Die Überraschung war groß, als McLaren am zweiten April per Presseaussendung das Aus von David Sanchez verkündete. Sanchez war eine von zwei großen Personalien, welche die aufstrebende Mannschaft im Laufe des Vorjahres von konkurrierenden Top-Teams abgeworben hatte. Von Ferrari kommend, war er eigentlich seit fast einem Jahr als einer von drei Technischen Direktoren im Führungsstab des neuen Teamchefs Andrea Stella fix gesetzt. Der erklärt nun die Hintergründe.

Schon im Februar 2023 hatte McLaren den Sanchez-Deal arrangiert. Wie in der Formel 1 üblich musste der davor elf Jahre bei Ferrari Beschäftigte aber dann zum Vorbeugen von Wissensweitergabe eine monatelange Sperrfrist absitzen, ehe er seinen neuen Job antreten durfte. Zuletzt war er in Maranello angesehener Leiter der Konzept-Entwicklung gewesen. Damit begann seine McLaren-Karriere erst am 01. Januar 2024.

Dieser Zeitrahmen ist einer von mehreren Faktoren, die in der Trennung eine Rolle spielen. In den elf Monaten zwischen Sanchez' Verpflichtung und seinem Dienstantritt änderte sich nämlich bei McLaren einiges. Der erst kurz vor dem Sanchez-Deal zum Teamchef beförderte Andrea Stella begann zeitgleich seinen Führungsstab umzukrempeln. Der langjährige Cheftechniker James Key ging und wurde durch ein dreiköpfiges Gremium ersetzt.

McLarens große Technik-Revolution passt doch nicht perfekt

Sanchez war als "Technischer Direktor für Konzept und Performance" darin gesetzt. Das stand schon im März 2023 fest, aber bedingt durch den Zwangsurlaub musste die Rolle interimsmäßig besetzt werden. Anders als die anderen beiden "Technischen Direktoren", die Stella schuf - Peter Prodromou im Aerodynamik-Bereich und Neil Houldey im Engineering- und Design-Bereich. Diese beiden, die seit 10 respektive 18 Jahren bei McLaren arbeiteten, traten ihre Rollen sofort an.

Die Saison 2023 war für McLarens neue Struktur ein Erfolg, urteilt Stella: "Es herrschte universelle Zustimmung, dass sie gut funktioniert." Im Januar trafen dann Sanchez von Ferrari sowie Rob Marshall von Red Bull ein. Marshall sollte Houldeys neuer Vorgesetzter werden, Sanchez endlich die "Konzept und Performance"-Rolle ausfüllen. Wie Sanchez war Marshall monatelang im Zwangsurlaub gesessen.

David Sanchez zu Ferrari-Zeiten, Foto: LAT Images
David Sanchez zu Ferrari-Zeiten, Foto: LAT Images

Wie sich jetzt herausstellte, funktionierte zwar die Struktur an sich - aber sie war nicht auf die zwei hochrangigen Neuzugänge zugeschnitten, denen Schlüsselrollen zugeteilt worden waren, ohne dass man sie mit ihnen gemeinsam hatte ausarbeiten können. "Wir sind sehr zufrieden mit den drei Richtungen, Aerodynamik, Engineering und Performance, das funktioniert sehr gut", erklärt Stella. "Aber wenn du eine technische Konfiguration finden musst, dann musst du auch sicherstellen, dass es die Stärken aller Spieler nutzt."

Nach erneuter Evaluierung sitzen jetzt vier statt drei im Führungsgremium. Prodromou ist für Aerodynamik zuständig. Marshalls Rolle wird gesplittet, er soll sich auf die Rolle des Chefdesigners fokussieren. Damit bleibt Houldey, der eigentlich Marshalls Stellvertreter hätte werden sollen, als Engineering-Chef. Einen Performance-Chef soll es weiterhin geben - nicht aber David Sanchez. Stella sucht Ersatz, während er den Posten interimsmäßig bekleidet.

McLaren-Rolle zu klein? Sanchez wohl auf dem Weg zur Konkurrenz

"Wir hatten Gespräche mit David über dieses Thema, und wir haben realisiert und akzeptiert, dass sein Dienstalter, seine Expertise und seine Kompetenz womöglich über der Rolle liegen, für die er bei McLaren vorgesehen war", definiert Stella. Die Rolle hatte sich seit dem Februar 2023 nämlich verändert: "Da mussten wir evaluieren, ob dieser neue Kontext noch für David im Speziellen passend war."

Die Antwort lautete: Nein. Wiederholt unterstreicht Stella, dass diese Feststellung im Einvernehmen kam. "Ich bin mir relativ sicher, dass es funktioniert hätte, aber Zeit ist für ihn auch wichtig", ergänzt er. Unmissverständlich will er es zwar nicht aussprechen, aber hier geht es wohl darum, dass Sanchez in einer anderen technischen Führungskapazität bei einem anderen Formel-1-Team andocken will.

Hätte man Sanchez noch länger behalten, nur um dann nach drei weiteren Monaten trotzdem zum Schluss zu kommen, dass es eben nicht funktioniert, hätte das beide Parteien in eine schwierige Lage gebracht. McLaren, weil man dann bereits mit der Entwicklung für 2025 begonnen hätte.

McLaren nimmt Rücksicht auf die Sanchez-Lage

Umgekehrt würde es Sanchez' Optionen auf dem F1-Arbeitsmarkt beträchtlich schmälern. Da er dann nämlich das 2025er-Projekt seines neuen Teams nicht mehr beeinflussen könnte, oder womöglich sogar zu spät käme, um das für den Reglementswechsel anlaufende und immens wichtige 2026er-Projekt von Beginn an mitzugestalten.

"Um ihm gute Chancen zu geben, woanders eine größere Rolle zu bekleiden, können diese drei Monate den Unterschied machen", gibt sich Stella kulant. "Ich wünsche ihm nur das Beste für seine Zukunft, und ich glaube, dass er bereit ist, um Wertvolles bei Teams für das nächstjährige Auto und für 2026 beizusteuern."

Wie es für Sanchez wirklich weitergeht, ist unbekannt. Stellas Aussagen implizieren wohl, dass er auf einen echten, traditionellen Cheftechniker-Posten schielt. In dem Fall drängen sich vor allem Alpine und Haas auf. Mehr als unbegründete Spekulationen sind das aber nicht.

Neue F1 Teamchefs: Wie gut sind sie wirklich? (07:41 Min.)