"Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen." Das Zitat des ehemaligen britischen Fußballers Gary Lineker ist legendär. Die Formel 1 ist in den letzten Jahren ebenfalls ein einfaches Spiel: 20 Piloten fahren 305 Kilometer im Kreis und am Ende gewinnt immer Max Verstappen. Es scheint, als könne passieren was wolle: Max Verstappen gewinnt. So auch beim Kanada GP.

Dabei schienen sowohl McLaren als auch Mercedes im Rennen schneller gewesen zu sein. George Russell und Lando Norris träumten jeweils von ihrem zweiten F1-Sieg, am Ende wurde es aber Max Verstappen, der seinen 60. GP-Erfolg feierte. Motorsport-Magazin.com erklärt, wie der Red-Bull-Pilot in Montreal zu seinem sechsten Sieg in der Formel-1-Siason 2024 kam.

Auf nasser Strecke begann der Grand Prix an der Spitze recht unspektakulär: Russell verwandelte die Pole Position in die Führung, dahinter folgten wie schon in der Qualifikation Verstappen und Norris. Während der Weltmeister an Russell dranblieb, musste Norris ab Runde fünf abreißen lassen.

Norris fliegt auf alten Intermediates zur Führung

In Runde zehn hatte Norris bereits über zehn Sekunden Rückstand auf Russell, auf Verstappen fehlten knapp neun Sekunden. Dann aber zündete Norris den Turbo. Bei Russell und Verstappen brachen die Rundenzeiten nicht ein, die Intermediates erlaubten auf weiter abtrocknender Strecke noch immer von Runde zu Runde schnellere Zeiten - aber Norris konnte noch deutlich stärker zulegen.

Phasenweise fuhr Norris drei Sekunden schneller als Russell und zwei Sekunden schneller als Verstappen. In Runde 20 ging der McLaren-Pilot schließlich an Verstappen vorbei, eine Runde später übernahm er mit einem Überholmanöver gegen Russell die Führung. Dabei half ihm auch, dass die Rennleitung unmittelbar zuvor DRS freigegeben hatte.

Beim gescheiterten Versuch, die Führung gegen Norris zu verteidigen, verlor Russell auch noch Position zwei an Verstappen. Der Niederländer schien zuvor etwas schneller, kam aber an Russell nicht vorbei.

Doch auch in freier Fahrt konnte der Weltmeister die Rundenzeiten von Norris nicht ansatzweise mitgehen. Der McLaren-Pilot fuhr bis zur Safety-Car-Phase in Runde 25 satte acht Sekunden Vorsprung heraus. "Das war keine Magie, wir haben nur Beginn die Reifen geschont", erklärte McLaren-Teamchef Andrea Stella die enorme Pace. Auch Oscar Piastri konnte ähnliche Rundenzeiten fahren.

Norris wird Opfer seiner eigenen Pace

Bitter: Die starke Pace wurde Norris gleich doppelt zum Verhängnis. Die Rennleitung schickte das Safety Car auf die Strecke, als der Brite unmittelbar vor der Boxeneinfahrt war - er war aber noch nicht vorbei. "Wir hatten etwa 1,5 Sekunden, um uns zu entscheiden", erklärte Stella. McLaren entschied sich zunächst dazu, draußen zu bleiben.

Eine Runde später kam Norris aber doch und verlor durch die verspätete Entscheidung die Plätze gegen Verstappen und Russell wieder. Denn während Norris auf das Safety Car auflief und das Tempo von Bernd Mayländer gehen musste, konnten die Konkurrenten im VSC-Speed fahren, bis sie ihrerseits auf Mayländer aufliefen. Das ungünstige Timing lässt Stella aber nicht als Ausrede gelten: "Wir hätten dem Fahrer schon zuvor sagen können, was im Falle eines Safety Cars passiert." Ganz überraschend kam die Rennneutralisation nach dem Sargeant-Unfall nicht.

Der zweite verhängnisvolle Teil der Norris-Pace war, dass seine Reifen vor dem Safety Car offensichtlich noch in gutem Zustand waren. Dadurch erschien ein Boxenstopp weniger lukrativ. Nach dem Rennen war der Brite natürlich schlauer: "Die Reifen waren fast Slicks. Wir hätten auch ohne Safety Car Reifen wechseln müssen." Allerdings spekulierte er kurz vor dem Safety Car noch mit einem Wechsel auf Trockenreifen. Das machte seinen Strategen die Entscheidung nicht einfacher.

Norris kann Pace hinter Russell nicht nutzen

Nach dem Restart half Verstappen die Track-Position. Weil die Pace-Unterschiede nicht mehr so groß waren, wurde Überholen schwieriger. Nach einem kurzen Schauer trocknete die Strecke erneut ab - und wieder schien Norris die beste Pace zu haben - allerdings hing er hinter Russell fest.

Als die Strecke trocken genug für Slicks war, wartete Norris. Wie schon am Ende des ersten Stints konnte er auf den abgefahrenen Intermediates die mit Abstand beste Pace fahren. In Runde 40 wechselte Pierre Gasly als erster Pilot zu einem sinnvollen Zeitpunkt auf Slicks und trat damit eine Wechsel-Welle los. Als erster Top-Pilot kam Lewis Hamilton in Runde 43. Oscar Piastri folgte in Runde 44, Max Verstappen und George Russell in Runde 45. Norris kam erst in Runde 47.

"Es war entscheidend, dass er nicht direkt nach Max gekommen ist", freute sich Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Als Norris aus der Box kam, lag er fast gleichauf mit Verstappen. "Aber seine Reifen waren kalt, Max hatte schon Temperatur in den Slicks. Dadurch hat er innerhalb eines Sektors drei Sekunden verloren", erklärt Horner seine Freude.

Norris sah den späten Wechsel nicht als Fehler: "Wir haben dadurch den Overcut gegen Russell geschafft." Doch der Mercedes-Pilot hatte dadurch ebenfalls schon warme Reifen und überholte Norris umgehend. Kurz nach den Boxenstopps hatte Norris eine Sekunde mehr Rückstand auf Verstappen als vor den Stopps - dabei war er zu diesem Zeitpunkt das schnellste Auto im Feld. Ein früherer Stopp hätte ihn tatsächlich noch einmal näher an Verstappen heran- oder sogar vorbeibringen können.

Mercedes auf Slicks am schnellsten

Durch einen Fehler von Russell konnte Norris aber wieder Platz zwei übernehmen - den er schließlich bis ins Ziel behielt. "Wir sind vor den Mercedes geblieben, obwohl sie im Trockenen das schnellste Auto hatten", konnte McLaren-Mann Stella dem Rennen noch etwas Positives abgewinnen.

Tatsächlich zeigte Mercedes auf trockener Strecke die beste Pace. Deshalb ärgerten sich beide Mercedes-Piloten nach dem Rennen, denn weder George Russell, noch Lewis Hamilton konnten die starke Pace umsetzen. Im ersten Stint hing Hamilton noch hinter Fernando Alonso fest, später aber konnte er das Tempo an der Spitze mitgehen.

Der frühe Wechsel auf Slicks hätte sich fast ausgezahlt, Hamilton war plötzlich der schnellste Pilot im Feld. Doch zunächst kostete ihn die Überrundung von Zhou Guanyu fünf Sekunden, später noch ein Ausflug in die Botanik wichtige Sekunden.

Als in Runde 54 das Safety Car noch einmal auf die Strecke ging, schaltete Mercedes schnell: Hamilton auf Platz fünf konnte ohne Positionsverlust noch einmal frische Reifen aufziehen. Russell verlor lediglich eine Position an Piastri, bekam dafür aber frische Mediums aufgezogen.

Im Schlusssprint zeigte sich erneut, dass Mercedes im Trockenen das schnellste Auto hatte. Russell allerdings verlor jegliche Chancen im Zweikampf mit Piastri, wodurch er zunächst auch noch hinter Hamilton zurückfiel. Als sich Russell wieder an Piastri und Hamilton vorbeigekämpft hatte, war das Rennen schon vorbei. Während Norris und McLaren das Rennen strategisch aus der Hand gaben, verlor Russell erst gegen Verstappen die Track-Position durch einen Fehler und im Schlusssprint die letzte Siegchance durch einen Fehler im Zweikampf mit Piastri.