Die Formel 1 hat 2022 viele Bemühungen unternommen, um die Integrität des Reglements nach den vielen dramatischen Ereignissen des Vorjahres zu wahren. Nachdem das Duell Lewis Hamilton gegen Max Verstappen für mehrere Kontroversen wegen grenzwertiger Straf-Entscheidungen sorgte, sollte nun mit Hilfe von einem kompromisslosen Ansatz und mit besser ausformulierten "Racing-Richtlinien" Klarheit geschaffen werden.
Die Bilanz nach 13 Rennen ist, dass die Strafen zugenommen haben. Von Fahrerseite resultierte der Push nicht notwendigerweise in breitem Zuspruch. Trotz klarer formulierter Regeln beklagen sich manche, dass trotzdem nicht berechenbar abgestraft wird. Andere warnen davor, das Racing mit zu vielen Strafen zu ruinieren. Das Fahrerlager ist fast gespalten, so das Fazit.
Wie detailliert sind die neuen Racing-Regeln der Formel 1?
Neu ist 2022 ein Richtlinien-Dokument, welches vor Bahrain ausgegeben wurde, um die Grundlage für Urteile im Rennen zu vereinheitlichen, welche von den vier FIA-Stewards gefällt werden. Davor waren, besonders am Ende von 2021, eigentlich alle Beteiligten unglücklich darüber, dass "Racing" ein viel zu subjektives Konzept war.
Verschriftlicht sind nun Überholmanöver. Bei einem Manöver innen steht dem Angreifer Platz zu, wenn zumindest sein Vorderreifen am Scheitelpunkt neben dem anderen Auto platziert ist. Bei einem Manöver außen steht dem Angreifer Platz zu, wenn er am Scheitelpunkt vor dem anderen Auto platziert ist. In beiden Fällen wird aber eingeschränkt: Die Stewards sind angehalten, weitere Faktoren in die Bewertung eines Zwischenfalls miteinzubeziehen.
Weiters wurde definiert, dass nur noch die weiße Linie als Track Limit gilt und dass ein Fahrer, der abseits der Strecke überholt, seine Position oder den erlangten Vorteil im Rennen zurückgeben darf - wobei die Einschätzung der Korrektheit bei der Rennleitung wird. Die Wort-für-Wort-Auslegung des Regelwerkes bedeutete außerdem, dass die Definitionen zu Racing im Appendix L des International Sporting Code der FIA immer beachtet werden müssen. Dort steht vor allem konkret, dass mehr als ein Richtungswechsel auf der Geraden beim Verteidigen nicht erlaubt ist.
Formel 1 2022 mit mehr Strafen
Geht man nach den nackten Zahlen, haben die Strafen zugenommen. 2021 gab es insgesamt 18 für "Driving Standard"-Vergehen, bei denen sich zwei oder mehr Fahrer in die Quere kamen. Alle davon sind prinzipiell in zwei Kategorien einzuordnen: Unfälle und das Rausdrücken eines Konkurrenten. Bei den Strafen gab es eine Varianz - meist waren es fünf Sekunden und zwei Strafpunkte, bei vier Zwischenfällen waren es zehn Sekunden, und bei einem - Kimi Räikkönens achtlosem Abräumer von Sebastian Vettel - waren es 20. Gelegentlich gab es drei Grid-Plätze beim nächsten Rennen, wenn der Verursacher ausgefallen war.
2022 hat die Formel 1 nach nur 13 Rennen schon 16 "Driving Standard"-Vergehen bestraft. Die Strafen geben ein einheitlicheres Bild ab: 15 resultierten in 5 Strafsekunden, und nur Esteban Ocons Schubser gegen Lewis Hamilton in Monaco war den dortigen Stewards einen Strafpunkt wert. Alle anderen waren zwei. Hervorzuheben ist der Richtungswechsel-Paragraf. Der resultierte 2021 in nur einer Untersuchung (mit Freispruch). 2022 wurde er zwei Mal für Strafen herangezogen, und resultierte zusätzlich in von der Rennleitung ausgegeben Verwarnungsflaggen.
Formel-1-Richtlinien für Strafen sind 2022 streng
Die Fahrer notieren eine gewisse neue Härte in den Entscheidungen. Die oben angeführten Richtlinien sind für sich genommen auch sehr leicht für Strafentscheidungen herzunehmen. Was wiederum die Fahrer versuchen auszunutzen. Man denke nur an Fernando Alonso, der in Miami wegen Track Limits und in Montreal wegen Richtungswechseln bestraft wurde. In Silverstone schwärzte er daraufhin Charles Leclerc an, der in einem Dreikampf streng genommen gegen beide Regeln verstoßen hatte, aber nicht bestraft wurde.
Die Tür dafür steht offen, weil es den Stewards auch mit mehr Richtlinien weiterhin nicht im Detail vorgeschrieben wird, wie sie bewerten müssen. Das befeuert die Kontroversen und die Funk-Politik. Strikt ausgelegt ist es schnell passiert, dass ein Fahrer in einer Kurve innen einen Vorderreifen danebensteckt und ausreichend verlangsamt, um die Kurve zu bekommen. Lenkt der Verteidiger dann ein und es kommt zu einem Vorderrad-zu-Hinterrad-Kontakt - hat sich dann wirklich der Verteidiger eine Strafe verdient? Oder doch eher der Angreifer?
Die Meinungen gehen im Stewards-Raum von Rennen zu Rennen auseinander. Alex Albon steckte in Saudi-Arabien die Nase bei Lance Stroll rein und wurde trotz Rad-an-Seitenkasten-Kontakt bestraft. Mick Schumacher steckte in Miami die Nase bei Sebastian Vettel rein und wurde nicht bestraft, Vettel eine Teilschuld zugesprochen. Das Funk-Lobbying nahm, obgleich der Tatsache, dass man sich nun auf tatsächliche Verschriftlichungen berufen konnte, zu. George Russell versuchte sich in Frankreich optimistisch bei Sergio Perez hineinzudrücken, und dann nach dessen Einlenken bis zum Beinahe-Crash eine Strafe zu verhandeln, was strikt nach den neuen Vorgaben auch möglich gewesen wäre.
Unsichere Formel-1-Fahrer warnen: Strenge als Desaster
Die anhaltende Unberechenbarkeit hat bei den Fahrern dazu geführt, die Stewards-Rotation nun als Wurzel allen Übels auszumachen. Mit den vagen Richtlinien ausgestattet wechseln diese von Rennen zu Rennen. Beispielsweise waren die vier Stewards, die Albon in Saudi-Arabien bestraften, vier andere als jene, die Schumacher in Miami freisprachen.
Stattdessen die Richtlinien robuster zu gestalten, halten viele für keine gute Option. "Du kannst für alles Regeln haben, aber dann wird es ein Desaster", meint Charles Leclerc. Dass er sich in seinem Dreikampf in Silverstone teilweise über dem Limit der strikten Auslegung bewegte, und dass dieser Dreikampf zwischen ihm, Lewis Hamilton und Sergio Perez trotzdem gefeiert wurde, dient ihm als Beweis: "Manchmal musst du einfach laufen lassen. Wir haben alle mit dem Limit gespielt."
"Manchmal gerät es an einen Punkt, wo es zu viele Regeln sind, und dann ist es kein natürliches Racing mehr", meint Lando Norris. "Wenn du fährst, willst du nicht darüber nachdenken, wie viel Platz du wann genau lassen musst, ob du nur einen Richtungswechsel fahren darfst, und ob, wenn du dich wegen dem Wind bewegst, du noch einmal die Richtung wechseln musst. Das ist an einem Punkt alles zu viel Mist."
"Viel davon versuchen wir mit ihnen zu diskutieren", meint Norris in Richtung FIA. "Nicht, dass sie uns nicht zuhören. Es ist einfach schwierig zu erklären, wie das in einem Rennwagen abläuft. Wir wollen ihnen helfen. Es ist nicht immer einfach so, eine Regel zu ersetzen, oder einfach alles rauszuhauen. Sie müssen unsere Interpretation der Dinge hernehmen und versuchen, es irgendwie neu zu machen."
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