"Die Formel 1 ist scheiße." Dieser Satz von Bernie Ecclestone ging 2014 um die Welt. Wenn der Boss von seinem eigenen Produkt, das er Sponsoren, Streckenbetreibern und TV-Sendern verkaufen muss, so spricht, muss etwas im Argen liegen. 2014 startete die Formel 1 mit den Power Units in eine neue Ära. Die V8-Saugmotoren wurden ausgemustert.

Die Königsklasse verabschiedete sich nicht nur vom unverwechselbaren Sound hochdrehender Saugmotoren, sondern auch von verhältnismäßig simplen und günstigen Aggregaten. Die 1,6 Liter Turbo-Hybrid-Motoren stürzten die Formel 1 in eine existenzielle Krise.

Caterham stieg 2015 aus der Formel 1 aus, Foto: Sutton
Caterham stieg 2015 aus der Formel 1 aus, Foto: Sutton

Mit Caterham und Manor-Marussia starben 2015, respektive 2016 die letzten beiden Neueinsteiger von 2010. Neben den exorbitanten Kosten war auch die enorme Komplexität der Power Units ein Problem: Nur Mercedes hatte von Anfang an ein zuverlässiges und leistungsstarkes Triebwerk.

Red Bull drohte mehrere Jahre lang mit dem Ausstieg, weil man keinen konkurrenzfähigen Motor bekommen konnte. Die Mercedes-Kunden freuten sich zwar über einen Performance-Vorteil gegenüber der Konkurrenz, konkurrenzfähig im Sinne von Siegen oder gar WM-Titeln war aber trotzdem niemand.

Einerseits war die Integration der Power Unit samt ihren zahlreichen Kühlsystemen so komplex, dass das Werksteam einen enormen Vorteil hatte, andererseits zweifelten viele an, dass die Kunden überhaupt die gleiche Leistung zur Verfügung hatten. Motormodi und kompliziertes Energie-Management machten es schwierig, die Leistungswerte zu vergleichen.

Audi kommt dank neuem Motoren-Reglement

Seit 2014 hat sich viel getan. Abgesehen vom fehlenden Sound, an den sich die meisten inzwischen gewöhnt haben, gibt es mit den Power Units kaum mehr Probleme. Mercedes, Ferrari und Honda sind bei der Leistung nahezu gleichauf, nur Renault hinkt etwas hinterher - allerdings ist der Rückstand im Vergleich zu 2014 minimal.

Audi stieg kündigte dank des neuen Motoren-Reglements den Einstieg an, Foto: LAT Images
Audi stieg kündigte dank des neuen Motoren-Reglements den Einstieg an, Foto: LAT Images

Finanziell steht der Sport heute deutlich besser da, Red Bull hat mit dem Honda nicht nur einen konkurrenzfähigen Motor, sondern auch so etwas ähnliches wie Werksstatus und McLaren und Aston Martin zeigen, dass man das Werksteam besiegen kann. 2026 werden die Power Units nach zwölf Saisons in Rente geschickt.

Über Jahre hinweg hatte man am passenden Nachfolge-Motor gearbeitet, am 16. August 2022 wurden die Rahmenbedingungen erstmals in ein Technisches Reglement gegossen. Es waren lange Diskussionen zwischen Formel 1, FIA und den Motorenherstellern. Nicht nur Ferrari, Mercedes, Renault, Honda und Red Bull Powertrains saßen am Verhandlungstisch, auch Audi und Porsche. Audi entschied sich aufgrund des Reglements schließlich dazu, 2026 in die Formel 1 einzusteigen. Ein Jahr später gibt es nicht nur bei den Ingolstädtern erste Unruhen, sondern auch in der Motorenwelt.

Horner fürchtet technischen Frankenstein

"Es gibt 2026 sehr positive Dinge, das nachhaltige Benzin ist zum Beispiel so etwas. Aber vielleicht sollten wir sehr dringend unsere Aufmerksamkeit auf etwas richten, bevor es zu spät ist", warnte Red Bull Teamchef Christian Horner zuletzt. "Wir sollten uns das Verhältnis zwischen Verbrenner-Leistung und E-Power ansehen, damit wir keinen technischen Frankenstein entwickeln, den das Chassis dann kompensieren muss."

Red Bull geriet beim letzten großen, neuen Motorenreglement ins Hintertreffen, Foto: Sutton
Red Bull geriet beim letzten großen, neuen Motorenreglement ins Hintertreffen, Foto: Sutton

Dabei ändert sich auf den ersten Blick gar nicht so viel an den Motoren. Die Elektrifizierung des Turboladers, die MGU-H entfällt. Die kinetische Energierückgewinnung an der Kurbelwelle, die MGU-K, bleibt. Der Verbrennungsmotor bleibt ein V6-Motor mit einem Turbolader. "Die Architektur ist ähnlich, aber man muss beim Verbrenner neu anfangen", gibt Motorenpapst Mario Illien zu bedenken. Der Schweizer baute einst mit seinem Unternehmen Ilmor Formel-1-Triebwerke für Mercedes.

Nach und nach übernahm Daimler Anteile an Ilmor und machte nach der vollständigen Übernahme 2005 aus Ilmor Mercedes-Benz High Performance Engines. Auch in der Hybrid-Ära hatte Illien seine Hände wieder im Spiel. Der Motorenpapst half erst Renault und später Honda auf die Beine. "Zum Beispiel wird die Verdichtung zurückgefahren", erklärt Illien einen entscheidenden Unterschied zwischen Verbrenner-Reglement 2026 und den aktuellen Motoren. Derzeit gilt ein maximales Verdichtungsverhältnis von 18:1, 2026 sind nur noch 16:1 erlaubt.

Auch beim Ladedruck gibt es zukünftig Beschränkungen: Maximal 4,8 bar sind bei der nächsten Generation erlaubt. Gleichzeitig sinkt der maximale Benzinfluss um rund ein Drittel. Weil die MGU-H entfällt, muss auch der Turbolader anders dimensioniert, spricht kleiner werden. "Es wird ein komplett anderes Verbrennungs-System", erklärt Hywel Thomas, Motoren-Boss bei Mercedes.

"Es sieht von außen alles sehr ähnlich aus, aber tatsächlich wird der Verbrennungsmotor komplett anders sein." Auch wenn die grundlegende Architektur übernommen werden kann, bei den komplizierten Teilen des Verbrennungsmotors beginnt die Entwicklung aufgrund der zahlreichen veränderten Parameter fast von vorne.

Mehr Elektropower ohne MGU-H

Tatsächlich ist das aber gar nicht der Hauptgrund für Christian Horners Ärger. Am Verbrennungsmotor wurde hauptsächlich zurückgeschraubt. Von zirka 850 PS werden nur noch rund 550 PS übrigbleiben. Die Formel 1 soll aber 2026 nicht signifikant langsamer werden. Die Systemleistung wird ungefähr gleichbleiben: 1.000 PS. Bislang darf die MGU-K maximal 163 PS auf die Kurbelwelle stemmen. Bei der nächsten Generation wird der E-Boost 475 PS betragen. "Ich weiß aber nicht so recht, woher die Energie kommen soll", wirft Mario Illien ein.

Der Schweizer ist nicht der Einzige im Fahrerlager, der sich diese Frage stellt. Elektromotoren sind sehr effizient, die Energie dafür muss aber bereitgestellt werden. Das geschieht ganz klassisch über eine Batterie. Anders als bei einem Elektroauto wird die in der Formel 1 aber nicht an der Steckdose geladen. Beim Bremsvorgang wird kinetische Energie in elektrische Energie umgewandelt. Die MGU-K bremst dabei die Kurbelwelle ab und lädt die Batterie. So funktioniert das System schon seit 2009. Die Batteriekapazität bleibt 2026 unverändert bei 4 Megajoule. Beim Energiemanagement gibt es aber gravierende Unterschiede.

Derzeit dürfen pro Runde 2 Megajoule von der MGU-K in die Batterie eingespeist werden, 4 Megajoule dürfen pro Runde von der Batterie in Richtung MGU-K fließen. Entweder wird die Batterie über eine Runde stärker ent- als sie geladen wird oder das Defizit wird von der MGU-H wettgemacht. Die Motor-Generator-Einheit bremst den Turbolader bei hohen Drehzahlen ab und wandelt die Wärme-Energie aus dem Auspufftrakt in elektrische Energie. Rund 80 PS ist die MGU-H stark. "Bei Volllast kann man größenordnungstechnisch 10 Prozent rekuperieren", rechnet Illien vor.

Die MGU-H gibt es aber 2026 nicht mehr. Die elektrische Energie muss ausschließlich von der MGU-K generiert werden. "Aber von der Hinterachse kann man nicht so viel Energie einspeisen, da sind wir jetzt schon nahe am Maximum", so Illien. 2026 darf die MGU-K die Hinterachse aber mit 475 PS abbremsen, noch sind es nur 163 PS.

Trotzdem wird man die Energie nicht komplett an der Hinterachse gewinnen können, zumal dann nicht mehr 'nur' 2 Megajoule pro Runde rekuperiert werden dürfen, sondern 9 Megajoule. Der Sprung ist nötig, weil der Elektro-Energiebedarf deutlich steigt. Reichen die 4 Megajoule heute dafür aus, 33 Sekunden lang volle 163 Elektro-PS abzurufen, reicht die Energie bei 475 Elektro-PS 2026 nur noch für gut 10 Sekunden.

Die 9 Megajoule, die pro Runde dann rekuperiert werden dürfen, ergeben immerhin etwas mehr als 25 Sekunden vollen E-Boost mit 475 PS. Aber die 9 Megajoule müssen ohne MGU-H ins System eingespeist werden. Und genau hier wird es knifflig. Einen Elektro-Allrad wollte die Formel 1 nicht. Damit hätte man problemlos an der Vorderachse rekuperieren können. Durch die dynamische Achslastverteilung ist die Bremswirkung auf der Vorderachse deutlich höher.

Man wäre einige Energie-Sorgen los gewesen. "Aber das hätte die Autos noch einmal 30 Kilogramm schwerer gemacht", wirft Ferrari Teamchef Fred Vasseur ein - auch wenn man an der Vorderachse keine Leistung abgegeben, sondern nur rekuperiert hätte. Dabei sind die Autos schon heute viel zu schwer.

Gegen höheres Gewicht

Es ist vielleicht das einzige Problem der Power Units, das über die Jahre nicht gelöst werden konnte: Die Antriebe sind deutlich schwerer als ihre Vorgänger. Eine weitere Gewichtszunahme galt es, um jeden Preis zu verhindern.

Deshalb einigten sich die Beteiligten darauf, dass nur an der Hinterachse Energie eingespeist werden darf. Nur Audi wollte auch an der Vorderachse rekuperieren. Aber den Ingolstädtern war man an anderer Stelle, zum Beispiel mit dem Wegfall der MGU-H, schon entgegengekommen. Einen Quattro sollten sie nicht bekommen.

Wo sollen aber die 9 Megajoule herkommen, wenn heute auf manchen Strecken schon 2 Megajoule problematisch sind? Durch die 475 E-PS kann in den Bremsphasen stärker rekuperiert werden, aber auch das reicht lange nicht. Die Lösung ist paradox. "Der Verbrennungsmotor wird zum Generator, um die Batterie zu laden", erklärt Horner.

Verbrennungsmotor lädt Batterie auf, Verstappen sieht Probleme

"Wenn der Fahrer nicht das gesamte Drehmoment abruft, dann wird der Verbrennungsmotor dazu genutzt, die Batterie zu laden", stimmt Hywel Thomas zu, wirbt aber um Verständnis: "Das haben wir schon gewusst, als wir die Regeln gemacht haben und das war immer Teil davon. Weil das Benzin aber nachhaltig ist, ist es akzeptabel." In ihrer ersten Saison wurden die Formel-E-Autos mit Dieselaggregaten geladen, 2026 lädt die Formel 1 ihre Batterien mit dem Verbrennungsmotor wie ein serieller Hybrid.

Weltmeister Max Verstappen hat sich aus Fahrer-Sicht bereits intensiv mit der Thematik beschäftigt. Sein Urteil: "Ziemlich schrecklich. Wenn du auf der Geraden in Monza fährst, musst du 400 oder 500 Meter vor der Kurve bei Vollgas runterschalten, weil es schneller ist." Um solche Phänomene zu verhindern, sucht die Formel 1 noch nach dem richtigen Chassis-Reglement, das zur neuen Motoren-Generation passt.

Es gilt, den Luftwiderstand zu reduzieren, damit die Autos am Ende der Geraden nicht zu langsam werden. Ein großer Teil des Luftwiderstands an einem Formel-Auto kommt von den freistehenden Rädern. Die aber gehören zur DNA des Formel-Sports. Deshalb werden auch wieder kleinere Reifen diskutiert, um den Luftwiderstand zu senken.

Gleichzeitig haben die Ingenieure eine aktive Aerodynamik auf dem Schirm. "Wenn die Autos weniger Luftwiderstand haben, gibt es weniger Windschatten und das Überholen wird noch schwieriger. Die aktive Aerodynamik wird vom System für dich kontrolliert und das macht das Fahren schwieriger - ich bevorzuge es, selbst die Kontrolle zu haben", kritisiert Verstappen.

Horner: Mehr nachhaltiges Benzin statt Elektro

Statt Kompromisse am Chassis einzugehen, will Horner lieber am Motor nachbessern. "Man könnte das einfach angehen, indem man das Verhältnis zwischen Verbrenner und E-Motor anpasst. Im Moment haben wir etwa 50/50. Man braucht nicht so viel ändern, schon 5 oder 10 Prozent hätten da einen signifikanten Effekt." Weil das Benzin ohnehin nachhaltig sein wird, könnte man aus Umwelt-Sicht den Benzinfluss erhöhen und so die Verbrenner-Leistung mehr in den Vordergrund stellen - zumal nach aktuellem Stand ohnehin rund 30 Kilogramm Benzin verbrannt werden sollen, um die Batterie zu laden.

Bei der Konkurrenz stößt der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. "Ich glaube, er hat Angst, dass sein Motorenprogramm nicht in Gang kommt. Deshalb will er vielleicht die Regeln so killen", meint Mercedes-Boss Toto Wolff. "Du musst immer die wahre Motivation hinter solchen Aussagen hinterfragen." Horner lässt das nicht auf sich sitzen: "Ich bin mir nicht sicher, wie nah Toto an seinem Motoren-Business ist, denn er ist ein Kunde. Er ist formal nicht in das Business von Mercedes High Performance Powertrains involviert.

Je weiter die Simulationen voranschreiten, desto mehr Einschränkungen siehst du. Ich würde sagen, dass wir diese Einschränkungen sehen, liegt daran, dass wir schon recht weit mit der Entwicklung sind." Wolff hält dagegen: "Ich weiß nicht, woher diese Dinge nun kommen. Wir haben diese Regeln über Jahre mit allen involvierten Herstellern entwickelt.

Es war ein Kompromiss, der letztendlich dazu geführt hat, dass Audi gekommen und Honda geblieben ist. Das ist für die Formel 1 der Best Case! Ist es herausfordernd? Fragen sich unsere Chassis-Designer, wie sie das schaffen sollen? Ja, aber das ist super. Diese Regeln werden nicht mehr geändert und sie werden auch nicht mehr verschoben."

Für Änderungen müsste es jetzt schnell gehen: Nicht nur der Verbrennungsmotor müsste angepasst werden, auch der E-Motor. Und damit auch die Batterie: Selbst wenn Gewicht, Kapazität und Energie-Dichte ohnehin gleichbleiben, die Leistungsdichte muss abhängig von der Stärke der MGU-K gewählt werden. Jeder Faktor hängt mit dem anderen zusammen, das Chassis ist einer davon.

Hätte man die MGU-H nicht entfernt, wären die Energie-Probleme kleiner. Hätte man an der Vorderachse rekuperiert, ebenfalls. Man rechtfertigt geringere Effizienz mit dem Argument, nachhaltiges Benzin zu verbrennen. Dann hätte man aber auch simple Saugmotoren verbauen können, die wenig effizient, aber leicht und laut sind. Für das Chassis-Reglement und die Fans wäre das der Jackpot - für die Marketing-Strategien der Hersteller weniger.