Das neue Regelwerk der Formel 1 ist nun ein halbes Jahr lang in Kraft. Nachdem die Regeln in den Jahren zuvor relativ stabil blieben, mussten die Teams mit den neuen Autos des Jahrgangs 2022 wieder mit einem weißen Blatt Papier anfangen. Einzig das Motorenreglement blieb unangetastet, doch mussten auch die Power-Units in eine neue technische Umgebung eingebaut sowie auf den bevorstehenden Engine Freeze vorbereitet werden. Schließlich sind nun nur noch Updates zur Verbesserung der Zuverlässigkeit erlaubt. Wer mehr Performance herausholen wollte, musste dies über die Winterpause machen.

Neben den Fragen des verbesserten Überholens und eines neuen Kräfteverhältnisses bringt das neue Reglement auch die Frage der Zuverlässigkeit der Autos im Vergleich zu jahrelang optimierten Fahrzeugen mit sich. Wir haben uns die Ausfallstatistik 2022 nach 13 Saisonrennen angesehen und sie mit den ersten 13 Rennen der Vorsaison verglichen. Das Ergebnis ist deutlich.

Aufallkategorie20212022
Kollisionen1413
Unfälle16
Motorschäden29
Getriebeschäden33
Reifenschäden20
Andere Defekte716
Gesamtzahl2947

Deutlich mehr Ausfälle in der Formel 1 2022

Die Gesamtzahl der Ausfälle nach gleicher Anzahl an Rennen und bei gleicher Teilnehmerzahl lässt aufhorchen. Kamen 2021 nach 13 Rennen 29 Piloten nicht ins Ziel, so sind 2022 satte 47 Ausfälle zu verzeichnen. Das entspricht einer Steigerung der Ausfallquote von mehr als 50%. 2021 fielen im Durchschnitt 2,2 Piloten pro Rennen aus. 2022 ergibt sich ein Durchschnittswert von 3,6 Ausfällen pro Grand Prix. Wodurch ist dieser deutliche Unterschied zu erklären? Wir haben uns die Ausfallgründe angesehen.

Fahrer nicht aggressiver im Zweikampfverhalten

An Kollisionen und Unfällen zwischen den Piloten liegt es nicht. 2021 standen hier 14 Ausfälle zu Buche, 2022 sind es 13. Die neuen Regeln, mit denen die Autos besser hinterherfahren können, haben also nicht zu mehr Beschädigungen im Zweikampf geführt. Die Statistik von 2021 ist allerdings durch einen großen Startunfall nach oben getrieben worden. 2021 fielen in Ungarn sechs Piloten aufgrund des von Valtteri Bottas verursachten Startcrashs aus. Der bisher größte Crash der Saison 2022, beim Start in Silverstone, verursachte 'nur' drei Ausfälle.

2021 sorgte der Startcrash in Ungarn für sechs Ausfälle, Foto: LAT Images
2021 sorgte der Startcrash in Ungarn für sechs Ausfälle, Foto: LAT Images

2022er Autos schwerer zu fahren?

Im Bereich der Unfälle, also Ausfälle ohne Fremdeinwirkung, zeigt sich hingegen ein deutlicher Unterschied. 2021 schmiss nur Nikita Mazepin bereits beim Saisonauftakt in Bahrain das Auto weg. 2022 hingegen gab es bereits sechs Ausfälle aufgrund von Fahrfehlern und das obwohl der von vielen als Crashpilot angesehene Russe Mazepin nicht mehr mitfährt. Die Autos der Generation 2022 scheinen also schwieriger beherrschbar als noch im Vorjahr.

2022 crashten mehr Piloten ohne Fremdeinwirkung, Foto: LAT Images
2022 crashten mehr Piloten ohne Fremdeinwirkung, Foto: LAT Images

Motoren gehen deutlich öfter hoch

Im Motorenbereich herrscht seit 2014 große Kontinuität in Sachen Regelwerk. Im letzten Jahr gab es nur zwei Ausfälle durch Motorschäden zu verzeichnen. 2022 sind es allerdings deren neun. Dafür könnte es zweierlei Gründe geben: Zum einen mussten die Motoren in neue Chassis eingebettet werden, was für Fehler sorgen könnte. Zum anderen sind die Motorenhersteller bei der Weiterentwicklung für 2022 vielleicht mehr Risiko eingegangen, da die Triebwerke danach eingefroren werden.

Getriebe und Reifenschäden kaum nennenswert

Die Getriebe sind häufig Thema bei Defekten im freien Training und bei Strafversetzungen. Für Ausfälle im Rennen sorgen sie aber überraschend selten. Sowohl 2021 als auch 2022 sind drei Piloten wegen Getriebeschäden nicht ins Ziel gekommen. Für die Reifen gilt ähnliches. Die zwei Reifenschäden von 2021 passierten im selben Rennen, als Lance Stroll und Max Verstappen der Hinterreifen auf der Start-Ziel-Geraden in Baku platzte. 2022 gaben die Pirelli-Pneus noch kein einziges Mal auf.

2022 gab es deutlich mehr Motorschäden als im Vorjahr, Foto: LAT Images
2022 gab es deutlich mehr Motorschäden als im Vorjahr, Foto: LAT Images

Kinderkrankheiten deutlich weiter verbreitet

Den deutlichsten Unterschied sieht man bei Defekten, die nicht dem Motor, Getriebe oder Reifen zuzuordnen sind. In der Formel 1 spricht man hier gerne von sogenannten Kinderkrankheiten, wie beispielsweise Sensorfehlern oder Elektronikdefekten. 2021 kamen deswegen 7 Fahrer nicht ins Ziel. 2022 hat sich die Anzahl der Defekte mit 16 mehr als verdoppelt. Die mangelnde Erfahrung mit einem komplett neuen Regelwerk zeigt sich hier deutlich.

Die Alfa-Romeo-Piloten mussten ihren Wagen schon häufig wegen technischen Defekten abstellen, Foto: LAT Images
Die Alfa-Romeo-Piloten mussten ihren Wagen schon häufig wegen technischen Defekten abstellen, Foto: LAT Images

Fazit: Neue Formel-1-Autos technisch labiler

Obwohl sich auch die Anzahl der Fahrfehler erhöhte, ist der Großteil der dazugekommenen Ausfälle technisch bedingter Natur. Waren technische Gebrechen 2021 noch zu 48% für verpasste Zielankünfte verantwortlich, so sind es 2022 fast 60%. Die Unerfahrenheit der Teams mit dem neuen Reglement zeigt sich hier deutlich, zumal im Vorjahr sogar nur modifizierte 2020er Autos am Start waren, welche in der Theorie also noch weiter ausgereift waren.