Daniel Ricciardo hatte in seinen zwei Jahren bei McLaren gegen Teamkollege Lando Norris seine liebe Müh und Not. 2021 konnte er sich im verlauf der Saison zwar an den Briten heranarbeiten und holte im Vergleich noch mehr als zwei Drittel der Punkteausbeute des Teamkollegen, doch in der Folgesaison unter einem neuen Reglement ging gar nichts mehr. Die teaminterne Bilanz 2022 war vernichtend für den Australier: 122 zu 37 Zähler zugunsten von Norris. 2023 wird der 'Honigdachs' daher durch Landsmann Oscar Piastri ersetzt.

Ein solche Entwicklung hatte Ricciardo schon einmal selbst erlebt, wie er sich im Formel-1-Podcast 'Beyond the Grid' erinnert. Damals war es allerdings er selbst, der den etablierten Fahrer entzauberte: "Ich sehe, wie er [Norris, Anm. d. Red.] in seinem Umfeld aufgeblüht ist. Ich denke es war wohl ein bisschen so, wie bei mir und Vettel. Niemand erwartete, dass ich ihn schlagen würde. Ich weiß nicht einmal, ob mein Vater das erwartet hätte."

Lando Norris ließ Daniel Riccardo hinter sich, Foto: LAT Images
Lando Norris ließ Daniel Riccardo hinter sich, Foto: LAT Images

2014 holte der Australier in seiner ersten Red-Bull-Saison drei Siege und wurde WM-Dritter, während Vettel sieglos auf WM-Rang fünf kam. Der Deutsche hatte die Vorsaison mit neun Siegen in Folge beendet, während Ricciardo vor 2014 noch nicht einmal einen Podestplatz vorzuweisen hatte. Ganz so stark waren die Gegensätze vor seinem McLaren-Debüt nicht: "Natürlich bin ich kein vierfacher Weltmeister, aber als ich zu McLaren kam, da hat wohl die Mehrheit der Leute erwartet, dass ich Lando schlagen würde."

Norris mit dem Vorteil der Jugend

Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen kann sich Ricciardo in seinen ehemaligen britischen Teamkollegen hineinversetzen: "Er war der Underdog und wenn du dann anfängst deinen Rivalen zu schlagen, dann geht dir alles leichter von der Hand. Du musst nicht viel über alles nachdenken." Er selbst hingegen hätte die Unbekümmertheit von 2014 nicht mehr gehabt: "Wenn du jung bist, dann fühlst du dich noch unverwundbar. Du kannst es einfach durchziehen. Es ist wie eine Nacht durchzufeiern. Heute tut das am nächsten Tag weh, aber als junger Kerl machst du einfach weiter."

Daniel Ricciardo lief Sebastian Vettel 2014 den Rang ab, Foto: Sutton
Daniel Ricciardo lief Sebastian Vettel 2014 den Rang ab, Foto: Sutton

Vielfach spekulierten Fans, ob Norris von Seiten des Teams besser unterstützt wurde, da er ein Eigengewächs aus dem McLaren-Juniorenprogramm war. Ricciardo sieht das nicht so, sondern betont vielmehr Norris Integration im Team: "Ich kann nicht behaupten, dass sie auf ihn gesetzt haben und mich im Stich ließen. Er ist einfach in diesem Team aufgewachsen und kennt sich dort aus. Er hat seine Pace bewiesen. Jeder bei McLaren freut sich darüber, was Lando für sie leisten kann."

Ricciardo: Norris Können zeigt sich erst beim Kampf um Siege

Doch wie weit geht Norris Potential aus Sicht seines Teamkollegen der letzten zwei Jahre? Für den 33-jährigen ist dies noch unklar: "Es ist schwer ihn einzuschätzen, solange er nicht in einen Top-Team ist und regelmäßig um Spitzenpositionen fährt. Ich kann keinen direkten Vergleich ziehen. Er muss erst einmal gewinnen und dann sehen wir, wie er damit umgeht. Das bewundere ich so an Lewis [Hamilton, Anm. d. Red.]. Natürlich konnte er leichter gewinnen, aber er musste auch und hat dem ganzen Druck standgehalten. Daher ist es schwer, einen Vergleich zu ziehen."

Norris hat im Gegensatz zu Ricciardo noch keinen Sieg für McLaren eingefahren. Eine große Chance dazu hatte er im Russland Grand Prix 2021 mit einer falschen Reifenwahl bei einsetzendem Regen vergeben. Seitdem kam er seinem ersten Grand-Prix-Erfolg mit dem schwächeren McLaren des Jahrgangs 2022 nicht mehr nahe. Die Antwort darauf, ob Norris wirklich ein potenzieller Weltmeister ist, muss Ricciardo noch schuldig bleiben: "Was seine fahrerischen Fähigkeiten angeht, ist er sehr gut. Ist er ein Max Verstappen? Das kann ich momentan nur schwer sagen."

2021 in Sotchi vergab Norris seine große Chance, Foto: LAT Images
2021 in Sotchi vergab Norris seine große Chance, Foto: LAT Images