Charles Leclerc fuhr in Frankreich auf die Pole. Deutlich. Mit 0,304 Sekunden Vorsprung auf Max Verstappen, nachdem sich Ferrari im dritten Qualifying-Segment auf eine Windschatten-Taktik einließ: Carlos Sainz, für den es aufgrund einer Motorstrafe um nichts ging, sollte Leclerc vom Ausgang der Schikane weg auf der zweiten Hälfte der Mistral-Geraden bis zum Ausgang der Signes-Kurve ziehen.

Ferraris Sorge ist durchaus nachzuvollziehen. Red Bull fährt in Frankreich mit einem deutlich kleineren Heckflügel und dominiert die Topspeed-Messungen. Über fünf km/h verliert der Ferrari schon das ganze Wochenende lang an der schnellsten Stelle der Strecke.

Aber Windschatten-Spiele sind immer gefährlich. Ferrari hatte die Idee nie erprobt, sie kam nur in den zwei Q3-Runden zum Einsatz. Im ersten Versuch ruinierte sich Leclerc damit die Schikane und schenkte Verstappen beinahe den ersten Platz. Motorsport-Magazin.com analysiert, ob es das Risiko wert war.

Leclerc gewinnt Zeit - aber nicht viel Zeit

Leclerc war sich nach dem Qualifying sicher, dass es ein sinnvolles Unterfangen war: "Ich denke, das waren so zwei Zehntel, was ich mich erinnere, verglichen mit der Runde in Q2. Das ist signifikant, sonst wäre es deutlich enger mit Max geworden." Was den absoluten Zeitgewinn im letzten Sektor angeht, hat er auch recht: 0,273 Sekunden war er auf seiner letzten Q3-Runde schneller als noch in Q2 ohne Windschatten.

Sektor 1Sektor 2Sektor 3Zeit
Q222.75027.98840.4781:31.216
Q3-122.67028.14940.3901:31.209
Q3-222.66027.96040.2521:30.872

Sieht man sich jedoch nur die Daten von Kurve 9 bis Kurve 11 an - also auf jener Passage, wo Leclerc den Sainz-Windschatten bekam - relativiert sich das Bild. Leclerc gewann zwar Zeit, im Bereich von eineinhalb bis eine Zehntel. Im ersten Q3-Versuch 0,134 Sekunden, im zweiten 0,104. Ohne Windschatten wäre er wohl mit knappen zwei Zehnteln Vorsprung auf Pole gestanden.

Der Weisheit letzter Schluss war die Windschatten-Aktion nicht. Das illustrierten Leclerc und Sainz im ersten Q3-Versuch. Da beide den Trick zu keinem Zeitpunkt an diesem Wochenende geprobt hatten, wussten sie nicht genau, wie der jeweils andere reagieren würde.

Als Folge war Leclerc in der Schikane, welche die Gerade unterbricht, zu dicht an Sainz dran. Im zweiten Sektor war er auf dieser Runde daher 0,271 Sekunden langsamer als in Q2. Also praktisch mehr als die 0,134 Sekunden, welche er auf dem folgenden Vollgas-Teil durch den Windschatten holte. Ergebnis: Im ersten Q3-Run war er nur 0,008 Sekunden schneller als Verstappen.

Außerdem fuhr Ferrari die Taktik nur nach der Schikane. Durchaus verständlich, denn auf der Gerade vor der Schikane ist es noch schwieriger, das Timing richtig hinzubekommen. Nur ist das eben auch die schnellste Stelle der Strecke. Hier war Verstappen daher noch immer schneller, und zwar deutlich. Auf der zweiten Hälfte der Geraden konnte Leclerc durch den Windschatten den Red-Bull-Vorteil nur egalisieren.

Leclercs größter Zeitengewinn kam in Q3 stattdessen in den Kurven im ersten und im letzten Sektor. Das ganze Wochenende lang hatte er sich hier in den langgezogenen Kurven an das Limit herangetastet: Normalerweise fährt er gerne mit losem Heck, doch bei über 50 Grad Streckentemperatur sorgen kleine Quersteher zu Beginn der Runde dafür, dass die Reifen am Ende in die Knie gehen. An diesem Problem arbeitete Leclerc das ganze Wochenende per Setup und Fahrstil, für das Qualifying hatte er es endlich im Griff.

Fazit: Leclerc schaffte es durch den Windschatten auf der zweiten Hälfte der Mistral-Geraden zwar, beim Topspeed auf Verstappen-Niveau zu fahren. Aber Ferrari betrieb mit der Taktik rückblickend betrachtet nur unnützes Risiko. Hätte man Leclerc allein gelassen, wäre er mit ein bis zwei Zehnteln Vorsprung auf die Pole gefahren. Red Bull hat hier einfach nicht die Qualifying-Pace. Das soll aber keine Verteufelung der Idee sein. Hinterher hat man immer leicht reden. Und letztendlich hat es auch funktioniert. Nicht zuletzt, weil die Ferrari-Fahrer schon beim zweiten Versuch das Timing perfektioniert hatten.

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