Angriffslustig präsentierte sich Ferrari bei der Vorstellung des neuen F1-75 für die Formel-1-Saison 2022. In jedem Interview, von den Fahrern Charles Leclerc und Carlos Sainz über Teamchef Mattia Binotto bis hin zu den leitenden Ingenieuren, waren die Sehnsucht und die Zuversicht, an die absolute Spitze der Königsklasse zurückkehren zu wollen, unüberhörbar.
Zu lange schon fuhr Ferrari zuletzt nur noch im Mittelfeld der Formel 1. 2020 leistete sich die Scuderia einen beispiellosen Absturz, im Vorjahr kletterte Ferrari zumindest zurück auf WM-Rang drei. Eigentlich nur zwei Jahre, dennoch zwei zu viel für die hohen Ansprüche des dienstältesten Teams der Formel 1. Von den Qualitäten der Top-Teams Mercedes und Red Bull war der stolze Stall aus Maranello allerdings auch 2021 noch immer ein gutes Eck entfernt. Dabei hatte man 2019 noch um Siege gekämpft, sich 2017 und 2018 mit Sebastian Vettel sogar lange Zeit im Titelrennen befunden.
Ferrari 2022 zurück im Formel-1-Titelkampf?
Genau in diese Lage will sich Ferrari 2022 mit seiner Interpretation der neuen Technischen Regularien zurückkatapultieren. Innovative, extreme und unkonventionelle Ansätze beim neuen Chassis und der überarbeiteten Power Unit, so heißt es aus Maranello, sollen die Piloten dazu befähigen. Doch wären im Erfolgsfall tatsächlich beide Fahrer befähigt? Oder dürfte im Zweifel nur einer, um eine mögliche Titelmission nicht zu erleichtern?
Immerhin ordnete Ferrari schon zur großen Zeit von Michael Schumacher stets alles einem Fahrer unter. Auch 2019, im ersten Jahr mit Charles Leclerc, startete Sebastian Vettel in Zweifelsfällen noch mit Vorzugsbehandlung in die Saison. Das und ein schnell aufstrebender Leclerc führten zügig zu Spannungen und ein Jahr später letztendlich zur Trennung von Vettel. Carlos Sainz schien besser ins Teamgefüge zu passen und mehr Harmonie zu versprechen.
Ferrari-Fahrer dürfen 2022 frei fahren
Mit Erfolg: 2021 funktionierte das neue monegassisch-spanische Duo ohne ersichtliche Querelen. Allerdings ging es auch selten um mehr als die Plätze hinter dem Podium. Wie sieht es aus, wenn Siege auf dem Spiel stehen - oder sogar ein Titel in Sichtweite erscheint? Und welche Regeln gelten dann? Immerhin fuhr Sainz gleich in seinem ersten Ferrari-Jahr schon nahezu auf einem Niveau mit Leclerc. Dürfen er und Ferraris große Hoffnung frei gegeneinander fahren? Oder wird der in der WM besser platzierte priorisiert? "Natürlich haben wir das besprochen. Deshalb lachen wir, denn das war erst vor zwei Tagen", erklärt Charles Leclerc im Rahmen der Ferrari-Präsentation. "Oder war das gestern? Ich kann mich nicht erinnern. Oder was auch immer ..." scherzt Leclerc.
Anspannung liegt bei dem Thema also nicht im Raum - obwohl das 2021 enge Teamduell grundsätzlich einen Nährboden für Ärger bieten würde. Allerdings: Ferrari setzt 2022 auf vollständige Gleichberechtigung. "Wir dürfen frei kämpfen", versichert Leclerc. "Natürlich ohne ein dummes Risiko in Kauf zu nehmen, denn wir kämpfen für das Team und das ganz große Ziel ist, Ferrari nach oben zu bringen. Aber wir dürfen frei kämpfen."
Sainz: Gegenseitiger Respekt Grundlage für Freiheit
Sainz bestätigt: "Es ist wichtig für uns beide, dass wir diese Freiheit spüren, es versuchen zu dürfen." Warum Ferrari hier so liberal vorgeht? Weil die Scuderia wisse, dass er und Leclerc stets eine Regel befolgen würden: Ferrari first. "Ich denke, dass uns das ermöglicht wird, liegt daran, dass wir einander respektieren und Ferrari in unserem persönlichen Kampf immer an erste Stelle setzen", sagt Sainz.
Grundsätzlich müsse man ohnehin erst einmal abwarten, wie konkurrenzfähig der F1-75 tatsächlich sei. "Das Auto sieht schnell aus. Aber das ist nur der Anblick. Wir haben keine Ahnung, wo dieses Auto im ersten Rennen in Bahrain stehen wird, aber ich hoffe natürlich, dass es schnell ist und um Siege kämpfen kann."
Mattia Binotto lobt gereiftes Fahrer-Duo
Mattia Binotto, bei dem Medientermin zu diesem Thema eigentlich gar nicht angesprochen, mischt sich ein. "Ich möchte einen Punkt ergänzen, auch wenn es an die Fahrer ging: Wie Charles gesagt hat, haben wir es vor zwei Tagen besprochen. Und nicht nur vor zwei Tagen, sondern auch über den Winter und das waren tolle Diskussionen", lobt der Ferrari-Teamchef. "Ich war sehr glücklich, zwei Fahrer in einer völlig offenen und transparenten Diskussion zu erleben."
Beide hätten sich charakterlich gut entwickelt und seien gereift, so Binotto. "Wir haben schon letztes Jahr gesehen, dass sie gut miteinander auskommen. Aber da kannst du nur von außen draufblicken. Solche Diskussionen können sehr delikat werden", weiß Binotto, offenbar aus guter Erfahrung. Mit Vettel und Leclerc? Unbekannt. 2022 macht sich der Italiener jedenfalls keinerlei Sorgen. "Ich denke, dass sie beide einen fantastischen Level von Reife zeigen, worüber ich sehr glücklich bin."
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