McLaren machte beim Formel-1-Rennen in Monza durch den Doppelsieg mit Daniel Ricciardo und Lando Norris den nächsten großen Schritt zurück in Richtung Weltspitze. Der erste Triumph seit neun Jahren war ein Meilenstein auf diesem Weg und weit mehr als ein Lucky Punch. Nach Jahren der Krise formten CEO Zak Brown und Teamchef Andreas Seidl aus der Chaostruppe in Orange eine Mannschaft mit Siegermentalität. Das Versagerimage der Honda-Jahre hat McLaren längst abgelegt.

Aus dem einstigen Top-Team war nach dem Abschied von Ron Dennis eine Organisation geworden, die den Erfolgen und der Aura des Briten in keiner Lebenslage mehr gerecht wurde. Dennis hatte das Ruder über 30 Jahre fest in der Hand gehabt, nachdem er 1981 beim sportlich angeschlagenen Rennstall eingestiegen war. Der mit seiner militanten Art nicht immer einfache Visionär erfand McLaren neu und feierte in Partnerschaften mit Porsche, Honda und Mercedes WM-Titel in Serie.

Ende 2009 leitete sein Rückzug als Teamchef und der Ausstieg von Mercedes als Anteilseigner den langsamen Niedergang der Legende ein. Die zweite Ehe mit Honda führte McLaren zwischen 2015 und 2017 an den Tiefpunkt der 55-jährigen Teamgeschichte. Eigentlich wollten die Briten mit den Japanern die große Ära der späten 1980er und frühen 1990er Jahre aufleben lassen, als Ayrton Senna und Alain Prost für McLaren Honda WM-Titel in Serie feierten.

Fernando Alonso war fahrerisch und kommerziell das richtige Zugpferd für diese Mission. Doch anstelle einer großen Erfolgsstory wurde das Vorhaben zu einer Irrfahrt in den sportlichen Abgrund. Aufgrund des Kompetenzgerangels zwischen der McLaren-Führung und den Ingenieuren von Honda drehte sich das Team jahrelang im Kreis, bis es zur Trennung kam. Keine der beiden Parteien hatte nach diesem Horrortrip Lust auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.

Fernando Alonso hatte vom Hinterherfahren mit Honda früh die Schnauze voll, Foto: Sutton
Fernando Alonso hatte vom Hinterherfahren mit Honda früh die Schnauze voll, Foto: Sutton

Bruchladung nach der Honda-Trennung

Mit dem Wechsel zu Renault sollte im Hause McLaren alles besser werden, doch tatsächlich erreichte das Team erst mit dieser Entscheidung seinen absoluten Tiefpunkt. Der Abschied von Honda zeigte die Versäumnisse in Woking auf, welche über Jahre hinweg ins Verderben geführt hatten. Denn auch mit der im Heck von Red Bull bis zuletzt siegreichen Power Unit aus Frankreich war McLaren ein Loser im Grid, der endgültig im großen Schatten seiner glorreichen Historie zu verschwinden drohte.

Alonso kämpfte 2018 wie ein Löwe um jeden WM-Punkt, und doch war auch er am Ende seiner Geduld angelangt. Aus Frust über das Herumdümpeln auf den billigen Plätzen erklärte er seinen Rücktritt. Parallel zum Verlust des Erfolgsgaranten nahmen die Berichte über die Zustände innerhalb des Teams bizarre Züge an. Schlagzeilen über Schokoriegel als Boni für Mitarbeiter und eine vermeintliche Revolte des Personals zur Absetzung des Managements machten die Runde.

Für 2019 wurde der Resetknopf gedrückt und Altlasten wichen frischem Wind aus allen Richtungen. Dafür verantwortlich zeichnete Zak Brown. Als das Team im freien Fall dem Abgrund entgegenraste, übernahm er Ende 2016 als CEO die Führungsrolle der Organisation - und verordnete Orange als neue Corporate Identity. Seine Vision von der neuen 'McLaren Brand', wie der US-amerikanische Unternehmer zu sagen pflegt, nahm still und leise Fahrt auf.

Für 2019 krempelte McLaren das Team komplett um, Foto: McLaren
Für 2019 krempelte McLaren das Team komplett um, Foto: McLaren

McLaren zieht die Notbremse: Neuanfang 2019

Doch erst der Reality-Check in der Saison 2018 wurde zum nicht zu überhörenden Weckruf, der einen Neuanfang unumgänglich machte. Brown brauchte mehr als einen neuen Auftritt in Orange, um McLaren aus der Misere zu befreien. Stück für Stück baute er das Team von innen heraus neu auf. Der dauerfrustrierte Alonso wich der Jugend. Die Verpflichtung von Lando Norris und Carlos Sainz erforderte Mut zum Risiko.

Der 2017 ins Juniorprogramm aufgenommene Norris hatte ein nicht von der Hand zu weisendes Erfahrungsdefizit, während Sainz' Karriere nach einem gescheiterten Gastspiel bei Renault auf der Kippe stand. Doch die neuen Fahrer bewährten sich genauso wie die Führungsriege. An der Spitze des Rennteams wurde Andreas Seidl als neuer Teamchef platziert. Der Bayer räumte hinter den Kulissen mit einem souveränen und transparenten Führungsstil auf, den Vorgänger Eric Boullier missen ließ.

Anfang 2019 wurde mit James Key außerdem ein neuer Technischer Direktor verpflichtet, der frischen Wind in die Hallen des McLaren Technology Centre brachte. Plötzlich war McLaren Best of the Rest. "Das, was sich am meisten verändert hat, sind die Moral, die Motivation und die Energie. Alle sind einfach happy und lachen mehr. Erfolg kommt durch Freude", so Norris, der seit 2017 zum Team gehört und damit auch in Krisenzeiten dabei war.

McLaren-Sieger Ricciardo mit dem richtigen Timing

Was er und Sainz in den Jahren 2019 und 2020 zeigten, spiegelte den neuen Teamspirit wieder, der McLaren zum Sympathieträger machte. Und es war letztendlich dieser Umstand, der Monza-Sieger Ricciardo im zweiten Anlauf zur Vertragsunterschrift in Woking bewegte. 2018 hatte er McLaren noch einen Korb gegeben und sich für Renault entschieden.

"Es waren nicht nur die Resultate. Ich sehe hier auch eine sehr gute Stabilität innerhalb des Teams und der Infrastruktur. Als ich 2018 mit McLaren sprach, war Andreas [Seidl] noch nicht da. Es gab da ziemliche Unklarheiten. Sie waren noch dabei, ihre eigene Struktur zu errichten und die haben sie jetzt wirklich etabliert", so der Australier, der mit seinem Wechsel zu McLaren das richtige Timing perfekt abpasste.

Seine Startschwierigkeiten, die ihn über Wochen hinweg an der Seite von Norris verblassen ließen, beantwortete sein Team mit Vertrauen. "Wir wissen alle, dass er es kann, und er hat viel Vertrauen ins Team und wir schaffen das schon. Es braucht nur Zeit. In ein paar Rennen werden wir über diese Probleme nicht mehr reden", prophezeite Seidl im Mai.

Nach dem Triumph in Monza fiel eine schwere Last von Ricciardo ab. "Ich hatte dieses Jahr viele Herausforderungen. Dieser Sport ist knifflig. Manchmal ist es schwer, Antworten zu finden. Du musst aber auf Kurs bleiben. Tief in mir habe ich den Kopf hängen lassen. Ich habe aber versucht dafür zu sorgen, dass das nicht anhält. Es gab aber Tage in diesem Jahr, die ich nicht geliebt habe", sagte er.

Daniel Ricciardos Sieg in Monza war ein persönlicher sowie ein historischer Befreiungsschlag, Foto: LAT Images
Daniel Ricciardos Sieg in Monza war ein persönlicher sowie ein historischer Befreiungsschlag, Foto: LAT Images

McLaren muckte schon vor dem Sieg auf

Noch bevor bei ihm in Monza der Knoten aufging und er eine 170 Rennen überdauernde Durststrecke für das Team beendete, hatte McLaren sich als ambitionierter Player für die Zukunft präsentiert. Sowohl Seidl als auch Brown treten seit 2021 bei politischen Debatten deutlich selbstbewusster auf, um ihre Interessen gegen die Werksteams durchzusetzen. Vor allem mit Blick auf das 2022 neue technische Reglement ist ihnen daran gelegen, eine günstige Ausgangslage zu schaffen.

McLaren mit Blick auf den Reset sowie die seit diesem Jahr geltende Budgetobergrenze als heißester Anwärter darauf, die Lücke zu den Top-Teams zu schließen. Als Einzelkämpfer sieht sich das Team allerdings in einer schwierigen Position, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Die in der Königsklasse mittlerweile weitverbreitete Konstellation aus Werks- und Kundenteams blockiert mit Absprachen die Interessen eigenständiger Wettbewerber wie McLaren.

Haas und Alfa Romeo stimmen in der Formel-1-Kommission regelmäßig im Sinne von Partner Ferrari ab. Die Lagerbildung findet nicht nur bei den Italienern statt. Mercedes steht im Technologietransfer mit Aston Martin und Williams, während Red Bull durch AlphaTauri seit jeher ein zweites Team sein Eigen nennt. Brown sah sich deshalb im Frühjahr zu einem offenen Brief gezwungen, indem er die Bündnisse öffentlich anprangerte.

Brown macht Politik für die Zukunft

"Der Anstieg an Partnerschaften zwischen Teams ist ungesund für den Sport. Es ist nicht im besten Interesse des Wettbewerbs, wenn zwei oder sogar drei Rivalen ihren Einfluss teilen und sich strategisch gleichschalten", so der 49-Jährige. Wenn McLaren aus eigener Kraft wieder um die Weltmeisterschaft fahren will, muss die Formel 1 seiner Meinung nach wieder die Mentalität der Ära Bernie Ecclestones verinnerlichen. Beim Briten galt die Devise friss oder stirb. Wer bei seinen Regeln nicht mitspielen wollte, konnte zuhause bleiben.

Brown will klare Verhältnisse statt Lobbyarbeit der Hersteller: "In anderen Sportarten haben die Offiziellen die Entscheidungsgewalt, denn ihr Fokus liegt immer darauf, was im besten Interesse des Sports ist. Dies sollte auch in der Formel 1 der entscheidende Faktor sein." Spätestens seit dieser Ansage ist klar, dass Brown nicht nur der kalifornische Kumpeltyp eines CEO ist, den Norris während seines twicht-Streams mal eben anruft um Jokes am Telefon zu machen. Der ehemalige Amateurrennfahrer und erfolgreiche Geschäftsmann teilt seinen Ehrgeiz und die politische Sattelfestigkeit mit Kalibern wie Mercedes-Boss Toto Wolff.

Die Einflussnahme der Teams ist nicht Browns einziger Kritikpunkt. Dass die Rivalen gerne mit technisch veranlagtem Personal versuchen, in die Entscheidungen einzugreifen, ist ihm ebenfalls ein Dorn im Auge. "Wenn ich mir die zehn Leute, die um den Tisch sitzen, ansehe, dann haben diese mehrheitlich einen technischen Hintergrund. Da gibt es wenig kommerzielle Expertise für Menschen, die viele große Entscheidungen treffen müssen", sagt er. "Die kommerzielle Seite, die Wichtigkeit der Fangemeinde und Unterhaltung, sind genauso wichtig, doch dem wird nicht dieselbe Zeit gewidmet."

Zak Brown scheut sich nicht vor großen Ambitionen in der Welt der Formel 1, Foto: LAT Images
Zak Brown scheut sich nicht vor großen Ambitionen in der Welt der Formel 1, Foto: LAT Images

Seidl trägt Browns ambitionierten Führungsstil

Seinem eigenen Background entsprechend hält er sich aus Fragen des technischen Reglements heraus und überlässt dieses Spielfeld dem Teamchef. Seidl war von 2000 bis 2009 als Ingenieur bei BMW in der F1 tätig und leitete danach unter anderem das LMP1-Projekt von Porsche. Der 45-Jährige ließ sich zu Beginn seiner Amtszeit im Hause McLaren ähnlich wie Brown viel Zeit zur Orientierung. Mittlerweile hat sich auch bei ihm der Wind gedreht. Als im Frühjahr zwischen Mercedes und Red Bull der Streit um flexible Flügel losgetreten wurde, blieb Seidl kein stiller Beobachter.

Die FIA räumte den betroffenen Parteien eine Frist von rund zwei Monaten ein, bis die Flügel die verschärften Tests zwingend bestehen mussten. Für McLaren war das ein Unding, denn Nachteile gegenüber der den Großen will man sich mit seinen Ambitionen auch als Mittelfeldteam nicht gefallen lassen. "Sie hatten den Vorteil bereits für einige Rennen, darüber sind wir nicht glücklich. Ihnen jetzt zu erlauben, für einige Rennen weiterhin einen Vorteil daraus zu ziehen, damit sind wir ebenfalls nicht glücklich", erklärte Seidl.

Spätestens seit dem Doppelsieg in Monza hat McLaren allen Grund, im Machtkampf mit den Top-Teams mit dem Säbel zu rasseln. Zak Browns Orange mutete zunächst wie eine fixe Idee an, doch die Rückkehr zu den Farben von Gründer Bruce McLaren steht für viel mehr. Die Mischung aus britischer Tradition und dem von Brown vorgelebten American Way of Life steht für eine neue erfolgreiche Ära in der langen Geschichte des legendären Rennstalls.