Die Formel 1 ist 2022 in eine neue Ära gestartet. Kaum ein Stein blieb auf dem anderen. Technisch sind die Autos bis auf die Power Unit komplett neu - und auch beim Antrieb gibt es kleinere Neuerungen, die offenbar einen größeren Einfluss auf die Rangordnung haben. Motorsport-Magazin.com nimmt die Performance-technischen Auswirkungen der neuen Formel 1 unter die Lupe.

Absolute Performance: 2022er Formel 1 schneller als gedacht

Als die Formel 1 das neue Reglement zum ersten Mal vorstellte, rechnete man damit, dass die besseren 'Renn'-Autos mit einem Performance-Verlust erkauft werden. Drei bis fünf Sekunden, so die ersten Schätzungen, würden die neuen Autos langsamer.

Doch die Entwicklungsschritte bei einem neuen Reglement sind immer größer, die Lernkurve ist noch steil. In einem Jahr Entwicklung fanden die Teams mehrere Sekunden. Vor dem Saisonstart hieß es, die neue Fahrzeuggeneration wäre nur noch etwa eine Sekunde langsamer.

Nach zwei Rennen lässt sich eine erste kleine Zwischenbilanz ziehen. Die Pole-Zeit in Bahrain lag 2021 bei 1:28,997 Minuten. In dieser Saison reichten Charles Leclerc 1:30,558 Minuten für die Pole. Dabei wählte Pirelli eine Reifenmischung härter. Allerdings hinkt der Vergleich, weil die komplette Pirelli-Familie überarbeitet wurde, auch die Mischungen.

In Saudi Arabien gab es die gleichen Mischungen, aber eine leicht veränderte Strecke. Mauern wurden an manchen Stellen ein wenig nach hinten geschoben, die Zielkurve erweitert. Deshalb wurde die Strecke an sich schneller. Rund sieben Zehntelsekunden war die Pole-Zeit 2022 langsamer als die des Vorjahres.

Dass die 2022er Generation in Saudi Arabien näher an der Vorjahres-Performance war als in Bahrain, liegt aber nicht nur an den Mini-Änderungen an der Strecke. In Bahrain gibt es einige langsame Ecken, während Dschidda eine echte Highspeed-Strecke ist.

Das erhöhte Gewicht der Boliden macht sich vor allem in den langsamen Kurven bemerkbar. Das Mindestgewicht stieg um 46 Kilogramm auf 798 kg. Ein erheblicher Teil des Zeitverlustes ist darauf zurückzuführen. Dabei sind einige Teams sogar noch deutlich über den 798 Kilogramm.

In den schnellen Kurven und auf den Geraden sind die Autos der Vorgänger-Generation schon ebenbürtig. Vergleicht man die Höchstgeschwindigkeiten im Qualifying, so gibt es dort quasi keine Unterschiede. In Bahrain lagen nur 0,1 Stundenkilometer zwischen 2021 und 2022.

In Saudi Arabien waren die Unterschiede etwas größer, allerdings lag es dort am Wind. In eine Richtung waren die Autos schneller, in die andere langsamer. Obwohl die Autos durch die Kurven etwas langsamer sind, erreichen sie auf den Geraden nahezu identische Geschwindigkeiten. Der DRS-Effekt mit den neuen Autos ist etwas größer, der Luftwiderstand kleiner. Motorleistung dürfte hier nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Neue Formel-1-Ära (noch) langsamer

Im Durchschnitt haben die Teams 1,08 Sekunden auf ihre jeweilige Performance aus dem letzten Jahr verloren. Bis zum Ende der Saison könnten die Zeiten je nach Strecke schon wieder auf Vorjahres-Niveau liegen.

Einerseits ist die Lernkurve bei den neuen Autos noch immer steil. Andererseits werden die Teams ihre Extra-Kilos nach und nach los. Red Bull soll noch mehr als zehn Kilogramm über dem Mindestgewicht liegen. Allein dort liegen noch einige Zehntel verborgen.

Gewinner und Verlierer 2022: Haas schlägt alle

Längst haben aber nicht alle Teams gleichermaßen verloren. Haas war in Bahrain sogar schneller als im Vorjahr. Das ist allerdings ein Einzelfall. Haas fuhr 2021 fast außer Konkurrenz. Gleichzeitig gingen mit Mick Schumacher und Nikita Mazepin auch noch zwei Rookies an den Start. Vor allem beim Saisonstart ist das zu bedenken.

Größter Verlierer ist McLaren. Die Briten waren an den ersten beiden Rennwochenenden 2022 im Schnitt 1,78 Sekunden langsamer als bei den gleichen Rennen in der vergangenen Saison. Mercedes ist mit 1,72 Sekunden nur unwesentlich besser - klar, der Weltmeister hatte die Messlatte 2021 auch hochgelegt.

Interessanter ist deshalb die Veränderung der relativen Performance. Denn in der Formel 1 sind die Ziele immer beweglich: Eine Fortschritte sind nur dann echte Fortschritte, wenn sie größer sind als bei der Konkurrenz. Wie haben sich die Teams da verändert?

Bei Red Bull gibt es keine nennenswerte Veränderung. Die Bullen kämpften 2021 um die Spitze und tun das auch 2022. Mercedes hingegen ist ins Mittelfeld abgerutscht. Im Durchschnitt fehlten dem Weltmeisterteam 0,6 Sekunden mehr auf die Pole-Zeit als im Vorjahr. Ähnlich schlecht steht nur McLaren da.

Mercedes-Teams leiden: Motor fehlt 3 Zehntel

Gewinner Nummer eins ist natürlich wieder Haas. Die Mannschaft von Günther Steiner ist gut anderthalb Sekunden näher an der Pole als im Vorjahr. Ferrari hat sich vom Mittelfeld an die Spitze vorgekämpft. Relativ hat man 0,6 Sekunden aufgeholt. Auch bei Alfa-Sauber ist der Sprung mit vier Zehntelsekunden erheblich.

Dabei fällt auf: Ferrari-Teams sind die großen Gewinner, Mercedes-Teams die großen Verlierer. Bahrain und Saudi Arabien sind zwei absolute Power-Strecken. Das Motorenreglement wurde zwar nicht auf den Kopf gestellt, allerdings wird 2022 mit E10-Benzin gefahren. Zuvor waren nur 5,75 Prozent Bio-Anteil vorgeschrieben. Die Hersteller haben für die Anpassung ihrer Verbrennungsmotoren viel Ressourcen investiert.

Der Sprung der Ferrari-Teams scheint enorm. Dabei gilt zu bedenken: Der V6 aus Maranello hatte 2021 noch ein ordentliches Defizit. Wäre Ferrari nur mit Mercedes gleichgezogen, hätte es schon eine relative Verbesserung gegeben. Nun aber scheint Ferrari den stärksten Antrieb zu haben. Insider rechnen mit rund drei Zehntelsekunden, die Mercedes auf Ferrari nur auf Antriebsseite fehlen.

Je mehr Teams ein Hersteller beliefert, desto sinnvoller sind die Daten, weil das Chassis ein klein wenig aus der Gleichung herausgenommen wird. Bei Alpine ist deshalb erhöhte Vorsicht geboten. Trotzdem bestätigten Fahrer und Ingenieure, dass den Franzosen ein ordentlicher Schritt gelungen ist.

Der französische Antrieb war zuletzt in die Jahre gekommen. Corona-bedingt wurde die konzeptionelle Änderung von 2021 auf 2022 verschoben. Nun fahren auch die Franzosen mit MGU-H zwischen Turbo und Verdichter.