Die Formel-1-Premiere in Saudi-Arabien verspricht Drama pur. Max Verstappen hält beim Rennen am Sonntag den Matchball zum Weltmeistertitel in den Händen - doch das Momentum liegt bei seinem Gegenüber. Lewis Hamilton und Mercedes sind durch den Qualifying-Crash des Herausforderers mehr denn je am Drücker. Doch Red Bulls Kampfgeist ist trotz des Rückschlags ungebrochen. Jeddah kann den WM-Kampf entscheiden oder endgültig kippen.
Das gesamte Paddock schaute am Samstag gebannt auf die Monitore, die einen auf Messers Schneide fahrenden Max Verstappen mit zwei absoluten Sektorbestzeiten auf seinem Weg zur Pole Position zeigten. Die Vorstellung des WM-Leaders war derart beeindruckend, dass selbst Fernando Alonso große Augen machte. Doch am Ende gab es nur lange Gesichter. Mit seinem Unfall in der letzten Kurve brachte sich Verstappen in eine denkbar schlechte Ausgangslage für das vorletzte Rennen der Saison.
Während Rivale und Titelverteidiger Hamilton beim Rennstart um 18:30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit von der Pole in den ersten Grand Prix von Saudi-Arabien geht, steht Verstappen als Dritter hinter ihm - sofern er nicht noch von seinem Fahrfehler im Zeittraining eingeholt wird. Eine Getriebestrafe würde ihn auf Startplatz acht zurückversetzen. Im Lager von Red Bull will man kein Risiko eingehen.
Red Bull muss K.o. verhindern
"Wir sind so schnell, dass wir kein Risiko eingehen. Wenn das Getriebe Beschädigungen hat oder Ansätze, dann werden wir es wechseln", kündigte Red-Bull-Manager Helmut Marko gegenüber ServusTV an. Die Österreicher wollen nicht den gleichen Fehler machen, der Ferrari und Charles Leclerc in Monaco um ihr Rennen brachte. Nachdem der Monegasse im Qualifying gecrasht war, wurde das Getriebe nicht gewechselt. Der Pole-Setter musste seinen Sonntag daraufhin wegen eines Folgeschadens schon beim Vorstart beenden.
Für Verstappen käme dieses Schicksal einem WM-K.o. gleich, denn für Hamilton gibt es mit Valtteri Bottas in der ersten Startreihe praktisch keine ernsthafte Konkurrenz. Eine Nullnummer beim Sieg des Mercedes-Stars würde für den derzeitigen WM-Spitzenreiter vor dem Finale einen Rückstand von 17 oder sogar 18 WM-Punkten bedeuten, sofern Hamilton den Triumph mit der schnellsten Rennrunde perfekt macht.
Dieses Worst-Case-Szenario ist für Red Bull mit einem vorsorglichen Getriebewechsel allerdings leicht abzuwenden. Sollte Verstappen fünf Plätze zurückversetzt werden, hat er außerdem einige dankbare Mitstreiter vor sich. Neben Teamkollege Sergio Perez sind auch die beiden AlphaTauri-Piloten Pierre Gasly und Yuki Tsunoda in den vorderen Startreihen zu finden. Mit acht Punkten Vorsprung ist Verstappen am Sonntag immer noch derjenige, der sich vorzeitig zum Weltmeister krönen kann.
Verstappen kann in Saudi-Arabien Weltmeister werden
Um die seit 2014 anhaltende Mercedes-Dominanz zu beenden, muss der Niederländer mindestens Zweiter werden. Vor zwei Wochen fuhr er in Katar von Startplatz sieben auf die zweite Position. Ob mit oder ohne Getriebestrafe: dieser Zielbereich ist für Verstappen mit seiner Pace absolut realistisch. Allerdings darf Hamilton dabei nicht über Platz elf hinauskommen. Für diese Konstellation müsste beim amtierenden Champion schon einiges schief gehen.
Nach zwei Siegen in Folge trug der verhängnisvolle Fahrfehler Verstappens im Qualifying definitiv dazu bei, dass Hamilton als großer Favorit in den Grand Prix von Saudi-Arabien geht. Die Favoritenrolle lehnt er aber wenig überraschend ab. "Wir sind bei der Rennpace immer näher beieinander. Ich denke, mein Longrun am Freitag war gut aber Red Bull hat hier beim Setup etwas gefunden. Der Red Bull ist auf dieser Strecke wie von einem anderen Stern", so der 36-Jährige.
In den Trainings auf dem 6,174 Kilometer langen Jeddah Corniche Circuit hatte Mercedes allerdings den Ton angegeben. Auf dem Medium-Reifen hatte Hamilton die schnellste Longrun-Pace, während Verstappen im Mittelwert deutlich zurücklag. Für das Rennen wollen die Bullen allerdings eine Antwort gefunden haben, wie Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com erklärte.
Verstappen selbst mit Getriebestrafe nicht abgeschrieben
Von Startplatz drei aus wird Verstappen darauf angewiesen sein, möglichst früh an Valtteri Bottas vorbeizukommen, um die Verfolgung von Hamilton aufzunehmen. Wird der Getriebewechsel fällig, dürfte es schwer werden, den Mercedes-Fahrer bei einem ereignislosen Rennverlauf noch aus eigener Kraft abzufangen. Zwar werden weder Perez noch die AlphaTauri-Piloten ein Hindernis darstellen, doch bis sechs Autos überholt sind, dürfte Hamilton an der Spitze bereits einen komfortablen Vorsprung haben.
Das Highspeed-Labyrinth von Jeddah birgt allerdings viele Unbekannte. In der Formel 2 wurde hart gekämpft und das anspruchsvolle Layout forderte seinen Tribut. Etwas Chaos würde auch Verstappen helfen. "Ich glaube, dass es hier die eine oder andere Safety-Car-Phase geben wird. Denn man hat gesehen, dass die Bergung von Fahrzeugen hier fünf bis acht Minuten braucht. Es gibt keine Kräne. Was heute passiert ist, ist zwar schade, aber da ist noch nichts verloren", so Marko.
Hamilton rechnet mit Red Bull, Wolff mit Mercedes-Spirit
Für Hamilton ist ebenfalls klar, dass der Gegner auch in seiner schwierigen Lage noch lange nicht besiegt ist. In Brasilien gewann er selbst nach mehreren Strafen und zwei Rückversetzungen für Sprintrennen und den Grand Prix entgegen aller Widerstände. "Ich denke, es ist niemals gut, anzunehmen, dass dein Gegner in den Seilen hängt", so der siebenfache Weltmeister gegenüber Sky Sports F1.
In seiner Ecke ist die Moral nach dem starken Comeback in den letzten Rennen allerdings nicht zu unterschätzen. "Im gesamten Team herrscht eine brutale Energie", so Mercedes-Teamchef Toto Wolff bei Sky Sports F1. "Wenn du in die Nachbesprechung oder in die Garage gehst, braucht niemand etwas sagen, denn du spürst die Energie und wie geladen alle sind."
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