Wie alles in der Formel 1 sind auch Testfahrten eine komplexe Angelegenheit. Dabei war die Sache vor 15 Jahren noch ganz einfach: Die Teams mieteten sich Strecken und fuhren. Teilweise wurde am gleichen Tag mit zwei Autos auf unterschiedlichen Strecken getestet. Selbst der Trainings-freie Freitag von Monaco wurde genutzt, um noch Setups und neue Teile zu testen.

Testfahrten in der früheren Formel-1-Geschichte

Es war die Zeit, als Geld in der Formel 1 praktisch keine Rolle spielte - zumindest für die großen Teams. Die Werksteams leisteten sich sogar eigene Testteams mit Mechanikern und Ingenieuren, die den gleichen Job wie ihre Kollegen machten, nur eben nicht an GP-Wochenenden, sondern bei Testfahrten.

Formel 1 Fahrer-Ranking 2024: Wer war der beste F1-Pilot? (35:28 Min.)

Mit zwei eigenen Rennstrecken in Mugello und Fiorano trieb Ferrari die Tests bis zum Exzess. Seit 2011 haben die Einwohner Maranellos aber deutlich mehr Ruhe, was nicht nur an den leiseren Motoren liegt, die erst 2014 Einzug in die Formel 1 hielten. Seit 2011 gibt es praktisch ein Testverbot.

Ganz ohne Testfahrten kommt die Formel 1 trotz immer besseren virtuellen Umfelds aber natürlich nicht aus. Vor der Saison gibt es Wintertests. Zunächst gab es drei je viertätige Tests, später wurden die Wintertests immer weiter beschnitten. Übrig sind aktuell noch drei Testtage vor dem Saisonstart, an denen nur ein Auto pro Team teilnehmen darf. Das ist aber nicht alles.

Testfahrten in der Formel 1 heute

In Artikel 10 des Sportlichen Reglements wird auf sechs Seiten genau geregelt, wie, wann und wo F1-Autos im Kreis fahren dürfen. Mit aktuellen Autos sind Testfahrten über die Wintertests, einen gemeinsamen Abschlusstest nach dem Saisonfinale und Reifentests für Pirelli stark beschränkt. Jedes Team hat pro Saison zwei sogenannte Filmtage zur Verfügung.

Eigentlich sind die dafür gedacht, Film- und Fotomaterial für Sponsoren und Medien zu sammeln. Der Hauptgrund ist aber meist ein anderer: Viele dieser Filmtage werden schon vor dem Wintertests abgehalten, um einen ersten Shakedown zu fahren. Grobe Probleme können so schon vor dem Test erkannt werden. Maximal 200 km dürfen an einem Filmtag gefahren werden. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, Demo-Events durchzuführen. Hier sind aber nur maximal 15 Kilometer an einem Tag erlaubt, zwei individuelle Demo-Tage hat ein Team pro Jahr maximal.

Der Test-Trick der F1-Teams: TPC

Die Möglichkeiten, ein F1-Auto zu testen, sind also stark beschränkt. Es gibt aber ein Schlupfloch namens TPC. Hinter dem sogenannten Testing of Previous Cars verbergen sich spezielle Regeln, die das Testen von älteren Autos erlauben. Autos, die sich für diese Testfahrten qualifizieren, müssen zwischen zwei und fünf Jahre alt sein. Und genau diese Regel wird seit Jahresbeginn zum Problem für die Formel 1.

Jack Doohan testet einen Alpine F1-Boliden
Jack Doohan testete dieses Jahr für Alpine, Foto: Alpine

Denn 2024 fallen erstmals Autos der Ground-Effekt-Ära unter dieses Reglement. Die Teams dürfen mit Boliden der Saison 2022 nahezu unbeschränkt testen. Die TPC-Regelung soll eigentlich sicherstellen, dass Nachwuchsfahrer mit repräsentativen F1-Fahrzeugen Erfahrung sammeln können - weil Testfahrten eben sonst Mangelware sind. Tatsächlich nutzen einige Teams diese TPC-Tests genau deshalb sehr exzessiv.

Vor allem Alpine legt großen Wert darauf, dem eigenen Nachwuchskader so F1-Kilometer zu ermöglichen. 2022 bereiteten die Franzosen Oscar Piastri perfekt für seine Rookie-Saison (bei einem anderen Team) in der Königsklasse vor. Piastri akzeptierte nach seinem Meistertitel in der Formel 2 sogar ein Jahr auf der Ersatzbank, bekam dafür aber unzählige Testtage. "Es ist sehr wichtig, in die Zukunft zu blicken und die jungen aufstrebenden Talente zu sehen, sie zu bewerten und zu trainieren", erklärt Karel Loos.

Loos ist stellvertretender Ingenieurs-Chef an der Strecke bei Alpine und begleitet die Nachwuchsfahrer bei den TPC-Tests. "Es gibt nicht viele Möglichkeiten, ein modernes F1-Auto zu fahren. Was wir hier tun, ist genau das: Wir schauen uns das Gesamtpaket an, wie der Fahrer seine Leistung erbringt. Es geht nicht nur um das Fahren, sondern um alle Aspekte der jungen Fahrer, und das gibt uns einen guten Einblick in die Zukunft.“

Die Fahrer bereiten sich auf die Tests wie auf ein Rennwochenende vor. Das beginnt schon im Simulator. Victor Martins ist einer der Alpine-Nachwuchsfahrer, der 2024 im A522 der Saison 2022 Platz nehmen darf. "Ich habe vor dem Test einen ganzen Tag im Simulator verbracht", verrät er. Dabei lernen die Junioren nicht nur die Strecke samt Brems- und Einlenkpunkten. Sie lernen auch die Komplexität der Formel 1, ehe es ins echte Auto geht. "Man arbeitet einfach mit so vielen Systemen und so vielen Knöpfen im Auto, die man für die Ingenieure, für sich selbst und auch für das Auto betätigen muss", so Martins.

Hohe Komplexität der F1-Autos verantwortlich?

Als Oliver Bearman in dieser Saison kurzfristig Carlos Sainz in Saudi-Arabien ersetzen musste, war der Brite nahezu perfekt vorbereitet für sein F1-Debüt. Der Ferrari-Junior wird ähnlich wie seine Alpine-Kollegen an die Königsklasse herangeführt. Hätte er die Vorbereitung nicht genossen, wäre es unmöglich gewesen, binnen weniger Minuten ins F1-Auto zu springen. Und das hat weniger mit dem Speed der Autos zu tun, als vielmehr mit der Komplexität.

Mit Simulatorsessions vor dem Test ist es nicht getan. "Es gibt während des Tests Briefings, am Ende des Tages ein Debrief und danach geht es nochmal in die Fabrik in den Simulator", so Martins. Die Fahrer werden nicht nur vorbereitet, sie haben auch die Möglichkeit, sich zu zeigen. "Ja, darum geht es immer", gesteht Martins. "Obwohl es nicht so sehr auf Performance fokussiert ist. Natürlich kann ich mein Potenzial zeigen. Aber was mein Potenzial zeigen wird, ist, dass ich mich auf die Details konzentriere, dass ich bei meiner Nachbesprechung klar bin, dass ich pünktlich bin, dass ich professionell bin, dass ich all diese Dinge mache, auf die man sich konzentrieren muss, und keine Fehler mache, das Auto nicht in die Mauer setze und nichts kaputt mache."

Für Martins hat es in diesem Jahr nicht gereicht. Seine Leistungen in der Formel 2 halfen ihm nicht. Aber Alpine veranstaltete zwischen Jack Doohan, einem weiteren Junior, und Mick Schumacher einen Shootout. Der Sieger des Shootouts stand in der Pole Position für das Alpine-Cockpit 2025, sollte Carlos Sainz nicht kommen. Für Doohan war der Test die Eintrittskarte in die Formel 1. Bei Mercedes kann sich Andrea Kimi Antonelli bei diesen Testfahrten für höhere Aufgaben empfehlen.

TPC-Tests in der Kritik: Preis und Logistik

Die TPC-Tests stehen aber auch in der Kritik. Einerseits sind sie extrem teuer. Allein die Streckenmiete kann pro Tag bis zu 50.000 Euro betragen. Dazu kommt die Logistik: Alpine ist mit zwei Trucks aus England für Auto und Ersatzteile unterwegs, dazu kommt ein Truck aus Frankreich für den Motor. Rund 30 Teammitglieder sind bei einem Test vor Ort. Täglich werde Reifen im Wert von deutlich mehr als 10.000 Euro verbraucht.

Dazu kommt das Auto selbst. Im Falle von Alpine halten sich die Kosten hierfür in Grenzen, weil man den Motor nicht extra bezahlen muss. Für Kundenteams ist das eine exorbitant teure Angelegenheit. So kann für einen einzigen Testtag in Summe schon eine halbe Millionen Euro fällig werden. Deshalb ist es kein Wunder, dass vor allem die Strolls und Mazepins dieser Welt besonders gut vorbereitet in die Formel 1 kamen. Wenn die Fahrer für Tests bezahlen, sind die TPC-Tests sogar eine gute Einnahmequelle für die Teams.

Aber nicht nur für die Fahrer wird getestet. "Man lernt jeden Tag", gesteht Karel Loos. Auch für die Ingenieure sind solche TPC-Tage ein gefundenes Fressen. Einerseits können neue Ingenieure ohne Druck ausgebildet werden, andererseits lernen auch die alten Hasen noch etwas über das Auto. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass im ersten Jahr der Ground-Effekt-Autos im TPC-Reglement die Testtage explodierten. Ein Team soll bei der FIA, bei der die Tests im Voraus bekanntgegeben werden müssen, bis zu 30 Testtage angegeben haben. Dabei sitzen nicht immer Nachwuchsfahrer im Auto.

Nutzen Teams die Tests aus?

Direkt vor dem Kanada GP testete McLaren mit Lando Norris und Oscar Piastri auf dem Red Bull Ring. Nach Monaco sorgte ein TPC-Test von Max Verstappen in Imola für Schlagzeilen. "Ich beschwere mich nicht über sie, das war alles Regel-konform, völlig in Ordnung. Aber es ist mehr Entwicklungsarbeit als etwas anderes. Es geht nicht darum, Max zwischen Barcelona und Österreich Kilometer zu geben", kritisierte Ferrari-Teamchef Fred Vasseur. Red Bull gab selbst zu, nach dem misslungenen Monaco-Auftritt beim TPC-Test am Setup gearbeitet zu haben.

Welche Formel-1-Rennstrecke ist das denn? (10:03 Min.)

Das erlaubt das Reglement, solange nur Komponenten eingesetzt werden, die so auch 2022 bei einem Rennen zum Einsatz kamen. Im Fahrerlager gibt es aber durchaus Zweifel, ob die FIA bei jedem einzelnen TPC-Test alles überwachen kann.

Der Automobilweltverband darf zwar Beobachter zu den Tests schicken, wie oft das passiert, ist aber unklar. Deshalb werden die TPC-Regeln zuletzt wieder vermehrt diskutiert. Ein Vorhaben, die TPC-Testtage zumindest für Stammfahrer auf zwei pro Saison zu beschränken, scheiterte bislang.

Dir gefallen solche Artikel? Dann ist unser Print-Magazin mit Sicherheit das Richtige für dich. Sechs Mal im Jahr erwarten dich detaillierte Analysen, exklusive Interviews, spannende Statistiken und vieles mehr: