Die Formel 1 boomt - zumindest teilweise, wie der Kollege Markus Steinrisser in dieser Ausgabe an anderer Stelle feststellen musste. Zumindest finanziell, darauf kann man sich einigen, floriert die Königsklasse. Noch nie in ihrer 73-jährigen Geschichte waren die Teams finanziell so gut aufgestellt. Ein Blick ins Fahrerlager genügt, um das zu verifizieren: Hinter den Garagen stehen bei den Europa-Rennen gigantische Trucks, in denen Ingenieure über Unmengen von Daten grübeln und Mechaniker sündhaft teure Ersatzteile verstauen.

Haas will kein Geld verschwenden - und halbiert Kommandostand

Die wahren Tempel stehen aber eine Reihe dahinter: Die Hospitalities der Teams, in denen neben dem Team auch noch die VIP-Gäste verköstigt werden. Inzwischen haben sogar Formel 1 und FIA solche mobilen Paläste in der Größe eines Mehrfamilienhauses. Einzige Ausnahme im Fahrerlager: Haas. Der jüngste Rennstall im Zirkus begnügt sich mit einem eher dezenten Anbau an einem LKW-Aufleger.

"Dieser Sport wird oftmals nicht von gesundem Menschenverstand bestimmt", meint Peter Crolla, Teammanager von Haas. "Man ist sehr gut darin, Geld zu verschwenden. Dieses Team nicht", stellt Crolla klar. Der britische Ingenieur sagt das nicht beim Anblick der bescheidenen Haas-Hospitality, sondern während er mit dem Motorsport-Magazin am Kommandostand sitzt.

An ebenjenem Kommandostand, der zu Saisonbeginn für Schlagzeilen sorgte. Haas hatte für die Saison 2023 den Kommandostand halbiert. Nur noch drei Personen finden an ihm Platz. In der Mitte sitzt Teamchef Günther Steiner, rechts von ihm Chef-Ingenieur Ayao Komatsu und auf der linken Seite Crolla. Der Teammanager sitzt an seinem angestammten Platz, Motorsport-Magazin darf den des Teamchefs einnehmen.

Steiner war es, der zu Saisonbeginn stolz verkündet hatte, mit dem neuen Kommandostand 250.000 US-Dollar einzusparen. Doch wenn es dem Sport und den Teams - zumindest finanziell - so gut geht, warum verkleinert man dann den Kommandostand so drastisch? Die Kommandostand-Thematik zeigt die wundervolle Komplexität der Formel 1 auf allen Ebenen.

Ayao Komatsu, Günther Steiner und Nico Hülkenberg in der Haas-Box
Günther Steiner ist einer der drei Auserwählten, die am Mini-Kommandostand sitzen durften, Foto: LAT Images

Seit 2021 gibt es in der Formel 1 die Kostenobergrenze. Alles, was irgendwie mit der Performance des Autos zu tun hat, zählt zur Obergrenze. So lautet die kurze Version des 53 Seiten umfassenden Finanziellen Reglements. In den 53 Seiten geht es hauptsächlich um all jene Themen, die von der Obergrenze ausgenommen sind, aber die Logistik findet sich nicht darin. Der Transport von Autos, Ersatzteilen und Boxenequipment zählt zum Cost Cap.

Durch die Coronakrise und den Ukraine-Krieg gingen die Kosten für die Logistik durch die Decke. Deshalb wurde die Grenze 2022 nach ewigen Diskussionen auch leicht angehoben. Trotzdem blieb die Grundproblematik bestehen: Logistikkosten verschlingen Geld, das man für die Entwicklung des Autos eigentlich besser gebrauchen könnte. Also setzte man bei Haas den Rotstift an.

Die Halbierung des Kommandostands war eine besonders effektive Maßnahme, denn der Kommandostand wird zu den Übersee-Rennen geflogen. Luftfracht ist besonders teuer. Nur die wichtigsten und teuersten Teile der Ausrüstung werden geflogen.

Der Kommandostand ist zwar zum Großteil aus Aluminium gefertigt und mit Karbon-Blenden versehen, dennoch ist er vergleichsweise schwer und kostet deshalb viel Geld beim Transport via Flugzeug. Durch die Halbierung konnte die Hälfte der Frachtkosten eingespart werden - 250.000 US-Dollar.

Doch damit verschwanden auch drei Plätze an der Pitwall. Halb so tragisch, wie Crolla meint: "Zwei Plätze blieben ohnehin meist leer." Aber wieso hatte man dann ursprünglich sechs Plätze? "Ein Platz wurde für Gene Haas frei gehalten, aber er sitzt nicht gerne hier", erklärt Crolla. Wer selbst einmal am Kommandostand Platz nehmen durfte, der weiß auch wieso: Es gibt bequemere Orte, um ein Formel-1-Rennen zu verfolgen: Die Sitze sind sehr hoch, der Weg dorthin beschwerlich, weil zwischen der Anlage und dem Zaun zur Fastlane in der Boxengasse nur wenige Zentimeter liegen.

Kommandostand ohne Klimaanlage – dafür mit Lüftung für Technik

Dazu kann es am Kommandostand durchaus warm werden. Die Luftauslässe erinnern zwar an jene an einem Auto, kalte Luft kommt dort in der Regel aber nicht heraus. Theoretisch könnte dort auch eine Klimaanlage angeschlossen werden, praktisch wird das bei Haas aber nicht gemacht. Im Freien hält sich der Nutzen eher in Grenzen.

Stattdessen werden die Luftauslässe genutzt, um die Technik im Inneren zu kühlen. Die warme Luft wird so abtransportiert. Von wegen Klimaanlage. Der zweite Sitz blieb zuletzt frei, weil Haas die Ingenieurs-Gruppe umstrukturiert hat. Blieb nur der Strategie-Ingenieur, der seinen Platz räumen musste. Sein Arbeitsplatz ist nun im Ingenieurs-Truck oder bei Übersee-Rennen im Ingenieurs-Büro an der Strecke.

An einem Kommandostand stehen den Mitarbeitern direkt alle Daten zur Verfügung, Foto: LAT Images
An einem Kommandostand stehen den Mitarbeitern direkt alle Daten zur Verfügung, Foto: LAT Images

Die Daten sind ohnehin überall zeitgleich verfügbar, ob am Kommandostand, im Ingenieurs-Truck oder sogar in der Teamzentrale in Banbury. Warum braucht es dann den Kommandostand überhaupt noch? "Hier hat man einen 360-Grad-Blick, auf den Bildschirmen siehst du nur, was die Kamera zeigt", erklärt Crolla. "Man könnte es schon ohne machen, aber man wäre im Nachteil. Es gibt keinen Ersatz für echte Präsenz.

Vieles passiert verbal, vieles ist auch einfach Information, aber man muss auch mal die Körpersprache von Günther lesen." Abgesehen von Günther Steiners Körpersprache hat der Kommandostand aber noch mehr zu bieten. Jeder Platz ist mit zwei großen Computer-Bildschirmen ausgestattet. Dazu gibt es an jedem Platz eine schlichte Tastatur mit Maus.

Der Aufbau des Haas-Kommandostandes

Auf den Bildschirmen gibt es neben TV-Bild, Onboards und Timings noch auszugsweise Fahrzeugdaten. Wobei die Details bei den Spezialisten liegen. Damit die Technik stets funktioniert, gibt es ein Notstromaggregat, das einspringt, wenn es Probleme mit dem Stromnetz der Strecke gibt. Damit die Bildschirme nie schwarz sind, gibt es noch eine batteriegestützte unterbrechungsfreie Stromversorgung. All das, inklusive der leistungsstarken Rechner, sitzt im Boden des Kommandostands.

Das Herzstück des Kommandostands befindet sich zwischen den beiden Bildschirmen: Das Intercom-System. Die Infrastruktur kommt in der gesamten Formel 1 vom deutschen Unternehmen Riedel. Am Haas-Kommandostand sind an allen drei Plätzen jeweils zwei Paneele verbaut. Auf jedem liegen 16 Audiosignale. Jedem Audiosignal ist ein Bildschirmfeld und ein Kippschalter zugeordnet

Ab der Saison 2024 erhöht Haas die Anzahl der Plätze am Kommandostand um einen, Foto: LAT Images
Ab der Saison 2024 erhöht Haas die Anzahl der Plätze am Kommandostand um einen, Foto: LAT Images

Viele Kanäle, vor allem die der 18 anderen Piloten, sind stummgeschaltet und werden nur aufgedreht, wenn etwas Relevantes passiert. Das gilt auch für das Worldfeed und den Sky-Kommentar. Wenn jemand ein spannendes Interview gibt, wird am Kommandostand mitgehört. Dazu gibt es wichtige Kommunikationskanäle zur Rennleitung und zu Jo Bauer, dem Technischen Delegierten der FIA.

Und dann gibt es noch unzählige Kanäle für das eigene Team. Die beiden Seiten der Garage sind dafür in rot und grün eingeteilt. Nico Hülkenbergs Mannschaft ist die rote Seite, Kevin Magnussens Mannschaft ist grün hinterlegt. Dazu gibt es mehrere Subteams. Mit einem Knopfdruck kann so die gesamte Pitcrew von Hülkenberg oder die Ingenieurs-Armada von Magnussen angesprochen werden.

Jeder am Kommandostand hat eine eigene Mischung, welche Kanäle auf dem eigenen Headset zusammenlaufen. "Man muss vorsichtig sein, weil man eigentlich alle Informationen haben will, aber man auch nicht überladen werden sollte", weiß Crolla. "Man muss selektiv dabei sein, welche Kanäle man offen hat und wie laut man sie eingestellt hat."

Die Teammitglieder sind dazu angewiesen, so wenig wie möglich zu funken. Und wenn gefunkt wird, soll auch in Stresssituationen ruhig gesprochen werden. Seit rund 20 Jahren arbeitet Crolla schon im Motorsport, das hilft ihm: "Routine ist hier sehr wichtig. Je länger du es machst, desto besser kannst du das Intercom managen. Das ist nicht so einfach."

Ab dieser Saison: Haas tut es Mercedes gleich

In der nächsten Saison kommt ein neuer Kommandostand zum Einsatz. Dann ist auf einem vierten Sitz auch wieder Platz für die Strategie-Abteilung. Um schnell Kosten zu sparen, hat Haas die Pitwall im ersten Schritt halbiert. Vom neuen Kommandostand gibt es gleich sechs Exemplare, damit man ihn nicht mehr in den Flieger packen muss, sondern via Seefracht zu den Überseerennen bringen kann.

Dafür sind insgesamt sechs Exemplare nötig. Kostenpunkt: Rund 100.000 Dollar - pro Stück. Über die Zeit rechnet sich das, weil Frachtkosten gespart werden. Im Dezember muss das erste Exemplar fertig sein, bald darauf verlässt das Frachtschiff den Hafen in Richtung Bahrain. Mercedes hat diesen Schritt übrigens bereits hinter sich gebracht: Der einstige Dauerweltmeister stellte schon 2023 auf einen Vier-Sitzer um, der mit dem Schiff transportiert wird.