Die Formel 1 boomt wie nie zuvor: Weltweit vermelden die Veranstalter der Rennen Rekordkulissen, zahlreiche Länder wollen unbedingt einen oder gar mehrere Grand Prix veranstalten. Alle großen Autonationen sind im Rennkalender vertreten, nur eine nicht: Deutschland. Ausgerechnet das Geburtsland des Automobils, das Land von Mercedes, den Schumachers und der Nordschleife scheint das Interesse an der Königsklasse verloren zu haben.
Ex-Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug hat nun in seiner Kolumne beim Redaktions Netzwerk Deutschland (RND) eine verheerende Bilanz gezogen. "Die Formel 1 hat sich in Deutschland zu einem Trauerspiel rückentwickelt, für das sich jeder Motorsportenthusiast nur fremdschämen kann", nahm der 70-Jährige kein Blatt vor den Mund.
Anschluss an Glanzzeiten in der Formel 1 verpasst
Haug erinnerte an die großen Erfolge Motorsport-Deutschlands in der Königsklasse: "Zwischen 1994 und 2016 gab es deutsche Weltmeister wie am Fließband, sieben Titel von Michael Schumacher, vier in Folge von Sebastian Vettel und schließlich den bis dato letzten von Nico Rosberg 2016 im Silberpfeil. Mercedes gewann mit seinen Partnerteams McLaren und Brawn GP mit Mika Häkkinen, Lewis Hamilton und Jenson Button vier Fahrer-WM-Titel zwischen 1998 und 2009, das Mercedes-Silberpfeil-Werksteam wurde von 2014 bis 2021 achtmal in Folge Konstrukteurs-Weltmeister und holte dabei sechs WM-Titel mit Hamilton und einen mit Rosberg." Tatsächlich waren zwischen 1994 und 2021 nur sechs Titelgewinne ohne deutsche Beteiligung im Cockpit oder beim Motor. 2022 hingegen wurde die deutsche Bundeshymne nur ein einziges Mal bei der Siegerehrung gespielt: Für Mercedes bei George Russells Sieg in Brasilien.
Für den langjährigen Chef der Motorsportabteilung aus Stuttgart ist klar, dass das Interesse an der Königsklasse und der Erfolg der Deutschen im Sport korreliert: "Es gab ein Dutzend Jahre lang Ende der Neunziger und in den 2000ern gleich zwei Formel-1-Rennen in Deutschland pro Jahr, vor voll besetzten Rängen und jeweils über 100.000 Zuschauern, und bei RTL schauten zwölf Millionen Interessierte statt wie heute drei Millionen zu. Noch 2010 gab es sieben deutsche Formel-1-Fahrer in einer Saison, heute gibt es mit Nico Hülkenberg noch einen in einem allenfalls zweitklassigen Team und mit Mick Schumacher einen hoffnungsvollen Ersatzfahrer – aber das zumindest im richtigen Team. Einen deutschen Grand Prix gibt es schon lange nicht mehr."
Den letzten regulären Deutschland Grand Prix gab es 2019 in Hockenheim. 2020 durfte dann noch der Nürburgring in der Corona-Phase als Austragungsort des Eifel-Grand-Prix einspringen. Gerade der Hockenheimring wird von vielen Fans schmerzlich vermisst. Die besondere Stimmung im Motodrom gibt es so sonst wohl nur im Stadion in Mexiko. Außerdem waren die letzten Grand Prix an der Mercedes-Hausstrecke absolute Kracher. Die Formel 1 lud 2019 auf ihrem Youtube-Kanal sogar ein zwanzigminütiges Highlight-Video hoch, da die sonst üblichen sieben Minuten für dieses Rennen bei weitem nicht ausreichten.
Haug nimmt die Motorsport-Nation Deutschland in die Pflicht
Doch auch das große Spektakel im Motodrom konnte das Formel-1-Feuer in Deutschland nicht erneut entfachen. RTL stieg aus der dauerhaften Berichterstattung aus, die Königklasse fristet nun ein Schattendasein im Bezahlfernsehen. Mit Sebastian Vettel hat der letzte große Star seine Karriere beendet und das höchsterfolgreiche Mercedes-Team ist, wie auch Haug in seiner Kolumne zugeben muss, zwar mit deutscher Lizenz unterwegs, aber im Kern britisch. Und sonst? Nur Mick Schumacher hat noch eine langfristige Perspektive und Audi kommt erst 2026. Haug lässt daher kein gutes Haar an den Verantwortlichen von Auto-Deutschland: "Ein eifernder grüner Automobilverweigerer hätte keine weniger ambitionierte und weniger erfolgreiche deutsche Formel-1-Strategie entwickeln können."
Der Einstieg von Audi allein wird die Gesamtsituation kaum verbessern können, daher nimmt Haug alle großen Player in die Pflicht: "Audi, wir haben ein Problem, kann ich da nur sagen. Audi, die 2026 in die Formel 1 kommen werden, Mercedes, der ADAC, der AvD, deutsche Sponsoren und alle sogenannten Stakeholder sollten kräftig in die Hände spucken, Nachwuchsarbeit betreiben und gemeinsam dafür sorgen, dass die Autonation Deutschland nicht endgültig die Beute der Autohasser wird." Für Haug ist der Wohlstand Deutschlands zu einem großen Teil auf die Erfolge der Automobilbranche zurückzuführen und dazu gehört auch der Motorsport, insbesondere die Formel 1.
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