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Zwei Titel innerhalb von zehn Monaten. In Suzuka, im Heimatland des Motoren-Partners Honda machte Max Verstappen amtlich, was eigentlich schon vorher klar war: Seine zweite Weltmeisterschaft. Wie Sebastian Vettel krönte sich Max Verstappen eine Dekade später in Japan zum Doppel-Weltmeister. Nur eine Parallele des einstigen Red-Bull-Wunderkinds mit dem aktuellen. Das Rennen und die Entscheidung, bis der Titel fix war: Konfus. Der Weltmeister nicht. "Was für ein Jahr, unglaublich. Das hätte ich mir nie erträumen lassen." Max Verstappen und Red Bull, ein tödliches Duo. Zumindest für die anderen neun Teams im Grid.
Nach einer Durststrecke von sieben Jahren Mercedes-Dominanz war es am 12.12. 2021 so weit: Max Verstappen holte sich seinen ersten Weltmeistertitel. Im letzten Rennen, in der letzten Runde des letzten Jahres der alten Fahrzeuggeneration. Spektakulär: "Ich habe schon immer an Märchen geglaubt", kann es Sportdirektor Jonathan Wheatley kaum glauben. Hier weinten nicht nur Mercedes-Fans.
Der große Gegner war besiegt, die eigenen Motoren stehen in den Startlöchern, mit Max Verstappen und Sergio Perez scheint endlich die perfekte Fahrerpaarung gefunden. Der Maverick der Formel 1, der Energy-Drink-Hersteller gegen Auto-Größen wie Mercedes und Ferrari. Als Party-Team gestartet, zweifelt heute keiner mehr an der Ernsthaftigkeit, mit der Red Bull unter der Führung des Österreicher-Duos Dr. Helmut Marko und Dietrich Mateschitz sowie des Teamchefs Christan Horner den Sport betreibt.
Sieg trotz zweifeln und Startschwierigkeiten
Zweifler schrieben Red Bull nach dem WM-Kampf und einer sehr späten Fokussierung auf das Jahr 2022, mit einer neuen Generation an Rennautos, schon vorzeitig ab. Nur Zuseher beim Titelkampf. Diese Vorhersage ist nicht gut gealtert. "Ich kann mir nur wünschen, dass Toto über die nächsten acht Jahre die gleichen Schmerzen wie wir erleiden muss", scherzte Christian Horner, nachdem Max Verstappen in Monza das fünfte Rennen in Folge gewinnen konnte. Alte Narben der Mercedes-Alleinherrschaft in der Turbohybrid-Ära.
Die neue Ordnung sieht Red Bull und Max Verstappen als Dominatoren der Fahrer- und Konstrukteurswertung. Sergio Perez kämpfte zwischendurch mit sich selbst, und dem RB 18, gab aber nie auf und schaffte es mit dem 'mexikanischen Weg' zurück auf die Siegerstraße. Aufgeben gibt es nicht beim Team aus Milton Keynes. "Wir machen das Unmögliche möglich", so die Devise von Teamchef Christian Horner. Mit einem streckenunabhängig schnellen RB18 aus der Feder Adrian Neweys, flog Max Verstappen seinem zweiten Titel entgegen und den Ferraris davon. "Er geht wie Jesus über das Wasser", packte Horner schon die Bibel-Vergleiche aus.
Ein ganz anderes Bild zu Beginn der Saison. Desaströser Auftakt in Bahrain: Doppel-Ausfall bei Red Bull, Doppel-Sieg bei Ferrari. Der Schuldige: Ein Vakuum im Benzinsystem. Aber der Red-Bull-Weg sieht kein Aufgeben vor. Max Verstappen gewinnt das nächste Rennen in Saudi-Arabien. Das Auf und Ab geht weiter, Ausfall in Australien (Benzinleitung), Sieg in Imola. Wenn Verstappen ins Ziel kommt, gewinnt er. Fahrerisch hat der 25-Jährige sich im Vergleich zum Vorjahr noch weiter verbessert. Der Weltmeistertitel ist von der To-Do-Liste gestrichen, der 'neue' Max Verstappen wirkt ruhiger, geduldiger, geht nicht mit der Brechstange ans Werk. Und ist ein Meister im Reifenmanagement. "Er kann extrem schnell fahren und gleichzeitig die Reifen schonen", lobt Dr. Helmut Marko. "Das ist ein weiteres Geheimnis von ihm."
All das schien zu Beginn der Saison nicht wichtig, denn: Der RB18 war schnell, aber unzuverlässig. Nach Behebung der Zuverlässigkeitsprobleme schien vor allem Sergio Perez beim neuen Arbeitgeber immer besser in die Gänge zu kommen. Im Vorjahr unterlag er Verstappen im Qualifying-Duell noch klar 20:3, 2022 konnte der Mexikaner in Saudi-Arabien seine erste Pole Position einfahren und zumindest zu Beginn mit Max Verstappen mithalten.
Der durch die beinahe 15 Kilogramm Übergewicht zum Untersteuern-neigende RB18 entsprach genau dem Fahrstil des Mexikaners. Mit dem Sieg in Monaco setzte sich Sergio Perez nicht nur im Fürstentum die Krone auf: Kurzzeitig wurde sogar er, und nicht Charles Leclerc als erster Herausforderer von Max Verstappen erkoren. Aber: Der Hype erlosch so schnell wie er entbrannte. Ein paar schwierige Rennen von Perez später, waren die Fronten wieder geklärt. Dafür entbrannte eine neue Diskussion. Entwickelt Red Bull den RB18 bewusst in Richtung seines 'Wunderkindes'?
Das dementierte das Team aus Milton Keynes sofort. "Mehrere Faktoren spielen eine Rolle. Hauptauslöser ist die veränderte Balance und das fehlende Vertrauen ins Auto", erzählt Pierre Wache, Technischer Direktor bei Red Bull. Der RB18 werde nicht von 'Checo' weg, sondern zu maximaler Performance hin entwickelt. "Wenn wir das Auto entwickeln, dann streben wir nach der besten Leistung. Es passt jetzt mehr zu Max, aber das war nicht der Zweck der Updates."
Updates verbesserten Performance
Einerseits verliehen die Updates dem RB18 Flügel, zusätzlich wurden schrittweise die überflüssigen Kilos abgebaut. "Bei den Weight-Watchers verlierst du ja auch nicht das ganze Übergewicht in einem Rutsch!", erklärt Dr. Helmut Marko. Die Updates des RB18 schlugen sich zwar mehrmals mit einem höheren Gewicht zu Buche, aber: Eine verbesserte Balance und Aerodynamik rechtfertigen die Nachteile eines wuchtigeren Boliden.
Zurecht, laut Chefingenieur Paul Monaghan: "Wenn wir so die Performance unseres Autos verbessern, hilft uns das in Qualifying und Rennen." Nach Beendigung der Weight-Watcher-Reise des RB18 zeigte er sein wahres Potenzial: Charles Leclerc schaffte noch einen Sieg Anfang Juli, dann war Schluss mit lustig: Dass genau beim Heimrennen des österreichischen Teams die Fratelli d'Italia gespielt wurde, ließ sich Red Bull nicht bieten. Jedes Rennen danach wurde gewonnen. Die Siegesserie ging zwar mit einem Performance-Abfall bei Ferrari (Fahrfehler, fragwürdige Strategien, Probleme mit hohem Reifenverschleiß) einher, trotzdem war spätestens seit der Sommerpause eine Überlegenheit des RB18 gegenüber dem F1-75 nicht zu leugnen.
Damit einher ging ein Nebeneffekt, der für Fans von Sergio Perez schwer zu verkraften ist: Mit jedem verlorenen Gramm gewann der Bolide aus dem Hause Red Bull nicht nur mehrere Zehntel pro Runde, sondern passte sich immer mehr Max Verstappens Fahrstil an. War zu Beginn der Saison Ferrari noch im Qualifying eine Bank, kann Red Bull die Scuderia immer öfters auch auf eine Runde bezwingen. Und im Rennen mit der starken Rennpace des RB18 sowieso.
"Du wärst ganz schön blöd, nicht auf Max zu setzen, oder?", scherzte George Russell in Monza nach dem Qualifying. Und das, obwohl Max Verstappen aufgrund einer Motorenstrafe von Platz sieben aus ins Rennen startete. Lange hielt er sich so weit hinten nicht auf: Verstappen pflügte (wie schon in Spa von P14 aus) durchs Feld und war nach fünf Runden im Getriebe von Leclerc. Zu stark die Longrun-Pace von Red Bull. Das und die Kombination mit einem fliegenden Holländer und einer suboptimalen Ferrari-Strategie machte kurzen Prozess mit den Hoffnungen der Tifosi auf einen Ferrari-Sieg im königlichen Park.
Eine von vielen Machtdemonstrationen 2022. In Ungarn gewann Max Verstappen trotz eines verhaltenen Qualifyings (beziehungsweise Honda-Motors) von P10 aus. Dabei wurde Leclerc, der mit den harten Reifen und der Ferrari-Strategieabteilung kämpfte, aufgrund eines Drehers von Verstappen gleich zweimal überholt. Und das mit Leichtigkeit. "Angriff ist die beste Verteidigung. Max hat dieselbe Einstellung", weiß Christian Horner. Verstappen trat bei seinem Dreher in Kurve 13 des Hungarorings aufs Gas, statt auf die Bremse und verlor mit einer sehenswerten 360-Grad-Drehung nur minimal Zeit. Volles Risiko, gemeinsam mit einer guten Portion an Energydrinks, ein Hauptbestandteil der DNS des österreichischen Rennstalles.
Der Motor als Schlüssel zum Erfolg
Das Stichwort Risiko führt uns zum nächsten Teil im Red-Bull-Erfolgs-Puzzle: Der Motor. Nach dem Ehedrama zwischen Renault und Red Bull (oder Christian Horner und Cyril Abiteboul) wagte der Rennstall mit Honda-Motoren einen wagemutigen Neustart. 2018 zuerst beim Schwesterteam Toro Rosso/AlphaTauri ausprobiert, dann nach erfolgreicher Testphase 2019 auch bei Red Bull. Im ersten Jahr der neuen Motorenpartnerschaft gleich der wichtige Heimsieg in Spielberg (schon damals vor Charles Leclerc). Vom einstigen GP2-Motor zu zwei Weltmeistertiteln. Diesmal bekam Red Bull seine erste Klasse und nicht das billige Economy-Ticket von Renault. Gut gepokert.
Ab 2026 braut Red Bull nicht nur Energydrinks, sondern baut eigene Motoren. Der Porsche-Deal ist geplatzt, das Team braucht und will keine Hilfe von außen. "Die Ingenieure haben geweint, als wir zum ersten Mal den Motor gestartet haben", erzählt Christian Horner. Ein mächtiges Projekt, genau nach dem Geschmack von Horner und Co. "Einige Leute bezeichneten uns schon als komplett verrückt", berichtete der Teamchef. Red Bull will von keinem abhängig sein, nicht von Porsche, nicht von einem anderen Motorenhersteller. "Die Leute zweifelten anfangs auch, als wir unser eigenes Chassis bauten", gibt sich der mit 48-Jahren noch immer jüngste Teamchef der Formel 1 zuversichtlich. An Adrian Newey und seinem Aerodynamik-Team zweifelt heute niemand mehr.
Das in Kombination mit einem Top-Piloten - damals Sebastian Vettel, heute Max Verstappen - komplettiert die Erfolgsformel von Red Bull. Ein Primus inter Pares, keine offizielle, aber eine doch unangefochtene Nummer Eins mit unglaublichem Talent. Dazu: Ein ebenfalls nicht offizieller Pilot im Team, der "nicht schlecht, für einen Nummer-Zwei-Fahrer" (Copyright Mark Webber 2010 in Silverstone) ist. Falls Verstappen der Reifen platzt (Baku 2021) oder ihm im Qualifying der Sprit ausgeht (Singapur 2022) ist Perez zur Stelle, um wichtige Punkte aufzusammeln. Oder Max Verstappen zum Weltmeistertitel zu verhelfen. Sergio Perez, der mexikanische Verteidigungsminister und Weltmeister-Macher für Verstappen. Egal ob gegen Lewis Hamilton oder Charles Leclerc, Max Verstappen kann im WM-Kampf immer auf mexikanische Schützenhilfe zählen, auch nach dem Brasilien-Drama zwischen den beiden Piloten.
Die Wachablösung eines Dominators
Nach einem Erfolgslauf von acht Jahren wird Mercedes so 2022 auch den Konstrukteurstitel an die Erzrivalen aus Milton Keynes verlieren. Seit dem letzten Sieg von Lewis Hamilton in Saudi-Arabien (2021), holte Max Verstappen zwei Weltmeistertitel. Sieht die Formel 1 einer erneuten Red-Bull-Dominanz wie schon in den vier Jahren mit Sebastian Vettel entgegen? Zumindest wechselt die Nationalhymne von der deutschen zur niederländischen. Max Verstappen, mit einem Vertrag bis 2028 ausgestattet, ist jedenfalls noch nicht fertig. "Ich habe noch viele Jahre in der Formel 1 vor mir", so seine Kampfansage. "Ich will noch mehr Rennen und Titel gewinnen!"
Doch ist nicht alles Gold, was glänzt (wie die Schuhe von Max Verstappen). Der so dominante RB18 ließ die Konkurrenz spekulieren: Geht da alles mit rechten Dingen zu? Allen voran Mattia Binotto, der sich über die Finanzplanung von Red Bull wundert. Die vielen Updates, die Gerüchte über einen neuen, leichteren Unterboden. "Wir bei Ferrari könnten uns das niemals leisten", wunderte sich der Ex-Teamchef der Scuderia. "Alles im budgetären Rahmen", war sich Dr. Helmut Marko und sein Team vor und nach der FIA-Bekanntgabe des Finanzberichtes sicher. Langweilig wird es nie mit Red Bull, weder auf, noch abseits der Strecke. Nicht einmal, wenn sie schon vier Rennen vor Schluss Weltmeister werden.
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