Helmut Marko ist seit 2005 Chef der Motorsportabteilung von Red Bull. Eine seiner Aufgaben ist das Entdecken neuer Talente für die Königsklasse. Mit dem Team von Alpha Tauri, vormals Toro Rosso, hat Red Bull zahlreiche Fahrer in die Formel 1 gebracht. Der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel und der achtmalige Grand-Prix-Sieger Daniel Ricciardo sind sicherlich die prominentesten Namen des ersten Jahrzehnts des Formel-1-Engagements von Red Bull. Andererseits konnten sich Fahrer, wie Sebastian Buemi, Jaime Alguersuari oder Jean-Eric Vergne, nicht dauerhaft in der Formel 1 etablieren und wurden durch andere Talente ersetzt.

Marko: Harte Schule durch Jos Verstappen zahlte sich aus

Eines dieser Talente war der heutige Star des Red-Bull-Teams: Weltmeister Max Verstappen. In einem Interview mit dem Red-Bulletin sprach Helmut Marko über den Karriereweg des Holländers. Laut Marko habe Verstappens Vater Jos einen entscheidenden Beitrag geleistet: "Er wurde sehr gut, aber auch sehr hart, durch seinen Vater erzogen. Das hat ihn geformt."

Jos Verstappen holte 1994 zwei Podestplätze mit Benetton, Foto: Sutton
Jos Verstappen holte 1994 zwei Podestplätze mit Benetton, Foto: Sutton

Jos Verstappen war einst Teamkollege von Michael Schumacher bei Benetton und holte in 107 Rennen 2 Podestplätze und insgesamt 17 WM-Punkte. Damit war er lange Zeit der erfolgreichste Formel-1-Pilot seines Landes, bis sein Sohn diese Marken pulverisierte. Doch der Weg zu 26 Grand-Prix-Siegen und dem WM-Titel von 2021 fing schon in der Jugend an.

Helmut Marko lobte den Trainingswillen des jungen Max Verstappen und das harte Regiment seines Vaters: "In Italien kann man das ganze Jahr über im Kart üben, aber sobald es zu regnen anfängt, gehen alle in die Cafeteria. Max war der Einzige, der draußen bleiben und weiter trainieren musste." Deswegen sei Verstappen laut dem Österreicher auch bereit gewesen für den frühen Einstieg in die Königsklasse: "Nachdem Max mit 17 Jahren sein erstes Formel-1-Rennen fuhr, haben sie eine Klausel hinzugefügt, die ein Alter von mindestens 18 Jahren vorschreibt. Ich denke diese Altersgrenze ist falsch. Mit dem richtigen Talent und Training, könnte man es sogar schon mit 16 Jahren machen."

Carlos Sainz im 'Pech' Verstappens Teamkollege zu sein

Verstappen machte sofort Eindruck in der Formel-1-Szene und wurde schon 2016 während der Saison von Toro Rosso zu Red Bull befördert. Da es damals nur einen Platz neben Daniel Ricciardo gab, musste ein weiteres großes Red-Bull-Talent in die Röhre blicken, wie Marko zugab: "Es gab Empörung, weil manche meinten Carlos [Sainz, Anm. d. Red.] sei übergangen worden. Seine Entwicklung war auch sehr gut und der Unterschied zwischen den beiden war häufig minimal. Aber obwohl er weniger Erfahrung hatte, war Max der schnellere Fahrer. Daher war es unsere Entscheidung, ihn zu Red Bull zu bringen. Carlos hatte einfach Pech, Max als Teamkollegen zu haben."

Sainz löste sich Ende 2018 von Red Bull und ging zu McLaren. Dort machte er einen so guten Eindruck, dass er für die Saison 2021 von Ferrari verpflichtet wurde. Mit seinem Sieg in Silverstone 2022 wurde er zum vierten Grand-Prix-Sieger aus dem Red-Bull-Nachwuchsprogramm und der Erste, der seinen Debütsieg nicht mit einem der beiden Teams von Dietrich Mateschitz feierte.

Verstappens Fähigkeiten schon immer da, aber Reifeprozess wichtig

Verstappen feierte seinen ersten Sieg gleich beim Red-Bull-Debüt in Spanien 2016. Seitdem habe er sich laut Marko stark weiterentwickelt: "Seit seinem ersten Sieg hat Max einen Prozess des Erwachsenwerdens durchlaufen. Er kann jetzt das Wichtige priorisieren und akzeptiert, was nicht in seiner Hand liegt. Als er jünger war, hat er geflucht wie ein Rohrspatz."

Dies war der wichtigste Schritt zum Topfahrer, denn seine Fähigkeiten standen außer Zweifel: "Gegen Max Verstappen zu fahren, macht sicher keinen Spaß. Er bringt alles ans Limit, egal unter welchen Bedingungen, denn er hat eine unglaubliche Fahrzeugbeherrschung. Zum Beispiel beim Regenrennen in Brasilien [2016, Anm. d. Red.], da gab es einen Moment, wo das Auto bei 300 km/h zur Seite ausbrach, aber er brachte es wieder unter Kontrolle."

Im Regen von Sao Paulo zeigte Verstappen 2016 sein außergewöhnliches Talent, Foto: Red Bull
Im Regen von Sao Paulo zeigte Verstappen 2016 sein außergewöhnliches Talent, Foto: Red Bull

Verstappen wie Senna im Generationenduell

Marko erinnert Verstappen daher an eine Formel-1-Legende, die für viele als der beste Fahrer aller Zeiten gilt: "In Sachen Charakter, Hingebung, Selbstvertrauen und Charisma, würde ich ihn mit Ayrton Senna vergleichen." Der Brasilianer war ebenso wie Verstappen für seine Fähigkeiten im Regen, seinen Ehrgeiz und seine harte Fahrweise im Zweikampf bekannt. Senna lieferte sich legendäre Duelle mit dem älteren und etablierten Franzosen Alain Prost. Während der Brasilianer auf der Strecke an die Grenze, und manchmal darüber hinaus, ging, versuchte sich Prost, meist mit politischen Spielchen einen Vorteil zu verschaffen.

Auch 2021 erlebte die Formel 1 einen Kampf der Generationen: Max Verstappen forderte Mercedes-Superstar Lewis Hamilton heraus. Der Altersunterschied zwischen dem Holländer und dem Briten ist mit 12 Jahren sogar noch wesentlich größer als beim Kampf von Senna gegen Prost. Ende der 1980er wurde die Weltmeisterschaft jedoch zunächst unter McLaren-Teamkollegen ausgefochten, im Jahr 2021 flogen die Giftpfeile zwischen den Teams von Red Bull und Mercedes. Helmut Marko schilderte die besondere Anspannung: "Ich bin jetzt schon seit fast 20 Jahren bei Red Bull Racing und ich habe niemals zuvor eine solche Atmosphäre erlebt, wie sie zwischen uns und Mercedes in der letzten Saison vorherrschte."

Ayrton Senna und Alain Prost schenkten sich nichts, auf und neben der Strecke, Foto: Sutton
Ayrton Senna und Alain Prost schenkten sich nichts, auf und neben der Strecke, Foto: Sutton

Kampf mit Ferrari wesentlich angenehmer als Mercedes-Duelle

Aus dieser Erfahrung heraus lobte der Red-Bull-Chef die Weltmeisterschaft von 2022: "Der aktuelle Kampf mit Charles Leclerc ist auf einer komplett anderen Ebene als mit Hamilton. Sie [Leclerc und Verstappen, Anm. d. Red.] kommen aus derselben Generation und kennen einander aus Kart-Zeiten. Ein Duell mit Ferrari ist auch emotional anders als ein Kampf mit Mercedes. Wir verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Beide Teams sind leidenschaftliche Kämpfer."

Was sein aktuelles Wunderkind angeht ist Marko sicher: "Ich denke er [Verstappen, Anm. d. Red.] kann noch ein ganzes Jahrzehnt auf diesem Level fahren." Kein Wunder also, dass Red Bull den 24-Jährigen vor einigen Wochen mit einem neuen Vertrag ausstattete, der bis 2028 läuft. Eine längere Vertragslaufzeit gab es in der Formel-1-Geschichte noch nie.