Der Zweikampf Max Verstappen gegen Lando Norris ist heute bei der Formel 1 in Silverstone wieder startbereit. Aber nicht im erwarteten Format. Nur aus der zweiten Reihe fahren die beiden Kontrahenten der letzten Wochen los, denn im Qualifying wurden sie von Mercedes übertölpelt. Muss der Favoritencheck deshalb nun von einem Vierkampf im Rennen sprechen?

Abgetan werden kann Mercedes' Leistung nämlich zumindest im Hinblick auf den Samstag nicht. Klar, Verstappen fuhr sich bei einem Kiesbett-Ausritt den Unterboden kaputt. Seine fehlenden vier Zehntel sind also schnell erklärt. Für das Rennen soll repariert werden. Im Notfall hat Red Bull noch einen Ersatz-Unterboden der neuen Spezifikation parat. Damit sollte das Qualifying für ihn keine weiteren Folgen haben außer den schwachen vierten Startplatz.

Was das Qualifying aber sehr wohl verdeutlichte: Weder McLaren noch Red Bull hatten einen ausreichenden Pace-Puffer, um sich gegen Mercedes Fehler zu leisten. Lando Norris war im Kampf um die Pole absolut dabei, nur machte er auf der entscheidenden Runde einen Fehler. Bei einer sich nach Regen schnell entwickelnden Strecke war er damit plötzlich zwei Zehntel hinter George Russell und ein paar Hundertstel hinter Lewis Hamilton nur mehr Dritter.

Wo liegen in Silverstone die Stärken von Mercedes?

Mercedes war auf der anderen Seite von der guten Qualifying-Leistung selbst etwas überrascht. Am Freitag war das Auto auf dem Soft-Reifen nämlich schlicht nicht gut genug gewesen. Was Russell und Hamilton entgegenkam, war ihr heimisches englisches Wetter. Viel Regen, der zwar nicht bis zum Qualifying hielt, aber trotzdem einen großen Temperatursturz auslöste.

Schon seit dem Vorjahr sind die Mercedes inzwischen dafür bekannt, sich mit dem Reifen-Arbeitsfenster bei kühlen Temperaturen leichter zu tun. Zu einhundert Prozent sicher ist sich das Team bei den Gründen aber nicht. Die Konkurrenz ortet währenddessen einen Qualifying-Vorteil beim Aero-Paket.

"Wir haben einen Kompromiss, nicht so extrem wie Mercedes denke ich", schätzt Red Bulls Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com die Setup-Lage für das Rennen ein. "Ich glaube, mit dem Flügel, den Mercedes hat, dass McLaren unser größter Gegner ist. Oder wir für sie. Wir müssen erst einmal vorbei."

Topspeedschwacher McLaren in Silverstone ein Problem?

Der durch die Wetterbedingungen geschaffene Mercedes-Vorteil nivelliert sich über die Renndistanz. Beim Abtriebs-Level sind sich die Spitzenteams dafür generell uneins. Red Bull fährt mit nicht unwesentlich viel Flügel, profitierte aber vom wie üblich starken DRS-Effekt des Autos, wenn es im Qualifying um den absoluten Topspeed ging. Hier fiel McLaren negativ auf.

Zwar lag Oscar Piastri in der Topspeed-Wertung sogar ganz vorne, doch das lag daran, dass McLaren das Timing seines letzten Q3-Schusses vergeigte. Bei ablaufender Uhr musste Piastri seine entscheidende Runde im Getriebe von Carlos Sainz beginnen. "Hilfreich für die Geraden, nicht so sehr für die Kurven", meinte er danach lakonisch. Deshalb steht er nur auf Startplatz fünf.

Bei vergleichbaren Bedingungen ist der McLaren-Topspeed mit offenem DRS eher mager. Das ist schlecht, wenn man von den Plätzen drei und fünf losfahren muss. Extra für Silverstone hatte das Team gleich drei Beam-Wing-Optionen und einen für den Streckentypus adaptierten Heckflügel angekarrt und sich schließlich für ordentlich Abtrieb entschieden.

Wie sieht die Strategie im Rennen von Silverstone aus?

Mehr Abtrieb kann dem Reifenverschleiß helfen, und besonders bei wenig Grip im Regen sich auszahlen. Aber es ist eine delikate Balance. Auf dem Papier ist Silverstone für die moderne Formel 1 eine Low-Downforce-Strecke, weil viele der schnellen Kurven mit Vollgas gefahren werden, unabhängig vom Flügel-Level.

Die Reifenabnutzung ist außerdem nicht besonders groß. Aufgrund der hohen Belastungen durch die hohen Kurvengeschwindigkeiten hat Pirelli die drei härtesten Mischungen am Start, aber es sind eben diese Belastungen, die den Ausschlag geben. Nicht der Verschleiß. Nur der Soft zeigte sich in den Longruns am Freitag anfällig für Oberflächen-Überhitzung und Graining. Und das kann man in der Startphase managen.

Deshalb rechnet Pirelli auch fest mit einer Soft-Medium-Einstopp. Denn der Soft ist in Sachen absoluter Pace deutlich schneller. Ab Runde 16 ist schon ein Wechsel auf Hard möglich, aber etwas länger aushalten und mit Medium fertigfahren ist zu bevorzugen.

Wie gefährlich ist Mercedes in Silverstone wirklich?

Die Mercedes-Piloten wehten nach dem Qualifying Suggestionen ab, wonach sie das Rennen hintenangestellt hätten. "Ich war vorsichtig mit meinem Setup, mehr in Richtung einer guten Balance für das Rennen anstatt für eine Runde", versicherte Hamilton. "Ich glaube schon, dass das Auto morgen gut sein wird."

Lewis Hamilton und Mercedes-Teamkollege George Russel in der Boxengasse
Mercedes hat sich in der Spitzengruppe etabliert, Foto: LAT Images

Gut möglich ist aber, dass Mercedes grundsätzlich einfach nicht die Renn-Pace hat. Unabhängig davon, wie gut die Setups sind. Eineinhalb bis zwei Zehntel Rückstand könnten die harte Realität sein. In den Freitags-Longruns hielten sich Norris und Verstappen vorne die Waage. Selbst wenn sie nur aus der zweiten Reihe losfahren, so nennen alle diese beiden als die ersten Favoriten.

Norris mahnt trotzdem: Der Mercedes ist gut darin, seine Vorderachse zu schonen. Trotzdem ist er auch selbst zuversichtlich, was seine Rennpace angeht: "War zuletzt wohl eine unserer Stärken. Tatsächlich Renn-Pace vor Quali-Pace. Aber das hier ist eine ganz andere Art von Strecke."

Sind alle bereit für den großen Silverstone-Regen?

Ganz anders ist natürlich auch das Wetter in Silverstone. Notorisch unberechenbar, kann man sich den Blick auf die Prognosen für heute eigentlich sparen. Alles, was es zu wissen gibt: Der Regen hängt den ganzen Tag in der Luft. Wenn er kommt, dann werden für einige hier im Kampf um den Sieg sehr schnell Erinnerungen an Kanada wach.

Aston Martin-Fahrer Fernando Alonso
Regen ist heute in Silverstone bei weitem nicht auszuschließen, Foto: LAT Images

Max Verstappen gewann dort, weil er fast perfekt war. Seine Verfolger haben dazugelernt. Ob bei Strategie, wie im Falle McLaren, oder beim Mindset, wie George Russell enthüllt: "In Montreal war mein Risiko-zu-Belohnung-Setting bis zum Anschlag aufgedreht. Das hat an einigen Stellen gegen mich gespielt. Jetzt denke ich dran, dass Rennen am Schluss gewonnen werden, egal was davor passiert. War eine gute Lernerfahrung für mich."

Kanada GP in der Analyse: So schenkten Norris und Russell Verstappen den Sieg

Zugleich zeigte Red Bull vor einer Woche in Österreich, dass man durchaus auch noch Fehler machen kann. Wenn der unberechenbare Regen also kommt, dann kann man Pace-Prognosen wohl auch getrost aus dem Fenster werfen.

Realistisch gesehen ist der Favoritenkreis sicherlich auf Mercedes, McLaren und Verstappen beschränkt. Ferrari hadert weiter mit Updates, baute nun sogar auf die Imola-Spezifikation zurück. Sergio Perez startet nach Dreher im Qualifying vom vorletzten Startplatz. Die Hoffnungen halten sich hier in Grenzen.

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