Der Formel 1 steht in Silverstone im Rennen heute erneut das große Duell der Saison 2022 bevor - wieder heißt es Ferrari gegen Red Bull. Das Duell heizt sich auf der Strecke aber in Großbritannien zunehmend auf. Denn Ferrari steht in der WM unter Zugzwang. (Formel 1 in Silverstone im TV: Der Zeitplan)

Carlos Sainz schaffte im Qualifying von Silverstone den Durchbruch und die ersten Pole der Formel-1-Karriere, während Charles Leclerc patzte - und damit hinter Sainz und Max Verstappen nur auf Platz drei steht. Kombiniert man das mit Mercedes-Wildcard Lewis Hamilton in Lauerstellung und mit einer unsicheren Wetterprognose, so ist diese Startaufstellung heute eine explosive Mischung. Alle News zur Formel 1 heute in Silverstone gibt es im Liveticker.

Ferrari in Silverstone unter WM-Druck

Sechs Rennen in Folge hat Red Bull gewonnen. Fünf davon Max Verstappen, eines der heute von Platz vier startende Sergio Perez. Ferraris letzter Sieg kam in Australien, und in beiden WM-Tabellen ist die Scuderia nun im Hintertreffen. Charles Leclerc hat 49 Punkte Rückstand auf Max Verstappen, und Ferrari hat 76 Punkte Rückstand auf Red Bull.

In Silverstone muss dringend ein Ergebnis her. Das gilt erst einmal für den Fahrer auf der Pole, Carlos Sainz. Der viel Gelobte wurde nach einer Fehlerserie zu Saisonbeginn zum viel Gescholtenen, feierte aber in Kanada einen Durchbruch. Davor kam er mit dem neuen Ferrari nicht zurecht, aber in Montreal, und auch in Silverstone, fühlt sich Sainz so wohl wie 2022 noch nie.

"Das Vertrauen ist hoch, die Pace ist da", sagt Sainz am Samstag nach der ersten Pole. "Wenn das Feeling wie im 2. Training ist, dann glaube ich, dass ich die Führung halten kann, mein eigenes Rennen fahren kann und vom Start weg pushen kann." Sainz will endlich beweisen, dass er aus gutem Grund bei Ferrari im Auto sitzt. Sein letzter Sieg? Le Castellet 2014, in der Formel Renault 3.5. Seine letzte Pole? Am Tag davor.

Teamkollege Charles Leclerc ist nicht minder unter Druck. Ausfall in Barcelona, Strategie-Fehler in Monaco, Ausfall in Baku, Motorstrafe in Kanada - er braucht dringend einen großen Erfolg gegen Verstappen, um in der WM den Anschluss zu halten. Durch einen Dreher startet er aber hinter Sainz und Verstappen. Beide Ferrari-Fahrer haben jetzt also Grund genug, in Silverstone so aggressiv wie möglich zu Werke zu gehen.

Erklärtes Ziel? "Ein Doppelsieg, wenn wir es schaffen können", ist Sainz deutlich. Nur wollen beide gewinnen, beide nichts herschenken. "Ich wäre sehr happy, wenn Carlos gewinnt, aber ich werde nicht absprechen, dass ich auch gewinnen will", sagt Leclerc. "Aber was am Wichtigsten ist, das ist ein Doppelsieg, egal in welcher Reihenfolge." Das dürfen beide nicht vergessen, denn sie kämpfen gegen starke Konkurrenz.

Red Bull & Verstappen in Silverstone schnellstes Auto?

Verstappen war am Freitag in den Longruns auf dem gleichen Level, am Samstag war er im trockenen 3. Training noch besser aufgelegt. Bei Sainz lösten Setup-Änderungen in FP3 Probleme mit Bouncing aus. Er hofft, dass das Problem im Renntrimm nicht vorhanden sein sollte. Das war zumindest am Freitag so der Fall - schweres Bouncing trat nur in Qualifying-Simulationen auf.

Verstappen, der sich am Freitag noch über ein schlecht ausbalanciertes Auto beklagte, kontrollierte am Samstag dafür alles bis auf die letzte Runde im Qualifying. In der hatte er wegen der ausgerechnet durch Leclerc verursachten gelben Flagge rausnehmen müssen, sonst wäre er wohl auf Pole gestanden. Red Bulls Pace verspricht viel, und mit Sergio Perez auf P4 hat das Team auch das zweite Auto in strategischer Schlagdistanz.

Wie groß ist der Faktor Hamilton in Silverstone?

Stellt sich die Frage, ob Lewis Hamilton und Mercedes die großen Vier in Silverstone nerven können. Hamilton wäre im Regen-Qualifying mit besserer Taktik womöglich in die erste Startreihe gefahren, und sah auch am Freitag im Longrun solide aus. Nicht ganz auf dem Niveau der Spitze, aber gut genug für Hoffnungen.

Diese scheinen Hamilton an diesem Wochenende, zusammen mit dem Heimpublikum, geradezu zu beflügeln. "Ich werde morgen aggressiv sein, macht euch keine Sorgen", kündigt er nach dem Qualifying an. Ein aggressiver, hoch motivierter Hamilton könnte beim Start einen oder gar mehrere der Spitzenautos voneinander trennen, und dann zum strategischen Albtraum werden. Von seiner fahrerischen Klasse hat Hamilton 2022 sicher nichts eingebüßt, und ein Fahrer seines Formats kann durchaus mitmischen, wenn es das Material hergibt.

Was nicht garantiert ist. Mercedes hat zwar Upgrades nach Silverstone gebracht, und die Strecke liegt dem Auto, nur ist man sich weiterhin nicht ganz sicher, warum man manchmal schnell ist und manchmal nicht. Manchmal reicht schon ein anderer Reifensatz, um beim Auto plötzlich Bouncing hervorzurufen. So wirklich berechenbar ist das Rennen daher nicht.

Silverstone-Strategie & Wetter unberechenbar

Silverstone soll aber generell wenig berechenbar sein. Pirelli schickte nach nur zwei trockenen Sessions am Samstagabend eine Zweistopp-Strategie als Empfehlung aus, Medium-Medium-Soft sei die beste Option. Eine Einstopp-Strategie will man nicht ausschließen, auch wenn es schwierig umzusetzen sei. Wie stark die Strecke hier die Reifen belastet, ist gut bekannt, die Reifendramen der Vergangenheit sind nicht vergessen.

Die Highspeed-Kurven von Silverstone belasten die Formel-1-Reifen stark, Foto: LAT Images
Die Highspeed-Kurven von Silverstone belasten die Formel-1-Reifen stark, Foto: LAT Images

Sollte der Regen kommen, wäre das ohnehin hinfällig. Wenn er kommt, dann kommt er laut Prognose aber nicht in Massen. Nur 10 bis 20 Prozent beträgt die Regenwahrscheinlichkeit, je nach Prognose, wahrscheinlich bleibt es trocken. Kommt jedoch Nieselregen, sind Strategieempfehlungen hinfällig. Wer schnell und richtig reagiert gewinnt.

Fazit: Ein Duell im Trockenen zwischen Ferrari und Red Bull ist wahrscheinlich. Die Lücken sind klein. Wer im Rennen besser ist, das wird sich erst im Rennen endgültig zeigen. Fix ist nur, Red Bull hat die schlechtere Ausgangsposition. Mercedes ist möglicherweise dran, aber unberechenbar, die Pace könnte sich selbst von Reifenmischung zu Reifenmischung stark ändern. Zu bedenken gilt: Beide Ferrari-Piloten brauchen diesen Sieg dringend. Wie aggressiv werden sie vorgehen - und wie schlägt sich die Strategie-Abteilung der Scuderia unter diesem Druck? Das könnte das Rennen entscheiden.