Langsam aber sicher neigt sich die Sommerpause der Formel 1 ihrem Ende zu. Nächste Woche reist der ganze Tross schon wieder nach Zandvoort. Höchste Zeit also, dass wir uns im Sommer-Fazit den Top-Teams zuwenden. Das erste in der Reihe: Mercedes. Wer hätte die Silberpfeile nach dem miserablen Saisonauftakt zur Jahreshälfte überhaupt im Kreis der Top-Teams zurückerwartet? Wohl die wenigsten. Doch in den letzten sechs Rennen vor der Sommerpause beeindruckte das Werksteam mit dem Comeback: Drei Siege und drei weitere Podestplätze katapultieren die Silberpfeile beinahe zurück ins Rennen um den Konstrukteurstitel. Entsprechend facettenreich fällt die Sommer-Bilanz für Mercedes aus.
Ziel vs. Realität:
Die Zielsetzung für die Formel-1-Saison 2024 wurde gewohnt bescheiden formuliert: Zum einen den Platz in der Verfolgergruppe behaupten, zum anderen Red Bull dichter auf den Fersen sein. Dazu wurde das Fahrzeug über den Winter radikal umgebaut. Über die Saison hinweg sollte die Entwicklung des Autos weiter optimiert und das Potenzial des neuen Designs ausgeschöpft werden. Beide Fahrer bemerkten schon bei den Testfahrten die Verbesserungen des W15 gegenüber dem Vorjahresmodell. Ob nach einem sieglosen Jahr 2023 der ersehnte Triumph möglich sei, ließen sie jedoch vorsichtig offen.
Die Zurückhaltung erwies sich erst einmal als richtig. Mercedes legte den dritten Fehlstart in Folge hin. Doch anders als 2022 und 2023 gelang es der Mannschaft von Toto Wolff und James Allison diesmal, das Blatt zu wenden. So kann Mercedes zur Sommerpause überraschend drei glänzende Siegerpokale präsentieren. Einen geerbten, zwei aus eigener Kraft erkämpfte. Pace-Probleme und strategische Fehlgriffe ließen die Lage von Mercedes zunächst aber noch düster erscheinen. Nachdem sie die vorangegangene Saison als Vizeweltmeister beendet hatten, lagen sie im ersten Saisonviertel 2024 mit einer schockierenden Performance hinter Red Bull, Ferrari und McLaren zurück. Dort steht Mercedes mit 266 Punkten und dem vierten Platz in der Konstrukteurswertung auf dem Papier zwar immer noch, aber ihre Performance erlebte einen markanten Aufschwung.
Bis zum neunten Rennen in Kanada dauerte es 2024, dass ein Mercedes-Pilot auf dem Podium stand - seither gelang dem Team dieses Kunststück an jedem Wochenende. Die durchschnittliche Position im Rennen verbesserten beide Fahrer von 7,6 in den ersten acht Saisonrennen auf 2,7 für Hamilton und 4,0 für Russell in den letzten sechs Rennen. Sogar Red Bull konnten sie auf der Strecke teilweise hinter sich lassen. Der Performance-Sprung kurz vor der Sommerpause könnte der Beginn einer ernsthaften Aufholjagd sein.
Entwicklung 2024:
Der Aufwärtstrend verdankt sich einem kontinuierlich und grundlegend verbesserten Fahrzeug. Vor Saisonbeginn waren die Erwartungen an den W15 mit neuer Design-Philosophie groß. Fast jede Komponente am Auto wurde verändert. Anfangs hatte sich die Fahrbarkeit verbessert, doch auf der Suche nach mehr Abtrieb kehrte das ungeliebte Bouncing zurück. Das bedeutete Fehleranalyse und jede Menge Entwicklungsarbeit, denn ein Patentrezept gibt es in der Königsklasse nicht. Hauptproblem: Die Windkanaldaten korrelierten nicht mit dem, was der Bolide auf der Strecke leistete und die Frustration über die unverhofft schwache Performance wuchs.
Für Mercedes wurde es zur Herkulesaufgabe, das Potenzial des W15 zu entfesseln und den Sweet Spot des Fahrzeugs zu finden. Das Team machte einen mehr und mehr hilflosen Eindruck, denn es schien sich seit Anbruch der aktuellen Regel-Generation im Kreis zu drehen. Trotz zahlreicher Rückschläge hielten sie aber daran fest, dass die Entwicklungsrichtung über den Winter richtig war und auf einmal kam der erlösende Durchbruch. Insgesamt 16 performanceverbessernde Updates an Unterboden, Heckflügel, Frontflügel, Vorderradaufhängung sowie vorderer Bremskühlung zielten hauptsächlich darauf ab, den Abtrieb zu erhöhen, die Aerodynamik zu optimieren sowie die Gesamtstabilität des Autos zu verbessern. Imola, Monaco, Kanada - über drei Rennwochenenden hinweg wurden Upgrades vorgenommen und der Zick-Zack-Entwicklungskurs erfolgreich begradigt.
Toto Wolff versprach nach dem ersten Lichtblick in Kanada nicht zu viel: Mercedes hatte das fehlende Puzzlestück tatsächlich gefunden. Rätselraten, adé! Wochenende für Wochenende gewann der Silberpfeil an Performance und schloss in kleinen Schritten die Lücke nach vorne. Allerspätestens beim Triple-Header im Sommer, der beiden Fahrern je einen Sieg bescherte, etablierten sie sich zurück im Kreis der Spitzenteams. In den Wochen vor der Sommerpause gab Mercedes den Ton im Upgrade-Rennen an.
Mercedes 2024: Von Misserfolgen zu Meisterleistungen
Höhepunkt 2024: Silverstone-Spektakel bestätigt Mercedes-Comeback
Das wohl größte Ausrufezeichen ihrer ersten Jahreshälfte haben die Silberpfeile auf heimischem Boden gesetzt, nur rund zehn Meilen entfernt von ihrer F1-Fabrik. Erste Startreihe für Lewis Hamilton und George Russell beim Großbritannien-GP. Damit dürften auch die letzten Zweifel darüber, ob das Mercedes-Comeback real ist, ausgeräumt worden sein. Vergoldet wurde die gute Ausgangslage durch den ersten Hamilton-Sieg nach zweieinhalb Jahren Durststrecke. Einziger Wermutstropfen: Das britische Mercedes-Duo konnte keinen doppelten Heimsieg auf dem Podium zelebrieren, denn Russell fiel mit einem technischen Defekt aus. Trotzdem bekannte Russell entschlossen: "Wir sind eindeutig zurück und werden von jetzt an öfter um Rennsiege kämpfen!"
Tiefpunkt 2024: Australien-Albtraum verschärft Silberpfeil-Krise
Solch euphorische Töne? Nach den ersten drei Saisonrennen noch undenkbar. Bei Mercedes war Krisenmanagement angesagt. Schlappe 26 Punkte nach drei Grand-Prix-Wochenenden bedeuteten den schlechtesten Saisonstart des erfolgsverwöhnten Teams seit 2012. Das Doppel-DNF in Australien wegen eines Motorschadens bei Hamilton und eines Abflugs von Russell war nur die offenkundige Spitze des Eisbergs - die Probleme von Mercedes weitaus gravierender. Der W15 zeigte in Bahrain, Saudi-Arabien und Australien durchweg eine besorgniserregende Performance. Setup-Experimente, strategische Kniffe - nichts half. Das Fahrzeugpaket offenbarte fundamentale Schwächen.
Lewis Hamilton und George Russell: Übernimmt die neue Generation nun das Zepter?
Lewis Hamilton
WM: 6. Platz (150 Punkte)
Note im MSM-Ranking: 2,70 (8. Platz)
Der angekündigte Wechsel zu Ferrari für 2025 ließ das Bündnis zwischen Lewis Hamilton und Mercedes schon vor Saisonbeginn in unruhigem Fahrwasser zurück. Disharmonie herrschte auch zwischen Fahrer und Fahrzeug, denn Hamilton kämpfte anfangs mit fehlendem Vertrauen in den W15 und verrannte sich in Setup-Experimente. In der Qualifikation quälte er sich mit enormen Problemen. Oft blieb er weit hinter seinem Teamkollegen zurück und unterliegt zur Sommerpause im teaminternen Quali-Duell mit 4:10, im Rennen steht es 6:8. Zwischendurch musste sich der zukünftige Ferrari-Pilot Vorwürfe gefallen lassen, er hätte den Ehrgeiz und die Lust verloren, sei mit seinem Auto unzufrieden und daher gedanklich bereits bei Ferrari. Doch in einem Punkt scheinen Hamilton und Mercedes immer noch eins zu sein: Mit verbesserter Fahrzeug-Performance wurde auch Hamilton leistungsfähiger und seit Mercedes wieder um den Platz ganz oben auf dem Podium kämpft, meldet sich der Rekordsieger stark zurück. Mit dem neunten Heimsieg in Silverstone schmetterte Hamilton jegliche Zweifel an seiner Motivation nieder.
George Russell
WM: 8. Platz (116 Punkte)
Note im MSM-Ranking: 2,48 (7. Platz)
Zu Beginn der Saison bahnte sich schon der Mercedes-interne Führungswechsel an, als George Russell in Serie über den siebenfachen Champion triumphierte. Unter Druck zeigte sich der 26-Jährige gelegentlich noch fehleranfällig - wie etwa in Kanada, als er neben die Strecke rutschte und somit die Chance auf einen Kampf um den Sieg verpasste. Nichtsdestotrotz entwickelt er sich zunehmend zur Nummer 1 im Team. Der WM-Stand gegen den Teamkollegen spiegelt nur die halbe Wahrheit des Kräfteverhältnisses wider. Seitdem Mercedes wieder ganz vorne mitfährt, hatte Russell nämlich zweimal unverschuldet großes Pech: In Silverstone fiel der Polesetter mit seinem siegfähigen Silberpfeil wegen eines Wasserlecks aus. In Spa wurde er nachträglich disqualifiziert, nachdem er sich durch einen strategischen Geniestreich den Sieg über seinen Teamkollegen gesichert hatte.
Fazit und Ausblick:
Mercedes hat in den ersten fünf Monaten bis zur Sommerpause eine erfolgreiche Fahrzeugrevolution vorgeführt. Nach zwei gescheiterten Versuchen, die widerspenstige Diva in eine strahlende Göttin zu verwandeln, gelang der Mannschaft aus Brackley und Brixworth 2024 die lang erwartete Wende. Mit einem durchdachten und kontinuierlichen Entwicklungsansatz überwand das Team den holprigen Saisonstart und drehte die Ergebnisse zu seinen Gunsten. Comeback? Voll Geglückt! Doch die Wende kam möglicherweise einen Tick zu spät, um noch ernsthaft in den Titelkampf einzugreifen. Ab Zandvoort wird es für Mercedes darauf ankommen, als Taktgeber im Entwicklungsrennen zu agieren und den Aufwärtstrend fortzusetzen, damit es nicht bei einem flüchtigen Sommerflirt mit der Spitzenposition bleibt. Red Bull, McLaren und Ferrari werden ihren Verfolger sicherlich auf die Probe stellen wollen. Ein Hoffnungsschimmer für 2025 bleibt: Alles, was den W15 noch in dieser Saison schneller macht, wird auch im Übergangsjahr vor dem großen Regelumbruch von Nutzen sein. Lewis Hamilton sitzt dann allerdings nicht mehr im Silberpfeil. Wer sein Nachfolger am Lenkrad des W16 wird, dürfte die andere entscheidende Frage sein, die es für das Team in den kommenden Wochen zu klären gibt.
Mercedes darf sich zur Sommerpause darüber freuen, wieder ganz vorne um den Sieg mitzukämpfen. Nicht so Aston Martin, die von ihren Ambitionen dieses Jahr noch weiter entfernt sind als im Vorjahr. In diesem Artikel ziehen wir Bilanz zu ihrer bisherigen Formel-1-Saison:
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