Überraschung an der Nordseeküste: Nach einem bislang erneut enttäuschend verlaufendem Wochenende, drehte Ferrari beim Formel-1-GP in Zandvoort das Blatt und beendete das Rennen mit Charles Leclerc und Carlos Sainz auf den Positionen drei und fünf. Leclerc bescherte der Scuderia damit den ersten Podestplatz aus eigener Kraft seit seinem Sieg in Monaco Ende Mai. In der Zwischenzeit hatte lediglich Sainz in Österreich P3 nach einer Kollision zwischen Lando Norris und Max Verstappen sowie Leclerc in Spa nach der Disqualifikation von George Russell geerbt.

Und das, nachdem Leclerc im Qualifying am Samstag noch abgeschlagen Sechster geworden war - mit mehr als neun Zehntelsekunden auf die Pole-Zeit. Ein Performance-Umschwung, der nicht nur Beobachter überraschte, sondern auch Ferrari selbst. "Ich bin sehr, sehr überrascht", gab Leclerc unumwunden zu. "Ich bin nicht oft zufrieden mit P3, aber mit dem Rennen heute können wir sehr zufrieden mit dem Job sein, den wir heute an einem schwierigen Wochenende gemacht haben."

Leclerc per Undercut-Strategie zum Zandvoort-Podium

"Wir haben vom Freitag bis zum Rennen gestrauchelt", so Leclerc weiter. "Im Rennen haben wir etwas mehr Pace gefunden und eine perfekte Strategie ausgeführt." Nachdem Leclerc bereits am Start Sergio Perez hinter sich gelassen hatte, beorderte Ferrari den sechsfachen GP-Sieger nach 24 von 72 Runden als ersten Fahrer der Spitzengruppe zu seinem Boxenstopp von Mediums auf Hards. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Leclerc in einem Dreikampf unmittelbar hinter Oscar Piastri, der seinerseits Russell jagte.

Der Undercut-Versuch machte sich bezahlt. Obwohl Leclerc vor dem Stopp fast zwei Sekunden Rückstand auf Russell hatte, der direkt eine Runde nach dem Ferrari-Pilot an die Box kam, blieb Leclerc deutlich vor dem Mercedes-Fahrer. In der Folge setzte sich Leclerc zunehmend von Russell ab und musste sich in der zweiten Rennhälfte gegen Piastri verteidigen, der erst neun Runden nach Leclerc an die Box und dementsprechend hinter dem 26-Jährigen wieder auf die Strecke kam.

McLaren-Pilot Oscar Piastri im Zweikampf mit Charles Leclerc im Ferrari
Leclerc lieferte sich ein enges Duell mit Oscar Piastri, Foto: LAT Images

Immer wieder versuchte Piastri ein Manöver, doch vorbei kam der McLaren-Pilot trotz des Reifenvorteils nicht und musste im Schlussspurt abreißen lassen. Schlussendlich setzte sich Leclerc mit 1,898 Sekunden Vorsprung auf Piastri im Kampf um den letzten Podestplatz durch. "Ich hätte niemals gedacht, dass ich nach so einem schwierigen Wochenende für das Team auf dem Podium stehen würde", freute sich Leclerc über das Resultat.

Sainz kämpft sich mit Amsterdam-Manöver in die Top-5

Die Überraschung über das Ergebnis teilte sich Leclerc mit seinem Teamkollegen Carlos Sainz. Auch der Spanier legte von Startposition zehn eine Aufholjagd hin, ließ schnell die Mittelfeld-Konkurrenz hinter sich und fand sich über weite Strecken auf der siebten Position wieder. In der 47. Runde überholte Sainz schließlich Perez mit einem späten Bremsmanöver auf der Außenseite von Kurve 1.

"Es war ein spätes Manöver bei Checo, weil er mich jedes Mal nach links in Richtung des Kiesbetts gedrückt hat, wenn ich versucht habe, auf der Außenseite vorbeizugehen", berichtete Sainz. "Und ich habe gesagt: 'Okay, wenn ich es zu Ende bringen will, muss ich in Amsterdam bremsen.' Ich habe in Amsterdam gebremst und dachte, ich würde die Kurve komplett verpassen, aber ich habe es auf der Außenseite zu Ende gebracht."

Ferrari-Pilot Carlos Sainz Jr. überholt Sergio Perez im Red Bull
Sainz ging mit einem aggressiven Manöver an Perez vorbei, Foto: LAT Images

Anschließend profitierte der dreifache GP-Sieger von den Reifenverschleiß-Problemen bei Mercedes, die Russell zu einem zweiten Stopp zwangen, wobei sich Sainz schon zuvor im DRS-Fenster des Briten befunden hatte. Im Ziel hatte Sainz schließlich sogar nicht einmal sieben Sekunden Rückstand auf den letzten Podestplatz. "Es war etwas überraschend für mich", schloss sich der 29-Jährige dem Urteil Leclercs zur Ferrari-Performance an. "Unsere besten Vorhersagen bezüglich der Schadensbegrenzung heute waren P7, P8. Es also tatsächlich bis auf P5 zu schaffen, ist besser als erwartet. Ich hätte nie erwartet, auf einer Strecke wie dieser einen Red Bull und Mercedes zu überholen, aber es ist wahr, dass unsere Pace heute sehr, sehr stark war."

Ferrari rätselt: Woher kommt der Performance-Aufschwung?

Die positive Überraschung im Rennen stellt Ferrari nun allerdings vor einige ungelöste Fragen im Hinblick auf den plötzlichen Performance-Umschwung. "Die größte Frage ist zu verstehen, warum wir gestern neun Zehntel weg und heute plötzlich ziemlich stark waren", meinte Leclerc. "Das Auto ist genau das Gleiche. Gestern haben wir wie verrückt gestrauchelt und heute waren wir stark. Das sind die Dinge, an denen wir arbeiten müssen. So sehr wir auch jede negative Überraschung, die wir während einer Saison haben analysieren, müssen wir auch verstehen, wenn wir etwas gut machen. Ich denke nicht, dass wir als Team im Moment die Erklärung haben."

"Ich bin ins Q3 wirklich auf Basis purer Pace nicht eingezogen" rief auch Sainz noch einmal das schwierige Qualifying ins Gedächtnis. "Natürlich bin ich am Wochenende nicht gefahren, aber ehrlich gesagt hat sich das Auto überhaupt nicht gut angefühlt. Es war ein ziemlich miserabler Tag für uns alle bei Ferrari."

Ferrari-Fahrer Carlos Sainz Jr. im Paddock
Fordert eine bessere Balance zwischen Qualifying und Rennen: Carlos Sainz, Foto: LAT Images

Doch schon die Installationsrunden am Sonntag hätten sich sogleich besser angefühlt, fuhr Sainz fort. "Ich verstehe es nicht, ich glaube niemand tut das. Nicht einmal Red Bull und Mercedes verstehen, warum sie manchmal schnell sind und ein anderes Mal langsam. Das ist die Formel 1 heutzutage", meinte der 197-fache GP-Starter. "Diese Autos sind extrem kompliziert und die Einzigen, die so wirken, als wüssten sie, was sie tun, sind McLaren."

Ferrari mit Rückenwind zum Monza-Heimspiel - und mit Update

Grundsätzlich sticht in dieser Saison oftmals ein Performance-Aufschwung bei Ferrari vom Qualifying ins Rennen ins Auge - besonders im Vergleich zum Vorjahr, wo oftmals das Gegenteil der Fall war. "Wir scheinen eine Schwäche zu haben, die Reifen zum Leben zu erwecken", mutmaßte Sainz. "Die Punkte werden am Sonntag vergeben. Ich habe lieber ein Auto, das es mir erlaubt, am Sonntag zu attackieren. Aber wir müssen die richtige Balance zwischen dem Qualifying und dem Rennen finden", forderte der zukünftige Williams-Pilot. Ferrari-Teamchef Fred Vasseur konnte den aktuellen Umständen nach dem Rennen in Zandvoort jedoch auch etwas Positives abgewinnen: "Letztes Jahr waren wir besser im Qualifying und jeder hat sich beschwert. Heute ist es das Gegenteil."

Fest steht: Das Podest in Zandvoort liefert Ferrari zumindest etwas Rückenwind pünktlich zum wichtigen Heimspiel in Monza. Beim Italien-GP soll der SF-24 zudem mit einem umfangreichen Update-Paket aufwarten. Der Ferrari-Bolide wird in Monza jedoch nicht die einzige Neuerung sein. Mit Mercedes-Juwel Andrea Kimi Antonelli wird zudem auch ein Fahrer sein Debüt in einer offiziellen Formel-1-Session am nächsten Wochenende geben. Alle Details zur Premiere des Italieners in der Formel 1 lest Ihr in diesem Artikel: