Vorbild oder Heuchler? Über den Menschen Sebastian Vettel gibt es geteilte Meinung. Niemandem aber in unserem Sport ist Vettel egal. Vettel hat von Anfang an polarisiert, auf und neben der Strecke, Vettel hat Ecken und Kanten. Knallharte Zweikämpfe, knallharter Egoismus wie einst bei der Multi21-Affäre in Malaysia.

Seine erdrückende Dominanz erklärte er dazumal mit der Arbeitseinstellung der Konkurrenz. Die würde die Eier in den Pool hängen, während bei Red Bull noch gearbeitet wird. Gridboys fand der Heppenheimer auch eher so semi-gut. "Warum hatten wir heute keine Gridgirls?", fragte er. "Was soll das, dass wir hinter einem George oder Dave parken müssen?"

Aussagen, die Sebastian Vettel heute so sicherlich nicht mehr treffen würde. Vettel hat sich weiterentwickelt. Und wieder eckt er damit an. Weil Vettels Einsatz für verschiedene gesellschaftliche Themen einigen im Formel-1-Zirkus zu viel wird.

Egal wie man zur Person Vettel und zu den Themen stehen mag: Der 35-Jährige bringt die Themen nicht auf, weil sie en vogue sind. Vettel spricht das an, was ihn bewegt. Vettel argumentiert und plappert nicht nur nach. Bei gesellschaftlichen Themen gibt es vom Hessen keine PR-Floskeln.

Auch Ferrari-Vettel ist keine Lachnummer

Die gab es zuletzt dafür bei sportlichen Themen immer öfter. Sportlich spielte Vettel in den letzten Jahren nur noch eine Nebenrolle. In seinen letzten Ferrari-Jahren gab es nicht nur die schmerzliche Niederlage gegen Charles Leclerc und den Rauswurf. Vettel wurde international aufgrund seiner zahlreichen Fehler - auch im WM-Kampf gegen Hamilton - fast zur Lachnummer.

Die letzten Ferrari-Jahre und die anderthalb Saisons bei Aston Martin werden dem Rennfahrer Sebastian Vettel keineswegs gerecht. Vier Weltmeistertitel und 53 Grand-Prix-Siege sprechen für sich. Nur Lewis Hamilton und Michael Schumacher haben mehr Formel-1-Rennen gewonnen. Dass am Sportler Vettel im Gesamtbild überhaupt gezweifelt wird, ist frech.

Dass er es mit Ferrari nicht schaffte war für die Kritiker der finale Beweis, dass der Deutsche ein überbewertetes Wunderkind war. Klar, den WM-Titel verfehlte er, aber trotzdem siegte er insgesamt 14-mal in Rot. Nur Michael Schumacher und Niki Lauda standen für die Mythosmarke öfter auf Platz eins. Am Ende ist nicht der Fahrer Vettel in Maranello gescheitert. Der Mensch Vettel ist an Maranello gescheitert.

Vettel-Erfolge kamen zu früh

Für das sportliche Vermächtnis ist es bitter, dass Vettel seine Erfolge so früh holte. In einer so schnelllebigen Zeit tendieren die Leute dazu, seine frühen Leistungen zu vergessen. Das wird dem Sportler Sebastian Vettel aber nicht gerecht. Egal was man menschlich von ihm halten mag: Sportlich zählt er zu den größten, die die Formel 1 je hervorgebracht hat.

Ich finde es schade, dass das beim Rücktritt fast zur Nebensache wurde. Klar sagt man bei einem Abschied immer schöne Dinge über den anderen. Mick Schumacher meinte etwa: "Er wird nicht nur auf der Strecke fehlen, sondern auch abseits." Vettel hat zuletzt mit anderen Themen für so viele Schlagzeilen gesorgt, dass ich es hier gerne umdrehe: Vettel wird nicht nur abseits der Strecke fehlen, sondern auch auf.