Carlos Sainz gilt als einer der großen Arbeiter im Feld. Gegen hochtalentierte Teamkollegen wie Max Verstappen, Lando Norris und Charles Leclerc musste er antreten und letztere beiden konnte er sogar schlagen. Für Leclerc galt das zumindest der ersten Ferrari-Saison des Spaniers 2021. Mit dem wesentlich konkurrenzfähigeren F1-75 der neuen Autogeneration 2022 kam der Monegasse besser zurecht. 3 zu 1 Siege, 9 zu 3 Pole-Positions, 11 zu 9 Podestplätze und 308 zu 246 Punkte: In jeder relevanten Statistik lag Charles Leclerc vor seinem Teamkollegen.

Was ließ das Pendel so stark in Richtung Monaco schwingen? Sainz wusste eine Antwort: "Wahrscheinlich der Beginn der Saison. In den ersten sechs oder sieben Rennen, als das Auto am konkurrenzfähigsten war, fuhr er [Leclerc, Anm. d. Red.] auf die Pole-Position und gewann die Rennen." Der Spanier hingegen musste zwei schmerzhafte Ausfälle in Australien und Imola hinnehmen. Ersteren hatte er eindeutig selbst zu verantworten, während Teamkollege Leclerc im Albert Park seine dominanteste Vorstellung des Jahres darbot.

Australien: Leclerc auf Siegkurs, Sainz im Kiesbett, Foto: LAT Images
Australien: Leclerc auf Siegkurs, Sainz im Kiesbett, Foto: LAT Images

Sainz such keine Ausrede: Leclerc 2022 eindeutig besser

Danach konnte Sainz zwar in Silverstone seinen ersten Grand-Prix-Sieg feiern, doch die großen Erfolge staubten andere ab: "Es stimmt auch, dass das Auto vielleicht nicht mehr so gut war wie zu Beginn des Jahres, oder sagen wir, Red Bull hat sich gesteigert, und es war nicht mehr so einfach, eine Pole Position oder einen Sieg zu holen, wie es vielleicht zu Beginn des Jahres war." Trotz des 'schlechten Timings' erkennt der 28-jährige die Leistung seines jüngeren Teamkollegen voll an: "Er hat in diesem Jahr eindeutig einen besseren Job gemacht als ich, sowohl beim Fahren als auch bei der Renndurchführung, und ja, er fühlte sich auf Anhieb wohler im Auto als ich."

Doch woran lag das? An das Vorjahresmodell passte sich Sainz sofort an, während andere Teamwechsler wie etwa Daniel Ricciardo bei McLaren oder Rückkehrer Fernando Alonso bei Alpine Anfangs ihre Probleme hatten. Das Gefühl für einen Formel-1-Boliden kann sehr unterschiedlich sein, wie der Madrilene erklärt: "Es gibt einfach Autos, die man fährt und bei denen man, ohne auf die Rundenzeit zu schauen, weiß, dass man eine gute Runde gefahren ist und dass kein Teamkollege oder jemand anderes schneller sein wird als man selbst. Und dann gibt es andere Autos, bei denen man denkt, dass man eine gute Rundenzeit gefahren ist, aber weiß, dass sie nicht ausreichen wird, weil man hier oder da ein paar Fehler gemacht hat. Und dann gibt es Autos, bei denen man beim Fahren nachdenken muss, und es gibt Autos, die man ganz natürlich fährt."

Sainz ohne natürliches Gefühl für den Ferrari: Vor jeder Kurve nachdenken

Mit dem F1-75 hatte der Spanier keine natürliche Verbindung, wie er zugeben muss: "Dieses Jahr musste ich beim Fahren sehr viel nachdenken. Ich brauchte viel Platz im Kopf, um zu wissen, dass ich diese Art von Kurve so fahren muss und diese Art von Kurve muss ich anders fahren. Und ich bin sicher, es gibt hundertstel und tausendstel von Sekunden, die vergehen, während man über die kommende Kurve nachdenkt." Und diese fehlten dann auf der Stoppuhr gegenüber Leclerc.

Der Sieg in Silverstone war das Highlight der Saison für Sainz, Foto: Scuderia Ferrari
Der Sieg in Silverstone war das Highlight der Saison für Sainz, Foto: Scuderia Ferrari

Der Anspruch von Ferrari ist klar: Der Kampf um Siege und letztendlich die Weltmeisterschaft. Sainz steht noch Arbeit bevor: "Bin ich so weit? Ich glaube nicht. Ich glaube, ich habe immer noch ein paar Dinge mit dem Auto, die mir nicht so leicht von der Hand gehen, und ich müsste eine Menge Dinge ändern." Dennoch verfällt der Sieger des Großbritannien Grand Prix 2022 nicht in Panik, denn in einer handfesten Krise steckt er auch nicht: "Es ist okay, ich kann es schaffen. Ich meine, ich war in letzter Zeit ziemlich schnell, besonders über eine Runde, aber es ist immer noch nicht ideal für einen Rennfahrer wie mich."

Die Basis sei aber bereits gelegt: "Ich bin jetzt auf einem guten Niveau, bei dem ich zuversichtlich bin, dass ich einige gute Ergebnisse erzielen und konstant sein kann." Gutes Niveau ist aber noch nicht das angestrebte Spitzenniveau. Sainz ist daher sehr gespannt auf seinen nächstjährigen Dienstwagen: "Ich freue mich auf das Auto im nächsten Jahr und darauf, zu sehen, ob ich sofort mehr Tempo machen kann." Bei den Testfahrten in Bahrain Ende Februar wird er dann bereits einen Vorgeschmack erhalten, ob 2023 das Gefühl für das Auto früher da ist.