Auf Platz 4 ins Rennen gestartet und auf Platz 4 ins Ziel gekommen - soweit klingt es nach einem unspektakulären Spanien GP für George Russell. Nach dem Start hatte der Brite allerdings kurzzeitig schon eine Hand an der Siegertrophäe. Die Enttäuschung darüber, am Ende nicht einmal auf dem Podium gestanden zu haben, sei deshalb groß, gab Russell nach dem Rennen der Formel 1 in Barcelona zu.
Traumstart mit Kalkül: Russell überrumpelt seine Formel-1-Konkurrenten in Spanien
Mit einem Giganten-Start ging der Mercedes-Pilot direkt zu Beginn des Rennens in Führung. Teamkollege Lewis Hamilton, der neben Russell auf P3 startete, erwischte keinen guten Start. Lando Norris und Max Verstappen, die beide in der ersten Startreihe standen, überholte Russell hingegen mit einem sauberen Manöver auf der Außenseite in Kurve 1. Dies gelang dem Briten aus eigener Kraft - zumindest fast. Eine nicht unwesentliche Rolle auf dem langen Weg zur ersten Kurve spielte der Windschatteneffekt, wie in der nachstehenden Grafik abzulesen ist. Dieser verschaffte Russell einen Geschwindigkeitsvorteil von rund 20 km/h gegenüber Verstappen und Norris, die eigentlich gleich schnell ins Rennen starteten.
Von Position 4 zur Führungsposition auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya? Da werden nicht nur bei so manchem Formel-1-Fan, sondern auch bei Russell selbst Erinnerungen an Fernando Alonsos ikonischen Start beim Großen Preis von Spanien 2012 wach: "Ich erinnere mich immer daran, wie ich Fernando hier 2012 gesehen habe, wie er von P4 gestartet und in Führung gegangen ist. Ich wusste, dass es möglich ist."
"Ich habe von einem solchen Start letzte Nacht geträumt. Ich hatte vor, zu attackieren. Ich dachte aber nicht, dass der Wunsch in Erfüllung gehen würde", offenbarte Russell außerdem. Seinen Traumstart bereitete er nichtsdestotrotz während der Installationsrunden schon perfekt vor. Zusätzlich kam ihm der Wind zugute, wie der Brite erklärte: "Ich habe die Wetterprognose gesehen. Es gab Gegenwind in Kurve 1 hinein, was bedeutete, dass ich sehr spät und sehr hart in diese Kurve bremsen und die Jungs überrumpeln konnte. Ich habe vier Runden vor dem Weg in die Startaufstellung gedreht und auf jeder einzelnen Runde geübt, so spät wie möglich zu bremsen. Ich wusste, wo das Limit ist. Ich wusste, wie stark der Wind ist. Ich wusste, was mit dem Auto möglich ist. Dementsprechend war es ein kalkuliertes Risiko."
Vom Genuss der Führungsposition muss Russell sich aber schon mit Anfahrt auf Runde 3 von 66 verabschieden. Auf der langen Start/Ziel-Gerade kann Verstappen im Red Bull den enormen Straight-Line-Speed mit DRS-Vorteil ausspielen und am Mercedes vorbeifliegen. Umgehend reißt der Niederländer eine kleine Lücke zu seinem Verfolger auf.
Mercedes-Strategiefehler ruiniert Russells Formel-1-Rennen
Mit dem ersten Boxenstopp von Russell in Runde 15 kam ein weiterer Dämpfer, denn dort stand der Mercedes-Bolide über 5 Sekunden. Boxenstoppbereinigt warf ihn das positionsmäßig zwar nicht zurück, die Chance auf den Sieg war somit aber endgültig dahin. Außerdem hatte er Folgen für das weitere Rennen von Russell: "Der langsame Boxenstopp brachte uns für den zweiten Stint ins Hintertreffen und wir gerieten ein bisschen unter Druck."
Was folgte, war ein hartes Duell mit Norris um Platz 2. Zunächst konnte Russell das Überholmanöver vom McLaren-Fahrer kontern, doch letztlich entschied Norris den Schlagabtausch in Runde 35 für sich. Russell kam in der darauffolgenden Runde an die Box - der entscheidende Moment, der die Weichen für das weitere Rennen stellte. "Wir wechselten auf den harten Reifen, was ein ziemlicher Mist war", lautete Russells knappe Einschätzung.
Bei Mercedes hätten sie gewusst, dass der harte Reifen langsam sein würde, so Russell. Trotzdem verteidigte er die Entscheidung seines Teams: "Wir wollten das Risiko zwischen Lewis und mir aufteilen, da, wenn wir [den zweiten Stint; Anm. d. Red.] weiter ausgedehnt hätten, Charles hinter uns möglicherweise zu einer Bedrohung geworden wäre. Also hat es insgesamt das Risiko reduziert und wir konnten als Team P3 und P4 sichern. Das war es, worum es ging." Immerhin: Von Charles Leclerc wurde Russell nicht mehr geschnappt und er konnte den vierten Platz um vier Zehntelsekunden ins Ziel retten.
"George auf Hard zu setzen, war offensichtlich die falsche Strategie. Die Schuld lag klar auf der Seite des Teams. Wir hatten außerdem auch einen langsamen Boxenstopp", nahm Teamchef Toto Wolff im Nachgang seine Mannschaft in die Pflicht. Bereits am Freitag war zu erkennen, dass der weiße Reifen keinen Vorteil bringt. Er ist langsamer, hat weniger Grip und auch keinen ausschlaggebenden Vorteil, was den Reifenabbau angeht. Dementsprechend war Soft-Medium-Soft im Rennen die beste Strategie, wie sich im Endergebnis zeigt.
Gleichwohl verteidigte Wolff die Strategie-Entscheidung von Mercedes: Zwar wäre klar gewesen, dass der Soft-Reifen auf dieser Strecke der Stärkste und daher die bevorzugte Reifenwahl sein würde. Dennoch "waren wir ziemlich überzeugt davon, dass der harte Reifen der richtige sein würde", sagte Wolff in Bezug auf Russells Situation im Rennen. Anders als ein Teil der Konkurrenz hatten die Mercedes-Fahrer nämlich keinen frischen roten Reifensatz mehr. Dieser hätte vielleicht zwei weitere Runden gegeben, so Wolff. Weiterhin erklärte der Teamchef: "George war der erste, bei dem wir gewechselt haben. Dann haben wir gemerkt, dass das nicht gut geht. Lewis konnte den Stint ausdehnen und war der Profiteur dieser Erkenntnis."
Nach dem Formel-1-Wochenende in Kanada gab es Sabotage-Vorwürfe gegen Mercedes. Lewis Hamilton würde vom Team benachteiligt werden, hieß es. Alle Infos zu diesen Vorwürfen und wie Toto Wolff darauf reagierte, gibt es in diesem Video:
Schon nach wenigen Runden funkte Russell an den Mercedes-Kommandostand: "Dieser Reifen fühlt sich nicht gut an. Ich rutsche jetzt schon herum." Nachdem Hamilton ein paar Runden später auf die weichen Reifen wechselte, war er klar schneller als sein Teamkollege auf den älteren harten Reifen. Dementsprechend ging Hamilton in der 52. Runde in der ersten Kurve ohne große Anstrengung an Russell vorbei.
Mercedes zurück im Siegeskampf
Gepackt vom Teamgeist kann Russell die Enttäuschung über den verlorenen Podiumsplatz hinter sich lassen und legte den Fokus auf die positiven Aspekte, die das Team vom Formel-1-Wochenende in Spanien mitnimmt. Beide Mercedes-Fahrer waren am Ende etwa 20 Sekunden vom Sieg entfernt, was immer noch viel ist, wie sich Russell selbst eingestand. Aber: "Wir wissen, dass wir letzte Woche das schnellste Auto hatten. Man kann nicht jedes Wochenende das schnellste Auto haben."
"Definitiv ist Mercedes zurück im Kampf. Es waren nun ein paar Rennen in Folge, in denen wir mit um die vorderen Startreihen und um Podien kämpfen konnten", so Russell. Tatsächlich sieht alles danach aus, als ob Mercedes mit den neuen Teilen am Fahrzeug den Schlüssel zum Erfolg endlich wieder gefunden hat. Russell jedenfalls sieht das Momentum klar auf der Seite von Mercedes und ist überzeugt davon, dass das Team mit den nächsten Updates die richtigen Schritte gehen wird, um einen großen Sprung zu machen. "Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Jahr Rennen gewinnen werden."
Der Erfolg in Barcelona sollte Mercedes nicht voreilig optimistisch stimmen. Denn auch in den vergangenen beiden Krisenjahren feierte Mercedes beim Spanien GP immer wieder einen Achtungserfolg. Warum Toto Wolff guten Mutes ist, dass der Durchbruch 2024 keine Eintagsfliege ist, sondern Mercedes nun wirklich ein gutes F1-Auto hat, lest ihr hier:
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