Ab 2035 sollten in der Europäischen Union eigentlich keine Fahrzeuge mehr mit Verbrennungsmotor neu zugelassen werden. Eigentlich. Nach ewigem Hin und Her einigte man sich in Brüssel auf Initiative des deutschen Verkehrsministers auf eine Ausnahme: E-Fuels. Wenn sichergestellt wird, dass das Auto ausschließlich mit klimaneutral hergestellten E-Fuels betrieben wird, dann darf es auch ab 2035 noch Kurbelwelle, Kolben und Co. im Motorraum geben.

"Man hat in letzter Sekunde den Motorsport gerettet", ist sich Motorsport-Experte Christian Danner sicher. Denn Motorsport ist von Herstellern abhängig. Und wenn Hersteller keine Verbrenner mehr verkaufen dürfen, ist Motorsport als Marketinginstrument nur bedingt interessant. Durch die Entscheidung der EU geht es aber nicht nur um Marketing - sondern um eine Vorreiterrolle. In der Formel 1 kommt der Schritt schon früher als in der EU.

Die Anfänge der E-Fuels-Technik

Neben einem deutlich höheren Elektrifizierungsanteil der Power Units schreibt das Technische Reglement 2026 für den Verbrennungsmotor E-Fuels vor. E-Fuels, das sind umweltfreundliche Kraftstoffe, die im Labor hergestellt werden. Aber was genau steckt dahinter? Im Labor hergestellte Kraftstoffe, sogenannte synthetische Kraftstoffe, sind an sich sind nichts Neues.

Schon vor einem Jahrhundert konnten Kohlenwasserstoffe im Labor hergestellt werden. Die beiden deutschen Chemiker Franz Fischer und Hans Tropsch meldeten bereits 1925 ein Verfahren zur Herstellung zum Patent an, mit dem Treibstoff sogar in industriellen Mengen hergestellt wurde, respektive hergestellt werden musste. Während des Zweiten Weltkriegs musste Deutschland auf Alternativen zu Erdöl zurückgreifen.

Mit der Fischer-Tropsch-Synthese konnten in Hochzeiten 620.000 Tonnen synthetischen Kraftstoffs jährlich hergestellt werden. Mit Umweltschutz hatte das allerdings recht wenig zu tun: Rohstoffquellen für die Synthese waren Braun- und Steinkohle. Weil das Produkt gegen erdölbasierte Kraftstoffe wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig war, wurde dem Prozess auch nach dem Krieg nur in Krisenzeiten Beachtung geschenkt.

E-Fuels als Lösung für Umweltherausforderungen?

Williams-Fahrer Alexander Albon
Die Formel 1 will Verbrenner-Fahrzeuge retten, Foto: LAT Images

"Es ist kein Zufall, dass wir Löcher in den Boden bohren, um Öl zu fördern und das Öl dann verbrennen. Die Menschheit hat die Angewohnheit, den besten und billigsten Weg zu finden, Dinge zu tun", erklärt Pay Symonds, seines Zeichens Technik-Chef der Formel 1, dem Motorsport-Magazin und fügt an: "Wir dachten, dass es der beste Weg wäre. Aber nun haben wir realisiert, dass es nicht der beste Weg war. Als wir damit begonnen haben, Energie aus Öl zu gewinnen, haben wir die globale Erderwärmung nicht verstanden."

Erdöl besteht zum Großteil aus Kohlenwasserstoffen. Kohlenwasserstoffe sind sehr unterschiedliche komplexe Verbindungen aus Wasserstoff und Kohlenstoff. Vertreter von Kohlenwasserstoffen sind zum Beispiel Methan oder Oktan, das dem landläufigen Begriff von Benzin schon recht nahekommt. Das Problem an fossilen Brennstoffen ist, dass bei der Verbrennung Kohlenstoffdioxid CO2 freigesetzt wird.

Sauerstoff aus der Umgebungsluft verbindet sich mit Kohlenstoff, der über Jahrmillionen im Erdöl eingelagert war. Beim Verbrennen eines Liters Benzin werden 2,37 Kilogramm CO2 emittiert. Kohlenstoffdioxid wird gerne als Klimakiller bezeichnet, weil das Treibhausgas die globale Erderwärmung vorantreibt. Deshalb gibt es bei der Produktion von umweltfreundlichen synthetischen Kraftstoffen zwei CO2-Probleme.

Herstellung von synthetischen Kraftstoffen: CO2-Problem Nr. 1

Formel 1 Bio-Kraftstoff beim Singapur GP.
Die Formel 1 fährt seit 2022 mit E10: Der Kraftstoff enthält 10 % Bio-Fuel-Anteil, Foto: LAT Images/Gareth Bumstead

Einerseits wird das Treibhausgas bei der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen immer emittiert. Schon heute ist dem normalen Benzin an der Tankstelle Bio-Sprit beigemischt. Zunächst war es E5, inzwischen E10. Seit 2022 fährt auch die Formel 1 mit E10. Neben dem fossilen Anteil werden fünf, respektive zehn Prozent Bio-Ethanol beigemischt. Dieser Anteil ist problemlos möglich, ohne die Motoren dafür ändern zu müssen.

Nur bei älteren Motoren und bei deutlich höheren Ethanol-Anteilen könnte es zu Problemen kommen. Abgesehen von der technischen Anwendung gibt es bei Bio-Ethanol auch andere Probleme. Die erste Generation von Biokraftstoffen wurde aus Lebensmitteln hergestellt und hatten dadurch einen Einfluss auf die Nahrungskette. Bei der zweiten Generation wird der Kohlenstoff aus Lebensmittelabfällen oder Futtermittelüberproduktion gewonnen.

Inzwischen gibt es aber auch auf diesem Segment technologische Fortschritte, im Optimalfall werden gar keine organischen Stoffe mehr für die Produktion benötigt. Das Zauberwort heißt Direct Air Capture. Dabei kommt der Kohlenstoff, der in den synthetischen Kraftstoffen gebunden ist, aus dem CO2 aus der Umgebungsluft. Vereinfacht gesagt wird bei Direct Air Capture das Kohlenstoffdioxid aus der Umgebungsluft gefiltert.

Weil der CO2-Anteil in der Luft nur 0,04 Prozent beträgt, ist ein extrem hoher Luftdurchsatz nötig, um entsprechende Mengen CO2 einzufangen. Veranschaulicht wird das durch den parts per million Wert (ppm). Nur 400 von einer Million Luftteilchen sind CO2. Um den hohen Luftdurchsatz zu erreichen, ist viel Energie notwendig. Nur wenn grüne Energie bereitgestellt wird, macht die CO2-Abscheidung überhaupt Sinn.

Die Technologie wird derzeit rasant weiterentwickelt, die weltweit erste kommerzielle Anlage dafür wurde 2017 in Hinwil, unweit der Sauber-Fabrik von der schweizerischen Firma Climeworks in Betrieb genommen. Rund 900 Tonnen CO2 sollen dort jährlich abgeschieden werden. Für diese 900.000 Kilogramm können rund 380.000 Liter Benzin verbrannt werden. Knapp 200.000 Liter verbrennt die Formel 1 pro Saison auf der Rennstrecke, dazu kommt der Verbrauch bei Testfahrten und auf Prüfständen.

Herstellung von synthetischen Kraftstoffen: CO2-Problem Nr. 2

Red Bull-Fahrer Max Verstappen in der Boxengasse
Fossile Energieträger kommen für die Wasserstoffherstellung nicht in Frage, Foto: LAT Images

Das zweite CO2-Problem bei der Produktion umweltfreundlicher synthetischer Kraftstoffe tritt bei der Herstellung des Wasserstoffs auf. Bei der Elektrolyse wird Wasser in Wassersofft und Sauerstoff zerlegt. Weil dieser Prozess sehr energieintensiv ist, wurde Wasserstoff in der Vergangenheit hauptsächlich aus fossilen Energieträgern gewonnen.

Für eine CO2-neutrale Formel 1 - gleiches gilt selbstverständlich auch für die Anwendung im Straßenverkehr - kommen fossile Energieträger für die Wasserstoffherstellung nicht in Frage. Stattdessen muss grüne Energie dafür genutzt werden, die Elektrizität bereitzustellen. Daher kommt der Name: Electrofuel, kurz E-Fuel. Im Wesentlichen wird Energie in Flüssigkeit gespeichert. Aus elektrischer Energie wird Wasserstoff, der später zusammen mit dem Kohlenstoff synthetisiert wird.

Die Elektrolyse wird deshalb als sogenannter Power-to-Gas-Prozess bezeichnet. Elektrische Energie wird im Gas Wasserstoff gespeichert. Im zweiten Schritt, Power-to-Liquid, wird aus Wasserstoff und Kohlenstoff Benzin. Es geht immer nur um eine Sache: Energie zu speichern. Und hier liegt das größte Problem der E-Fuels, beim sogenannten Energy Return on Investment, kurz 'Energy-ROI'.

In einem Kilogramm Benzin können rund 43 Megajoule gespeichert werden. Für die Herstellung eines Kilogramms E-Fuel werden aber laut Symonds rund 240 Megajoule Energie benötigt. Weniger als ein Sechstel der aufgebrachten Energie landet also schlussendlich in jenem Produkt, das im Verbrennungsmotor erst noch relativ ineffizient in Arbeit umgewandelt werden muss. Dabei ist der Faktor sechs zum aktuellen Zeitpunkt noch optimistisch gerechnet, unabhängige Experten sprechen vom sechs- bis achtfachen Energieaufwand.

Warum die Umstellung auf E-Fuels so lange dauert

Wie ist das in einem Zeitalter, in dem Energie die Währung ist, zu rechtfertigen? Welcher Sinn steckt hinter E-Fuels? Obwohl durch die grüne Produktionskette kein CO2 freigesetzt wird, warum nutzt man die Energie nicht gleich effizient? Auf die entscheidenden Fragen gibt es viele Antworten. Symonds leugnet aber nicht, dass Batterie-elektrische Fahrzeuge in manchen Anwendungsgebieten mehr Sinn machen.

"In der Stadt sind sie eine gute Sache", ist sich der Formel-1-Ingenieur sicher. "Wir leben aber in einer Zeit, in der sich die Technologie in der Automobilbranche stark wandelt. Es ist sehr schwierig, irgendetwas für die 2030er Jahre vorherzusagen. Mit den E-Fuels gibt es aber die Möglichkeit, einen parallelen Weg zu öffnen. Wir werden erst noch sehen, wohin sich die Technologie entwickelt."

Die Formel 3 und Formel 2 fährt schon seit 2023 mit 55 Prozent Bio-Fuel, Foto: LAT Images
Die Formel 3 und Formel 2 fährt schon seit 2023 mit 55 Prozent Bio-Fuel, Foto: LAT Images

Entwicklung und technologischer Fortschritt sind entscheidende Antworten auf die kritischen Fragen nach E-Fuels. Der Energy-ROI von einem Sechstel oder einem Achtel ist der Status quo. Bei den vielen Teilprozessen im Herstellungsprozess gibt es großes Einsparungspotential. Bei der besonders energieintensiven Elektrolyse gibt es noch reichlich Luft nach oben. Derzeit werden für die Herstellung von einem Kilogramm Wasserstoff je nach Verfahren bis zu 288 Megajoule benötigt.

Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien rechnete noch vor drei Jahren damit, dass im Jahr 2050 weniger als 151 Megajoule nötig wären. Erst kürzlich gelang australischen Forschern mit der sogenannten Kapillarelektrolyse ein Durchbruch. Bei dieser Technologie werden schon heute Werte von 144 Megajoule pro Kilogramm Wasserstoff erreicht.

E-Fuels vs. Elektroautos: Das spricht für den nachhaltigen Kraftstoff

Das Argument, dass die Energie besser gleich für Batterieelektrische Fahrzeuge genutzt werden sollte, hinkt gewaltig. Natürlich ist der Wirkungsgrad eines Elektroautos deutlich höher, allerdings darf der Blick nicht nur auf das fertige Produkt im Einsatz gerichtet werden. Die Produktion der bis zu einer Tonne schweren Akkus in Elektroautos wird in vielen Rechnungen vernachlässigt oder bagatellisiert.

Bis 2030 will die Königsklasse Netto-Null-Emissionen erreichen, Foto: LAT Images
Bis 2030 will die Königsklasse Netto-Null-Emissionen erreichen, Foto: LAT Images

Die Batterie macht dabei auch nichts anderes als ein E-Fuel: Es geht darum, Energie zu speichern. Könnte man die Energie nach der Produktion direkt an die E-Motoren abgeben, könnte man sich den ineffizienten Umweg über die Speicher sparen. Ein E-Motor hat einen herausragenden Wirkungsgrad, das Problem aber ist der Weg der Energie dorthin. An dieser Stelle greift das nächste Argument für die E-Fuels.

Die Herstellung des Benzins bringt Nachteile, als Energiespeicher ist der flüssige Treibstoff jedoch perfekt. In einem Kilogramm moderner Fahrzeugbatterie können nur rund 0,65 Megajoule gespeichert werden. In einem Kilogramm Benzin stecken 43 Megajoule. Die hohe Energiedichte und die gute Transportfähigkeit bedeuten, dass E-Fuels nicht am Ort der Erzeugung verbraucht werden müssen.

Das hat einen entscheidenden Vorteil: Die energieintensiven Prozesse können an Orten stattfinden, an denen es einen Energieüberschuss gibt. Es ist kein Zufall, dass Porsche die weltweit erste kommerzielle Anlage zur Herstellung von E-Fuels in Chile gebaut hat. In der Provinz Magallanses im Süden Chiles herrschen die perfekten klimatischen Bedingungen für Windenergie. Diese Energie wird direkt für die Herstellung des E-Fuels genutzt. Vor allem Wind- und Sonnenenergie können fernab des dicht besiedelten Europas deutlich sinnvoller gewonnen werden.

Dazu gibt es noch einen weiteren großen Vorteil der E-Fuels. Es handelt sich dabei um sogenanntes 'Drop-In-Fuel'. Das Benzin kann ohne Adaptierungen am herkömmlichen Verbrennungsmotor eingesetzt werden. Auch die bestehende Infrastruktur kann genutzt werden. Der Vorteil ist nicht zu unterschätzen. Trotz der voranschreitenden Elektrifizierung im Straßenverkehr werden noch immer deutlich mehr Verbrenner als Elektroautos zugelassen.

Formel 1 als Testlabor für die Automobilindustrie

Red Bull-Pilot Max Verstappen feiert seinen 19. Sieg 2023 mit Donuts beim Saisonfinale in Abu Dhabi
Die Formel 1 will wieder eine technologische Vorreiterrolle übernehmen, Foto: LAT Images

Bei der Bestandsflotte ist der Anteil von Elektroautos noch immer verschwindend gering. Deutlich mehr als eine Milliarde Verbrenner werden auf der gesamten Erde bewegt. E-Fuels wären eine Möglichkeit, diese Autos umweltfreundlich zu betreiben. Ist das die größte Utopie am Hoffnungsträger? Die Verfügbarkeit des Wundermittels ist derzeit verschwindend gering.

Aber auch hier gibt es große Fortschritte. Vor nicht allzu langer Zeit wurde der Treibstoff noch im Labor mit Pipetten in Reagenzgläsern hergestellt. 2022 begann Porsche in Chile mit einer Jahresproduktion von rund 130.000 Liter. 2024 sollen 55 Millionen Liter, 2026 schon 550 Millionen Liter des sauberen Kraftstoffs entstehen. Formel-1-Partner Aramco baut derzeit gemeinsam mit Repsol eine Anlage im spanischen Bilbao, die Ende 2024 knapp drei Millionen Liter produzieren soll.

Für die Formel 1 reichen die Mengen allemal, global gesehen sind das noch immer verschwindend geringe Mengen. Für die Formel 1 ist es die Chance, nach langer Zeit wieder eine technologische Vorreiterrolle zu übernehmen - und in der aktuellen Welt die einzige Möglichkeit, noch existieren zu dürfen. Denn auf der Strecke ist die Königsklasse damit zu 100 Prozent sauber.

Dieser Artikel erschien in der 90. Printausgabe des Motorsport-Magazins. Bestelle das Motorsport-Magazin direkt auf unserer Webseite.