Neuer Unterboden mit Venturi-Kanälen, neuer Frontflügel, neuer Heckflügel, keine Bargeboards und neue Reifen: Für mehr Überholmanöver und besseres Hinterherfahren drehte die Formel 1 im neuen Reglement für die Saison 2022 jeden Stein um. Erstmals seit 2009 gab es eine große Regelrevolution mit dieser Intention. 2014 drängten die Motorenhersteller aufgrund des Umweltgedankens auf die Einführung von V6-Turbos mit Hybridsystem. 2017 war das erklärte Ziel, schnellere und aggressiver aussehende Autos zu gestalten.
Hat sich die Arbeit der technischen Kommission der Formel 1 bezahlt gemacht? Wir haben uns die bisherige Überholstatistik der Saison 2022 angesehen und mit dem Vorjahr verglichen. Natürlich funktioniert dieser Vergleich nur auf Strecken, die in beiden Jahren im Kalender waren. Die diesjährigen Rennen in Melbourne, Miami und Montreal scheinen daher nicht auf, da sie 2021 corona-bedingt ausfielen beziehungsweise noch nicht im Kalender waren. Außerdem wurden Sprintrennen nicht berücksichtigt. Zur Vollständigkeit sei auch noch erwähnt: Positionsverschiebungen in der Startphase, auch bei Restarts nach roter Flagge, oder durch Boxenstopps gehen nicht in die Statistik mit ein.
2022 | 2021 | Differenz | |
---|---|---|---|
Bahrain | 76 | 75 | 1 |
Saudi-Arabien | 33 | 27 | 6 |
Emilia-Romagna | 22 | 42 | -20 |
Spanien | 50 | 51 | -1 |
Monaco | 12 | 0 | 12 |
Aserbaidschan | 23 | 27 | -4 |
Großbritannien | 30 | 29 | 1 |
Österreich | 69 | 38 | 31 |
Frankreich | 32 | 60 | -28 |
Ungarn | 65 | 17 | 48 |
Gesamt | 412 | 366 | 46 |
Schnitt | 41,2 | 36,6 | 4,6 |
Mit Blick auf die Gesamtzahl der Manöver in den 10 gemeinsamen Rennen ist ein Unterschied zu erkennen, obwohl die Steigerung nur moderat ausfällt. 366 Manövern aus dem Vorjahr stehen 412 Überholvorgänge aus der aktuellen Saison gegenüber. Der Schnitt pro Rennen stieg von 36,6 auf 41,2. Der Grand Prix mit den meisten Überholmanövern war beide Male der Saisonauftakt in Bahrain. Das Schlusslicht bildete wenig überraschend jeweils der Monaco Grand Prix.
Zur Analyse unterteilen wir die Ergebnisse in drei Kategorien: Rennen mit deutlich mehr Manövern, Rennen mit deutlich weniger Manövern und Rennen die 2022 und 2021 in etwa den gleichen Wert produzierten. Abgesehen von den sich deutlich unterscheidenden Autos gilt es in diesem Vergleich natürlich auch andere Faktoren wie Wetter, Strafversetzungen und ähnliches zu berücksichtigen.
Hier wurde deutlich mehr überholt: Monaco, Österreich, Ungarn
In Monaco steigerte sich die Formel 1 von einem überholfreien Rennen 2021 zu immerhin 12 Manövern im Jahr 2022. Der Grund hierfür ist jedoch höchstwahrscheinlich das Wetter, regnete es in der diesjährigen Ausgabe zunächst sogar so stark, dass der Rennstart lange verzögert werden musste. 2021 blieb es im Fürstentum komplett trocken, ein fairer Vergleich lässt sich also nicht ziehen.
In Österreich gibt es keine anderweitige Erklärung für die um 31 Manöver angewachsene Rennaction. Die beiden Mercedes verpatzen das Qualifying, doch machten sie die Positionen zum größten Teil schon im Sprint wieder gut. Fernando Alonso startete von ganz hinten und musste sich nach vorne kämpfen. Diese Faktoren reichen aber wohl nicht aus, um den starken Zuwachs zu erklären.
Den eklatantesten Anstieg sehen wir beim Rennen am eigentlich als überholfeindlich geltenden Hungaroring. Satte 48 Überholmanöver mehr sahen die Zuschauer als im Vorjahr. Das Rennen 2021 war jedoch von einem schweren Startunfall geprägt, der zahlreiche Ausfälle forderte. Weniger Autos im Rennen bedeuten logischerweise auch weniger Überholmöglichkeiten. Nur Lewis Hamilton konnte 2021 im überlegenen Mercedes mehrere Manöver zeigen. 2022 hingegen gab es zahlreiche Überholvorgänge und Zweikämpfe an der Spitze und im Mittelfeld zu sehen.
Rückgänge mit Umständen zu erklären? Emilia-Romagna und Frankreich
2022 gab es in Imola 20 Überholmanöver weniger als im Vorjahr. Dafür kann zumindest ein Grund angeführt werden. 2022 gab es dort ein Sprintrennen, in dem schnellere Autos bereits nach vorne kamen, ohne dass dies in die Überholstatistik des Grand Prix einging. Das Wetter hingegen war beide Male feucht, sodass dies als Erklärung nicht herhalten kann.
Der Frankreich Grand Prix ist im Vergleich zum Vorjahr sogar mit 28 Überholmanövern im Minus. Der Grund hierfür ist schnell gefunden: Der Wind. In Le Castellet ist die beste Überholmöglichkeit auf der langen Mistral-Geraden, welche im Formel-1-Layout durch eine Schikane unterbrochen ist. 2021 herrschte hier starker Gegenwind, der den Windschatten und DRS-Effekt deutlich verstärkte. In der diesjährigen Ausgabe hingegen mussten die Piloten gegen Rückenwind ankämpfen, von dem der verteidigende Vordermann deutlich mehr profitierte als das hinterherfahrende Formel-1-Auto.
Kaum Unterschiede: Bahrain, Saudi-Arabien, Spanien, Aserbaidschan, Großbritannien
Bei den fünf verbleibenden Rennen gibt es nur leichte Verschiebungen zu vermelden. Interessant sind hier vor allem der Spanien Grand Prix und das Rennen in Baku. Die Rennstrecke in Barcelona gilt eigentlich als überholfeindlich, doch hatte sie in beiden Ausgaben überdurchschnittliche Werte aufzubieten. Für Baku gilt das Gegenteil. Das Rennen in der Hauptstadt Aserbaidschans gilt unter Fans als actionreich und unberechenbar. In den letzten beiden Jahren gab es dennoch nicht allzu viele Manöver zu zählen, trotz einer schier ewig langen Start-Ziel-Geraden.
Bei den anderen drei Grand Prix kommt es trotz unterschiedlicher Rennverläufe zum fast gleichen Ergebnis in der Statistik. Überholmanöver begünstigende oder verhindernde Faktoren lassen sich hier sowohl für 2021 als auch für 2022 kaum benennen. Dass Bahrain die Überholwertung in beiden Jahren anführt, spricht mehr für die Strecke an sich als für eines der beiden Reglements.
Fazit: Keine Überholflut durch neue Formel-1-Regeln
Trotz der leicht erhöhten Gesamtanzahl an Manövern hat sich die Formel 1 durch die Regeländerungen nicht plötzlich zu einem Überholfestival entwickelt. Auf manchen Strecken, wie in Ungarn und Österreich, zeigten die Regeänderungen wohl ihre intendierte Wirkung. In anderen Fällen erwies sich der stärkere DRS-Effekt der Vorjahreswägen als Vorteil.
Letztendlich meißeln unsere Statistiken die Qualität der Rennen nicht in Stein, denn das Empfinden eines actiongeladenen und spannenden Grand Prix bleibt eine subjektive Wahrnehmung der Fans. Mehr Überholmanöver bedeuten nicht unbedingt ein besseres Rennen. Wenn ein Fahrer mit offenem DRS mit Leichtigkeit an einem Konkurrenten nach dem anderen vorbeifliegt, erzeugt das vermutlich nicht so viel Begeisterung wie ein enger Zweikampf über mehrere Runden. Am Ende steht in der Statistik dennoch ein höherer Wert bei dem Rennen mit vielen DRS-Manövern. Wie empfindet ihr das Racing der Saison 2022? Sagt es uns in den Kommentaren.
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