der Pole Position, seine WM-Konkurrenten dahinter, es regnete, er führte mit einigen Sekunden Vorsprung den Grand Prix an. Alle waren auf die große Hamilton-Party vorbereitet, ein Rookie der im vorletzten Saisonrennen den WM-Titel holt. Ein Formel 1-Sommermärchen. Das in China eine dramatische Wendung nahm.
"Wir werden erst darüber sprechen, wenn es rechnerisch durch ist", betonte Ron Dennis immer wieder. Er sollte gut damit fahren. Es war die 31. Runde. Lewis Hamilton kämpfte mit seinen heruntergefahrenen Intermediate-Reifen, die Führung hatte er zuvor schon an Kimi Räikkönen abgeben müssen, von hinten nahte Fernando Alonso mit Riesenschritten. Hamilton bog in die Box ein, kam nicht um die Kurve, rutschte in der Boxeneinfahrt ins Kiesbett und blieb stecken - das Aus für den WM-Spitzenreiter!
Die Weltmeisterschaft ist wieder offen - für beide Verfolger. Mit seinem fünften Saisonsieg machte Kimi Räikkönen den ersten Schritt zum Titelwunder. War er vor dem China GP schon fast draußen, hat er die Lücke auf Hamilton nun auf sieben Punkte geschlossen. Noch besser sieht es für Fernando Alonso aus. Nach seinem 2. Platz in Shanghai liegt er nur noch vier Zähler hinter dem ungeliebten Teamkollegen Hamilton.
"Es war ein schwieriges Rennen", gestand Räikkönen. "Aber alles hat gut geklappt, das Team war wie eine Eins." Jetzt freut er sich auf einen interessanten Saisonabschluss in Brasilien. "Ich sehe unsere Chancen zwar nicht so wahnsinnig gut, aber es wird interessant, wie gut das Auto sein wird. Ferrari war letztes Jahr stark. Heute haben wir gesehen, was alles passieren kann. Unsere Position ist auf jeden Fall besser als gestern."
Das gilt auch für Fernando Alonso, der allerdings auf etwas Unvorhergesehenes bei Hamilton hoffen muss. "Es wird schwierig, Lewis 4 Punkte abzunehmen", betonte er. "Ich hoffe, dass die Performance der Autos über das ganze Wochenende vergleichbar sein wird, nicht nur in Q1 und Q2. Ich muss ein gutes Rennen fahren, aber trotzdem muss noch etwas Dramatisches passieren, damit ich gewinne."
Drama an der Spitze
Das Rennen begann relativ unspektakulär. Trotz der leichten Niederschläge entwickelte sich der Grand Prix in den ersten Runden wie ein typisches Taktikrennen - jedenfalls auf den ersten vier Plätzen. Am Start setzte sich Hamilton problemlos an die Spitze; Räikkönen behielt Platz 2, nur Massa und Alonso tauschten in den ersten Kurven mehrmals die Plätze. Am Ende kam jedoch der Brasilianer als Dritter aus der ersten Kurvenfolge heraus.
Bis zur ersten Boxenstopprunde blieb das Bild unverändert: Hamilton führte mit 8,2 Sekunden vor Räikkönen. Der Finne kam in Runde 19 vier Runden nach Hamilton zum Nachtanken an die Box, die Intermediates wechselte er genauso wenig wie die anderen Spitzenpiloten. Dennoch kam er hinter Hamilton auf die Bahn zurück. Das sollte so bleiben, bis der Regen vor der zweiten Boxenstopprunde erneut leicht einsetzte. Plötzlich war Räikkönen formatfüllend im Rückspiegel des Briten. Mehrere Kurven lang duellierten sie sich, Hamilton rutschte wild hin und her, dann fuhr Räikkönen vorbei und auf und davon.
Bei McLaren machte man jedoch keine Anstalten Hamilton wegen seines offensichtlichen Reifenproblems hereinzuholen. Erst in Runde 31 bog Hamilton in die Boxeneinfahrt ein. Dort passierte das Undenkbare: er verpasste die Linkskurve in die Boxengasse, rodelte in das Minikiesbett in der Boxeneinfahrt und blieb stecken. Selbst die vereinten Kräfte mehrerer Streckenposten schafften es nicht, ihn aus dem Kiesbett zu befreien. Der Titelfavorit war raus. Räikkönen und Alonso fuhren am feststeckenden McLaren mit der Startnummer 2 vorbei, grinsten unter dem Helm und schnappten sich dankbar die Punkte für die Ränge 1 und 2. Die Titelentscheidung fällt erst beim Finale in Sao Paulo.
"So ist der Motorsport", sagte Ron Dennis. "Lewis hatte Vibrationen, ob es die Reifen waren, ist nicht sicher. Wir wollten durch den Schauer durchkommen." Das hat nicht funktioniert. Kimi Räikkönen sah man dabei gar nicht als Gegner an. "Da haben wir uns keine Sorgen gemacht, er war nicht unser Gegner. Letztlich ist es eben anders gekommen." Hamilton machte gleich zwei Gründe für seinen Ausfall aus: "Die Reifen und ein Fehler waren schuld", sagte er. "Es war eine gemeinsame Entscheidung, draußen zu bleiben. Ich wusste aber nicht, wie stark die Reifen schon abgefahren waren, aber das ist Teil des Lernprozesses."
Action im Mittelfeld
Für Felipe Massa ist Sao Paulo das Heimspiel. Im Titelkampf spielt er keine aktive Rolle mehr, höchstens noch als Helfer für Kimi Räikkönen. In Shanghai komplettierte er als Dritter das Podium. Während es an der Spitze vor und nach dem Hamilton-Zwischenfall gemächlich zuging, wurde dahinter mal wieder viel Action geboten. Überholmanöver standen vor allem im hart umkämpften Mittelfeld an der Tagesordnung. Nico Rosberg wurde am Ende der Zielgeraden sogar gleichzeitig links und rechts von den beiden Renault überholt.
Der Überholkönig des Rennens war Ralf Schumacher. Nach einem Dreher am Start musste sich Ralf von ganz hinten wieder nach vorne kämpfen. Button, Kovalainen, Rosberg - der Reihe nach zogen sie gegen einen furios auffahrenden Schumacher den Kürzeren. Bis Tonio Liuzzi an der Reihe war. Ralf zog vorbei, lenkte ein und kollidierte mit dem Italiener. "Ich nehme an, er hat zu spät gebremst und da ist ihm die Straße ausgegangen", beschrieb Ralf den Rennunfall. Später schied Ralf nach einem Dreher aus. "Mir ist der Motor abgestorben, dann ging nichts mehr."
Richtig viel ging bei Sebastian Vettel. Nach dem Frust von Shanghai, wo er eine Woche zuvor auf Podestkurs mit Mark Webber kollidiert war, und der Zurückversetzung nach dem Qualifying, weil er Anthony Davidson behindert haben soll, bot er im zweiten Regenrennen in Folge eine starke Vorstellung und fuhr auf Platz 4. Allerdings musste er lange zittern: in der vorletzten Runde bekam er die Boxenanweisung, Sprit zu sparen. Doch es reichte bis zur Ziellinie. Den Toro Rosso-Erfolg komplettierte Tonio Liuzzi auf Platz 6. Dazwischen durfte sich Jenson Button über die dritte Punkteankunft der Saison. Die Punkteränge rundeten Nick Heidfeld und David Coulthard ab.
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