Der Große Preis von China lässt Lewis Hamilton spüren, wie nah Triumph und Niederlage beieinander liegen können. Nach dem zweiten Platz im Sprint am Vormittag feierte der einstige Dominator der Formel 1 noch glücklich "das beste Ergebnis seit langer Zeit" und lobte den riesigen Schritt, den er gemacht hätte, indem er sehr viel über das Auto herausgefunden habe. Nach Platz 18 in der Qualifikation am Nachmittag fluchte er: "Shit happens." Shanghai - die einstige Paradestrecke des Rekordsiegers - wird für Hamilton zur Achterbahnfahrt. So wie seine Geschichte dort insgesamt. Sechs Grand-Prix-Siege - kein F1-Fahrer hat öfter auf der Strecke gewonnen. Aber auch einen möglichen WM-Titel hat er 2007 in Shanghai im Kiesbett der Boxeneinfahrt versenkt.

Hamilton: Sprint-Erfolg nur dank Regenglück

Alles begann am Freitag bei der Sprint-Qualifikation. Bei nassen Streckenbedingungen legte Hamilton den Grundstein für das Top-Ergebnis am Samstagvormittag. "Ich hatte wirklich Glück, dass es gestern geregnet hat und ich das jetzt ausnutzen konnte. Ich denke, unsere wahre Pace war nicht stark genug, um mich so weit oben zu qualifizieren, aber ich habe das Beste aus der Situation gemacht, einen großartigen Start hingelegt und es dann geschafft, Fernando für eine Weile aufzuhalten und eine kleine Lücke aufzumachen", rekapitulierte der Hamilton den Sprint.

Ein Indiz dafür, dass Mercedes seit Japan Fortschritte gemacht hätte, sah Hamilton im ermutigenden Resultat nicht. Es sei allein den Umständen geschuldet. Dazu führte er aus: "Ich denke, zu über 90 Prozent ist es auf das Regenszenario gestern zurückzuführen, wenn ich wirklich ehrlich bin. Wir haben seit dem letzten Rennen keinen Schritt nach vorne gemacht. Das Auto ist genau dasselbe und wir kämpfen mit denselben Problemen wie im letzten Rennen. Was das Tempo betrifft, sind wir wahrscheinlich in einer ähnlichen Position [wie letztes Wochenende; Anm. d. Red.]."

Neuer Tag, neues Glück?

Samstagvormittag um 11 Uhr in China. Trotz Hamiltons Sorge im Vorfeld, dass es mit dem Mercedes bei trockenen Bedingungen schwer sein würde, die Position zu halten und man eher ein Verteidigungsrennen fahren müsse, konnte er einen hervorragenden Start in den Sprint hinlegen. Er gewann auf der inneren Linie den Rennstart gegen Lando Norris, der auf der Außenbahn der Schneckenkurve Schwierigkeiten bekam und Positionen verlor.

Im Nachgang lieferte Hamilton eine abgeklärte Einschätzung der Rennsituation: "Es gibt einen Punkt, an dem man ein bisschen zu weit geht, und dann gibt es keinen Grip mehr, und ich glaube, das wurde ihm zum Verhängnis. In dieser Situation hätte er einfach zurückstecken und hinter mir bleiben sollen. Er hätte wahrscheinlich die Pace gehabt, um mich zu überholen, denn die McLarens sind sehr schnell, aber er hat dort viel Boden verloren. So ist Racing." Die Streckenoberfläche - vor dem F1-Comeback wurde die Strecke kurzfristig mit einer Bitumenschicht versiegelt, um die Bodenwellen zu entfernen - sah Hamilton nicht in der Schuld für Norris' fehlenden Grip.

So übernahm Hamilton die Führung vor Fernando Alonso und Max Verstappen. Erstmals in seiner Karriere führte Hamilton einen Sprint an, konnte den ersten Platz allerdings nur bis Runde 9 halten. Dem Angriff des einst größten WM-Rivalen Verstappen im überlegenen Red Bull hatte der Mercedes-Pilot nichts entgegenzusetzen. "Ich habe nicht einmal einen Kampf gegen Max geführt, weil er mit einem erheblichen Geschwindigkeitsvorteil kam. Ich wusste, dass er mich bekommen würde und ich wollte sicherstellen, dass ich keine Zeit an die weiter hinten liegenden Autos verliere, damit ich den zweiten Platz behalten konnte", erklärte Hamilton seine Widerstandslosigkeit.

Die weitsichtige Entscheidung, sich nicht auf einen chancenlosen Kampf um den Sieg einzulassen, zahlte sich am Ende der 19 Sprintrunden aus. Sieben Punkte konnte der Mercedes-Pilot aus dem Sprint mitnehmen. Angesichts der zuvor mageren Ausbeute von insgesamt zehn WM-Zählern aus den ersten vier Saisonrennen ein beachtlicher Zugewinn für die Gesamtwertung.

Nach einem desaströsen Start in die diesjährige Formel-1-Saison kam der Vertrauensschub gerade zur rechten Zeit. Er habe schon fast vergessen gehabt, wie gut es sich anfühle, ein Rennen anzuführen, gestand Hamilton. "Bekanntlich war der Saisonstart schwierig. Jedes gute Resultat gibt dir einen Schub Selbstvertrauen. Hast du einen guten Tag, hebt das definitiv deine Stimmung", sprach er nach dem Sprint noch voller Glücksgefühle.

Qualifying-Pleite ruiniert das Wochenende

Doch nur wenige Stunden später nahm das Glück ein jähes Ende. Im Qualifying zum Rennen schied Hamilton schon im Q1 aus. Startplatz 18 am Sonntag. Der Strahlemann des Vormittags wurde zum Verlierer des Nachmittags.

"Das Auto unterscheidet sich massiv [von heute Morgen; Anm. d. Red.]. Wir haben viel geändert", erklärte Hamilton nach seinem Ausscheiden. "Ich hatte einfach zu kämpfen - es ist, wie es ist. Heute Morgen hatten George und ich sehr ähnliche Autos, aber wir versuchen immer noch zu experimentieren und so ging ich [mit dem Setup für das Qualifying; Anm. d. Red.] in die eine und er in die andere Richtung. Ja, es hat nicht funktioniert - Platz 18 ist ziemlich schlecht", bedauerte er weiter und setzt seine einzige Hoffnung für das morgige Rennen in den Regen.

Doch nicht nur das andere Setup machte der Mercedes-Pilot für das Debakel verantwortlich. Das frühe Ende im Qualifying sei stattdessen vor allem auf einen Fahrfehler zurückzuführen: "Ich hätte eigentlich ohne Probleme weiterkommen müssen. Es war mein Fehler. In Kurve 14 hat das Auto einfach blockiert, ich hätte eine Runde mehr gebraucht." In der letzten Runde, die eigentlich so vielversprechend aussah, leistete sich der siebenmalige Champion einen Verbremser.

Hamilton hadert 2024 mit einer Formkrise. Wann kommt die endgültige Auferstehung? In diesem Video analysiert F1-Experte Christian Danner für uns die Situation des siebenmaligen Weltmeisters nach dem Japan GP:

Langsam & lustlos! Ist Hamiltons F1-Zeit abgelaufen? (27:29 Min.)

Ob dabei das abweichende Setup tatsächlich eine große Rolle spielte, darf zumindest infrage gestellt werden. Zumal George Russell nach der Qualifikation bezüglich der Setup-Veränderungen gegenüber dem Sprintrennen äußerte: "Wir sind uns ziemlich ähnlich, was das Setup angeht, wir sind beide in die gleiche Richtung gegangen."

Russell: Stärke des Mercedes im Rennen

Der zweite Brite im Mercedes-Team zeigte beim China GP bisher ein blasses Wochenende: P11 in der Sprint-Qualifikation, P8 im Sprint und P8 in der Qualifikation - das sind die mageren Ergebnisse von Russell. Damit erlebte er zwar keine solche Berg- und Talfahrt wie sein Teamkollege. In der Meisterschaftswertung bringt ihm das aber auch nichts.

Aufgrund des schlechten SQ-Resultats ging das Team bei Russell im Sprint ein Experiment ein. Er startete als einziger Fahrer auf den Soft-Reifen. "Er hat besser gehalten als erwartet und das eröffnet mehr Möglichkeiten für morgen", gab sich Teamchef Toto Wolff zuversichtlich. Russell selbst blickte auch positiv auf den Sprint: "Es hat sich definitiv gelohnt, das Risiko mit den weichen Reifen einzugehen. Sie haben ordentlich funktioniert und es war auch eine gute Vorbereitung für morgen."

Mercedes-Fahrer George Russell in der Box
George Russell rechnet sich für Mercedes Chancen im Rennen aus, Foto: LAT Images

Ernüchtert zog der 26-Jährige allerdings Bilanz: "Letzten Endes sind wir als Team dort, wo wir im Moment stehen." Die Stärke des Mercedes liege ihm zufolge nicht in einer schnellen Runde, sondern vor allem im Renntrimm: "In neun von zehn Fällen haben wir ein schnelleres Rennauto als im Qualifying. Das war ein kleiner Trend in den letzten drei Jahren, dass wir am Samstag etwas im Hintertreffen waren und am Sonntag nach vorne kamen." Auch das heutige Sprintrennen habe gezeigt, dass sie schneller als Aston Martin und schneller als McLaren und nur einen kleinen Schritt hinter Ferrari waren, so Russell. Ganz ähnlich schätzte Wolff die Situation ein: "Ich denke, wir haben ein Top-Sechs-Auto. Wenn wir mit den Ferraris und den McLarens mithalten können, wäre das wirklich ein großer Schritt nach vorne."

Hamiltons Lehren aus dem Sprint

Hamilton nutzte den heutigen Sprint dazu, seinen Mercedes-Boliden noch besser kennenzulernen, wie er selbst berichtete: "Ich habe heute eine Menge über das Auto herausgefunden. Das bedeutet zwar nicht, dass es uns sagt, wie wir die Probleme beheben können, aber zumindest haben wir viele Hinweise erhalten, welche Dinge wir verbessern müssen." Verbesserungsbedarf habe das Auto vor allem im Low-Speed-Bereich: "Die langsamen Streckenteile machen uns am meisten zu schaffen. Wir kämpfen mit den mittleren und niedrigen Geschwindigkeitsbereichen, dort habe ich viel Zeit verloren."

"Ich weiß, dass wir unglaublich hart arbeiten müssen, um konstant zu einer Platzierung wie dieser zurückzukehren", stellte Hamilton eine intensive Team-Arbeit, die wohl die ganze Saison über andauern wird, in Aussicht. Los geht es damit bereits morgen auf dem Shanghai Circuit.