Im 12. Rennen von 2024 scheint sich das Kräfteverhältnis an der Spitze der Formel 1 erstmals wirklich einzupendeln. Moment, was macht Nico Hülkenberg da vorne auf dem vierten Platz vor Max Verstappen? McLaren ging es am Freitag in Silverstone deutlich einfacher von der Hand als Red Bull. Die Trainings-Analyse von Motorsport-Magazin.com ist eine erste Warnung für die Konkurrenz von Lando Norris.

Norris holte am Freitag beide Bestzeiten und beendete das 2. Training mit 0,331 Sekunden Vorsprung auf Oscar Piastri. Sergio Perez war der erste Nicht-McLaren und lag schon über vier Zehntel zurück, Max Verstappen über sechs Zehntel. McLaren war von den Spitzenteams am schnellsten aussortiert. Nur zu Beginn von FP1 war Norris mit der Balance des MCL38 nicht zufrieden.

"Aber über die Session hinweg haben wir was angepasst und sind in ein viel besseres Fenster", so Norris. Wichtig in Silverstone, einer der klassischen Fahrerstrecken im F1-Kalender. Viele Highspeed-Kurven fordern das Vertrauen ins Auto. Umso beeindruckender ist, dass Nico Hülkenberg innerhalb nur weniger Minuten mit einem groß geupdateten Haas VF-24 gleich den vierten Platz belegte.

Was macht Nico Hülkenberg in Silverstone da vorne?

Haas hat einen komplett neuen Unterboden, einen neuen Seitenkasten mit der inzwischen zunehmend populären vorgezogenen Oberlippe und weitere neue Details an der hinteren Bremskühlung in Silverstone am Auto. Explizit war bei Haas das Angehen der Highspeed-Schwäche als Ziel ausgegeben worden. In FP1 fuhr nur Ferrari-Tester Oliver Bearman das Paket, ehe es Hülkenberg in FP2 fahren durfte.

"Auf jeden Fall spürt man ein paar Unterschiede, und vom Start weg war es positiv, aber wir müssen noch mehr verstehen und optimieren", urteilt Hülkenberg. Ein so starkes Training auf einer Strecke mit so vielen schwierigen Highspeed-Passagen ist klar ein positives Signal. Den vierten Platz in der Endabrechnung sollte man aber nicht überschätzen. Vergleicht man den Haas mit den direkten Verfolgern Leclerc im Ferrari und Hamilton im Mercedes, verlieren die verdächtig viel auf den Geraden. Das deutet auf einen stärker aufgedrehten Motor hin.

Wo Red Bulls Probleme in Silverstone liegen

Die wirklichen Kaliber drehten nicht so viel an der Leistung. Wenngleich Norris nach dem Training die Konkurrenz, besonders schwache Mercedes, hier des Versteckspiels verdächtigt. Weniger Red Bull. Dort ist man auch nicht der Meinung, dass man ausreichend in der Hinterhand hat, um Norris - Stand Freitagabend - abzufangen.

Der RB20 gewann gegenüber dem MCL38 nur durch die Highspeed-Kurven von Copse über Maggotts, Becketts und hinein in Chapel Zeit. Kaum mehr als eineinhalb Zehntel. Das ist ein ziemliches Problem, wenn man davor drei Zehntel nur in den zwei langsamen Ecken zu Beginn der Runde verliert. "Das Auto rutscht zu viel, ich glaube es ist mehr mechanisch", vermutet Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko. Das Update spielt keine nennenswerte Rolle. Ein leicht geänderter Unterboden bringt kaum mehr als ein halbes Zehntel.

Besonders im Qualifying-Trimm mit weichen Reifen und leeren Tanks ließ die Balance zu wünschen übrig. Auch im Highspeed war der RB20 etwas zu instabil. Hinein in Chapel verlor Verstappen auf seinem zweiten Versuch das Heck und musste eine Runde abschreiben, die ihn zumindest näher als sechs Zehntel an Norris herangebracht hatte. Markos Fazit: "Ein bis zwei Zehntel. Die verlieren wir wie gesagt im Sektor 1, in den Kurven 3 bis 4."

Verstappen und Norris fahren ihr eigenes Silverstone-Rennen

Im Longrun war Verstappen wie so oft mit der Balance glücklicher. Markos Feststellung, dass es ein Zweimannrennen ist, bestätigen die Zeiten. Etwas verzerren die letzten Minuten das Ergebnis, denn spät driftete ein Regenschauer über die Strecke. Mit Slicks blieb es ohne Probleme fahrbar, aber schmierig, und damit waren die letzten Runden nicht mehr wirklich sinnvoll.

Das ändert nichts daran, dass Verstappen und Norris auf Medium vorne wegfuhren. Unter dem Strich hielten sie sich in etwa die Waage. Norris fuhr auf älteren Reifen bessere Einzelzeiten. Der Rest des Spitzenfeldes kam in einem großen Block mit kleinem Respektabstand dahinter. Ein zum ersten Mal seit Wochen respektabel aufgestellter Sergio Perez holte zwar P3 in den Qualifying-Simulationen, war im Longrun aber weiterhin klar nicht auf Verstappen-Niveau.

Auch Oscar Piastri rückte von seinem Teamkollegen ab. Er fuhr aber primär auf Soft, hatte dort nur die Mercedes und Sainz als Gesellschaft. Das ist ein ganz anderer Reifen. Auf eine Runde gut 1,2 Sekunden schneller als der Medium, hat er jedoch als einziger der drei Mischungen in Silverstone ein Problem mit dem Überhitzen der Oberfläche, was sich sofort in Graining niederschlägt.

Ein Einstopp-Rennen ist an und für sich garantiert, und auch mit Soft möglich. Wer den in Sachen Zeit vom Stand weg doch signifikanten Soft-Vorteil am Start nutzen will, der muss sich auf deutlich mehr Reifenmanagement im ersten Renndrittel einstellen. Red Bull, Mercedes und Ferrari haben übrigens nur mehr je einen Satz Hard und einen Medium pro Fahrer. McLaren sparte als einzige Spitzenmannschaft zwei Medium. Dafür fehlt ihnen ein zusätzlicher Satz Soft.

Fragezeichen Ferrari: Im Test-Modus auf Augenhöhe mit schwachen Mercedes

Norris mutmaßte nach dem Training wie angesprochen einen sehr schwachen Motormodus bei Mercedes. Aber Lewis Hamilton fehlten sechseinhalb Zehntel, George Russell siebeneinhalb. Das ist ein ziemlicher Brocken. Noch überraschender ist, dass das Team auf Augenhöhe mit Ferrari agierte. Denn die Scuderia war am Freitag in Silverstone mit anderen Dingen beschäftigt.

Charles Leclerc und Carlos Sainz fuhren zwei unterschiedliche Autos mit Teile-Mischmasch. Da die Strecke praktisch perfekt dafür ist, die durch das Barcelona-Update ausgelösten Bouncing-Probleme im Highspeed-Bereich zu testen. Test-Setups sind nur performance-technisch keine Freude, wie Leclerc anmerkte: "Es war nicht besonders schnell, aber produktiv. Jetzt sind wir dabei, uns alles anzuschauen."

"Scheint so, als ob Red Bull und McLaren weit vorne wären", meint Leclerc trotzdem. Mercedes schien keine Experimente zu brauchen, um nicht besonders schnell zu sein. "FP2 war eine schwierige Angelegenheit", wundert sich George Russell nach einem positiven 1. Training. "Es war viel windiger, und ich glaube nicht, dass wir die Reifen ins richtige Fenster gebracht haben. Was einen großen Teil davon erklären könnte."

Für Ferrari, Mercedes und Red Bull, die noch keinen Setup-Sweetspot gefunden haben, steht eine ziemlich komplizierte Nacht an. Die Probleme können sie hier nicht isoliert betrachten. Zum einen theorisiert Pirelli darüber, die Reifendrücke aus Sicherheitsgründen anzuheben. Denn die Autos sind deutlich schneller als von den Simulationen vorausgesagt. Das könnte auf dem Soft eine Verstärkung der Graining-Problematik bringen.

Außerdem liegt Regen in der Luft. Wie in Silverstone üblich weiß niemand wirklich, wann der kommt, aber alle gehen fest davon aus, dass die Formel 1 ihm nicht entgehen werden kann. Auch das muss in die Kalkulationen des idealen Abtriebslevels mit einfließen. Zu viel davon könnte man im Trockenen teuer bezahlen.

Überraschungen im Hinterfeld? Chancen für alle in Silverstone

Wir können den Kreis so wieder mit Haas schließen. Die sind mit ihren neuen Teilen auf jeden Fall für den Kampf im Mittelfeld gut aufgestellt. Auf den Longruns überraschend gut war noch Williams, wie auch Alex Albon feststellt: "Wir haben viel mit Setup und Reifen experimentiert. Der Longrun sah sehr vielversprechend aus. Das zeigt, dass die Pace im Auto ist."

Mit einem zwölften Platz lieferte außerdem im Qualifying-Trimm Valtteri Bottas für Sauber ein Lebenszeichen. Die Lücken hintenraus sind eng. Hier sind Prognosen wirklich noch nicht möglich.