WTF?! Manchmal werden auch wir noch überrascht. Gut so, denn das ist selten genug der Fall, wenn man den ganzen Tag Motorsport um die Ohren hat und die eine oder andere Information oft schon lange vor der Veröffentlichung kennt. Ja, ich weiß, das klingt wie Jammern auf hohem Niveau. Ist es wahrscheinlich auch. Aber Sebastian Vettels Rücktritt war so ein Moment. Mit der Bekanntgabe seines Nachfolgers und der Weigerung seines ‚Nun-doch-nicht'-Ersatzes sollten nur wenige Tage darauf zwei weitere solche Überraschungen für uns folgen. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Es geht um Sebastian Vettel. In unserer wöchentlichen Sendung MSM Live habt ihr uns nach Ungarn natürlich mit Fragen zu Vettel gelöchert. Was ist unser liebster Vettel-Moment? Woran denken wir zuerst, wenn wir an den zweiterfolgreichsten deutschen Formel-1-Rennfahrer denken? An seine 53 GP-Siege? Seine vier WM-Titel? Seine größten Niederlagen? Meine Antwort war nichts davon.

Das erste Mal habe ich Sebastian Vettel, damals noch mit Zahnspange, im Juli 2004 bei einem Event im Rahmen des Deutschland GP in Hockenheim getroffen - lange vor seinem ersten F1-Test oder gar GP-Debüt. Unser damaliger Kolumnist Jacques Schulz stellte uns gegenseitig vor und meinte: »Den Jungen müsst ihr im Auge behalten!« Recht hatte er. Damals eilte Vettel gerade in der Formel BMW Deutschland von Sieg zu Sieg, gewann 18 von 20 Rennen und pflasterte sein Auto mit Smileys für jeden Erfolg zu.

Schon in der Formel BMW dominierte Sebastian Vettel so, wie er später auch in der Königsklasse tun sollte, jeder Smiley auf dem Auto steht für einen Sieg, Foto: Sutton
Schon in der Formel BMW dominierte Sebastian Vettel so, wie er später auch in der Königsklasse tun sollte, jeder Smiley auf dem Auto steht für einen Sieg, Foto: Sutton

Unser nächstes Treffen fand nach Vettels Aufstieg in die Formel 3 Euro Serie beim Saisonauftakt in Hockenheim statt. Unser Ziel: Vettel wie so viele andere Nachwuchstalente zu dieser Zeit (und danach, u.a. Timo Glock, Adrian Sutil, Markus Winkelhock, Marco Wittmann, Nico Hülkenberg) als Kolumnisten für Motorsport-Magazin.com zu gewinnen.

Vettel war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 18 Jahre jung, aber seine bisherigen Leistungen flößten mir schon einen gewissen Respekt ein. Es war klar: Hier steht ein angehender Star vor uns. Entsprechend hegten wir einige Bedenken, was unser Vorhaben anging, schließlich war Vettel damals mit BMW UND Red Bull gleich mit zwei großen Unternehmen verbandelt. Entsprechend niedrig waren unsere Erwartungen, als wir ins Teamzelt von Mücke Motorsport eintraten und ihn suchten. Aber zu unserer Überraschung sagte Sebastian ohne groß zu überlegen direkt zu, alles geklärt, keine weiteren Fragen. BMW? Red Bull? »Ich muss niemanden fragen. Wenn ich das machen will, mache ich das.« Ein Vettel, ein Wort. In der heutigen Motorsportwelt selbst bei Nachwuchsfahrern undenkbar.

Das Abi geschafft und den Pokal in der Hand: Sebastian Vettel 2006 auf dem Podium am Hockenheimring, Foto: Sutton
Das Abi geschafft und den Pokal in der Hand: Sebastian Vettel 2006 auf dem Podium am Hockenheimring, Foto: Sutton

Nach dem Wochenende erschien seine erste Kolumne bei uns. Vettel eröffnete sie mit den Worten: »Kurz nach der Siegerehrung und meiner ersten Siegerpressekonferenz als Gewinner eines F3 Euro Series Rennens, fragte mich der ITR-Pressechef scherzhaft beim Verfassen des Pressetextes nach meiner Lieblingsschlagzeile. So wurde Hand in Hand mit den Motorsport-Magazin.com-Redakteuren die Headline ‚Sieg nach Abi-Stress' geboren.«

Den Titel sollte Vettel 2006 knapp gegen Paul di Resta verlieren, für uns war es dennoch ein Volltreffer. So berichtete er exklusiv in seiner Kolumne über seinen ersten Freitags-Einsatz für BMW Sauber in Istanbul. Erster Tag, erste Bestzeit - und gleich noch zu schnell in der Box gewesen. »Gut, dass ich meine Hälfte der Siegprämie vom Macau GP letztes Jahr noch nicht ausgegeben habe«, scherzte Seb später in seiner Kolumne.

Erster Freitags-Einsatz für BMW Sauber: Seb hat in seiner Kolumne danach trotzdem noch gut lachen, Foto: Sutton
Erster Freitags-Einsatz für BMW Sauber: Seb hat in seiner Kolumne danach trotzdem noch gut lachen, Foto: Sutton

Schon damals erkannte man in den Texten jenen Vettel, der schon bald das gesamte F1-Fahrerlager mit seiner schlagkräftigen, unbekümmerten, lausbübischen Art verzaubern sollte: Regen in Le Mans? »Es ist zu viel Wasser auf der Strecke, ich schwimme und habe keinen Taucheranzug dabei!« Rennen auf drei Kontinenten innerhalb von sechs Wochen? »Ich bin ja noch jung!« Da verkraftete er es auch, als ich ihn an einem Montagnachmittag anrief und von einer verschlafenen Stimme begrüßt wurde. Er war bereits in Macau - mit sechs Stunden Zeitverschiebung! Er nahm aber dennoch brav ab. Wahrscheinlich weil er zwar müde, aber noch jung war!