George Russell erlebte auf dem Weg zu seinem dritten Platz im Frankreich-GP ein paar hitzige Runden im Cockpit. Ein hartes Duell mit Sergio Perez artete nach einem extrem späten Ausbrems-Manöver von Russell in Runde 42 aus. So sehr, dass sich gar Mercedes-Teamchef Toto Wolff am Funk einschaltete, um seinen Fahrer zu beruhigen. Was sich am Ende bezahlt machte, als Russell bei einer Konfusion mit dem Virtual Safety Car Perez um das Podium brachte.

Für Russell ist das Podium aber kein Glück. Er ist sich sicher, dass er die Pace hatte, im Schlussteil des Rennens Perez auf der Strecke zu überholen. Als sich in Runde 42 die Chance auftat - Perez war durch ein Duell mit Carlos Sainz aus dem Rhythmus geraten - stach Russell von sehr weit hinten kommend innen in der Schikane auf der Mistral-Geraden hinein.

Es war ein sehr spätes Manöver, aber am Scheitelpunkt war die Mercedes-Vorderachse auf Höhe von Perez' Cockpit. Der Mexikaner lenkte trotzdem ein. Russell musste auf den Innenkerb, rutschte dann in den Red Bull und bugsierte diesen in die Auslaufzone. Perez kürzte ab, fuhr weiter, blieb vorne. Die Rennleitung notierte den Fall, die Stewards entschieden jedoch, den Fall nicht weiter zu verfolgen.

Russell beruft sich auf neue Regeln - zu Recht?

Russell nahm das nicht gut auf. Im Rennen klagte er wiederholt am Funk, und in der Pressekonferenz hatte er seine Meinung nicht geändert: "Es war ziemlich enttäuschend, die Position nicht zu bekommen. Ich dachte, es sei meine Kurve gewesen. Meine Vorderachse war vor seiner Hinterachse. Den Regeln nach war das meine Kurve."

"Darüber werden wir wohl noch sprechen", fordert Russell. Im Sinne der zu Saisonbeginn ausgegebenen neuen "Driving Standard Guidelines" hat er durchaus ein Argument. Laut diesen muss bei Manövern auf der Innenbahn dem Angreifer eine Fahrzeugbreite Platz gelassen werden, wenn der mit einem signifikanten Teil des Autos daneben ist und die Kontrolle über das Auto hat. Für "Signifikant" wird unter anderem in Betracht gezogen, ob die Vorderreifen vor dem Scheitelpunkt der Kurve neben dem anderen Auto sind. Wobei die Richtlinien auch festhalten, dass die Stewards "diverse Faktoren" mit einbeziehen können oder sollen.

Strikt nach dieser Definition hat Russell also recht. Seine Vorderachse war deutlich nebem Perez. Darauf berief er sich auch in seinen wiederholten Funksprüchen. Bis schließlich Teamchef Toto Wolff sich einschaltete: "George, du kannst das noch immer auf der Strecke schaffen!"

Russell zockt Perez bei Restart-Konfusion ab

"Ich glaube, er steckte ein bisschen in einer Frust-Schleife fest", erklärt Wolff nach dem Rennen. "Ich dachte, er hatte die Pace und musste nur damit aufhören sich zu ärgern und sich darauf konzentrieren, ihn auf der Strecke zu schlagen." Russell weiß es zu schätzen: "Die Emotionen gingen bei uns allen hoch."

"Aber diese Dinge haben eine Art und Weise, sich geradezurücken", meint Russell. Denn nach einem späten Virtuellen Safety Car überrumpelte er Perez beim Neustart in Runde 50 und luchste ihm den dritten Platz doch noch ab. Diesmal war es Perez, der stocksauer war: Im FIA-System hatte sich ein Hardware-Fehler eingeschlichen, die "VSC endet"-Nachricht wurde zweimal gezeigt. Perez hatte basierend auf falschen Informationen zu früh angezogen und dann wieder rausnehmen müssen.

Russell war sofort da: "Ich bin einfach voll aufs Gas, als es auf Grün schaltete, und bin außen in Kurve 14 an ihm vorbei." Red Bull informiert wohl die Fahrer beim Ende eines VSC über die Kurve, an der man mit der Freigabe rechnet. Durch die doppelte Nachricht schlich sich hier die Verwirrung ein, welche Russell auszunutzen wusste.

"Die Runden danach waren nicht einfach", muss Russell gestehen. Mit dem topspeedschwachen Mercedes konnte er Perez trotzdem bis ins Ziel hinter sich halten und garantierte so das erste Doppelpodium des Teams in der Saison 2022, nachdem sich Lewis Hamilton schon den zweiten Rang geholt hatte.

Hamilton und Russell feierte das erste Doppel-Podium von Mercedes 2022, Foto: LAT Images
Hamilton und Russell feierte das erste Doppel-Podium von Mercedes 2022, Foto: LAT Images

"Wir haben noch ein paar Zehntel im Renntrimm zu finden und müssen verstehen, was mit der Qualifying-Performance los ist", lautet Russells Fazit zum Frankreich-Wochenende. Dass er im Rennen wieder knapper an der Red-Bull-Pace dran war, stimmt ihn nach dem ernüchternden Qualifying-Ergebnis erneut zuversichtlich: "Wir haben jetzt eine Richtung, in die wir das Auto entwickeln können."