Das war es also, das zweite Sprintqualifying der Formel-1-Geschichte. Beim Großen Preis von Italien fuhren die Piloten am Samstag die Startaufstellung für das heutige Rennen in Monza mit einem 18 Runden und gut 100 Kilometer kurzen Sprint statt einem regulären Zeittraining aus. Dieses stieg wie schon beim ersten Testlauf in Silverstone bereits am Freitag und definierte den Grid für den Sprint.

Wie in Silverstone kam das grundlegende Format bei Fans und Fahrern gut an. Action und sportlicher Wert durch ein reguläres Qualifying schon am Freitag, das sieht jeder gerne. "Es war keine Prozession. Der Start war gut. Jedes Mal, wenn in der Formel 1 ein Rennen startet, besteht eine gute Chance, dass etwas passiert. Und das Format insgesamt ist gut. Du hast drei Tage, an denen etwas passiert", sagt etwa Alpine-Direktor Marcin Budkowski.

Sergio Perez: Sprint langweilig, bringt gar nichts

Der Sprint nach dem Start jedoch birgt offensichtlich Verbesserungspotenzial. Vorwiegend lobend über die kurze Hatz am späten Samstagnachmittag äußern sich nahezu einzig Formel-1-Verantwortliche wie Ross Brawn. Von den Fahrern kommt im Angesicht an einer Hand abzählbarer Überholmanöver eher Kritik.

"Es ist sehr langweilig", analysiert etwa Sergio Perez, der in Monza gegen Lance Stroll eines der seltenen Überholmanöver lancierte. "Es passiert nichts, ich sehe keinen Vorteil darin, den Sprint zu haben und ich kann mir vorstellen, dass es auch für die Fans langweilig ist. Es bringt gar nichts, um ehrlich zu sein."

Formel-1-Mann Brawn hat Action gesehen

Brawn hält dagegen. "Wir haben im Rennen jetzt einen ganz anderen Anstrich als wir nach dem Qualifying am Freitag dachten", sagt der Sportchef der Formel 1. "An der Spitze war es etwas ruhig, aber das hast du in den Rennen sowieso. Aber jede Menge Action an der Spitze, jede Menge Action am Start - wir hatten einen aufregenden Start. Also denke ich, dass es der ganzen Sache etwas gibt."

Tatsächlich: Zu Verschiebungen im Feld kam es. Nur fünf Fahrer hielten im Sprint ihr Qualifikationsergebnis des Freitags. Das war allerdings vor allem auf die Startphase - gut für McLaren, schlecht für Lewis Hamilton - und den sofortigen Ausfall Pierre Gaslys zurückzuführen. Der Rest des Rennens verlief unspektakulärer. Positionsverschiebungen waren Mangelware. Perez gegen Stroll, Fernando Alonso gegen Sebastian Vettel und Yuki Tsunoda gegen völlig unterlegene Haas und einen beschädigten Alfa Romeo von Robert Kubica - das war alles an Überholmanövern.

Keine Deltas, kein Abbau, Dirty Air = kein Überholen

"Das Problem liegt bei den aktuellen Formel-1-Autos. Um damit überholen zu können, brauchst du ein sehr großes Delta zwischen den Autos", erklärt Perez. "Und um das zu erreichen, brauchst du eine Form von Abbau. Ich denke, sie haben außerdem vielleicht die falschen Strecken gewählt. Das Problem ist aber, dass es zu kurz ist, sodass du gar nichts mit Abbau zu tun hast."

Alpine-Direktor Budkowski bestätigt: "Heute fand ich die ersten zwei Runden aufregend, aber dann hat es sich stabilisiert. Das passiert, weil es kein strategisches Element gab. Du hast nur die Reifen, falls der Soft gegen Ende etwas mehr abbaut. Sobald die Position bezogen sind und Gaps aufgehen, passiert nicht mehr viel. Das ist das Risiko."

Soft-McLaren beweist: Sprintrennen zu kurz für Reifendramen

Das sah man im Sprint am besten an McLaren. Selbst mit weichen Reifen brauchen Daniel Ricciardo und Lando Norris gegen Rennende nicht ein. Selbst ein Hamilton war machtlos. Das schmeckte dem Briten natürlich nicht, dennoch bleibt der Weltmeister diplomatisch. Dem Sprint könne man durchaus noch eine Chance geben - gerade mit der neuen Generation von Autos ab der kommenden Saison 2022.

"Es gab in beiden Rennen nicht viele Überholmanöver, aber ich halte es noch immer für eine gute Übung. Ich bin stolz auf die F1, dass sie etwas neues versuchen und wir können aus diesen Sprints auf jeden Fall lernen und es für nächstes Jahr anpassen", sagt Hamilton. "Hoffentlich wird nächstes Jahr sowieso mehr überholt, wenn das Auto liefert, was sie sagen, dass es liefern soll."

Formel 1 setzt auf neue Auto-Regeln ab 2022

Engeres Racing, dichteres Folgen - das hat sich die Formel 1 mit den neuen technischen Regularien ab der kommenden Saison groß auf die Fahnen geschrieben. "Mit den aktuellen Regeln geht es nicht", kommentiert Perez das Thema Sprint. "Es ist einfach eine Herausforderung, dass wir so viel Downforce haben. Damit kannst du vielleicht noch schlechter folgen als in der Vergangenheit", bestätigt Hamilton. Auch mehr mechanischen Grip von den Reifen und weniger Überhitzen könne man gebrauchen.

Darauf baut auch die Formel 1. "Wir sind optimistisch, dass das nächstjährige Auto eine Menge helfen wird, aber ich muss schon sagen, dass ich überrascht war, wie schwierig es war, zu überholen - selbst mit DRS", sagt Brawn. "Wir haben dieses Rennen gewählt, weil wir dachten, dass es hier mehr Gelegenheiten geben würden, aber wie sich im Rennen herausgestellt hat, war das nicht der Fall."

Hamilton Patzer! Hat er damit den Sieg schon verschenkt? (10:10 Min.)

Formel 1 will Sprints unbedingt: Mit Reverse Grid?!

Deshalb verlässt sich die F1 nicht nur auf die neuen Autos 2022 als Allheilmittel für die Kinderkrankheiten des Sprints - ein Konzept, dessen (finanziellen) Mehrwert die Formel 1 längst erkannt hat und in Zukunft weiter und in höherer Schlagzahl anzapfen will. Stattdessen kokettiert man inzwischen halbwegs öffentlich mit einem Sakrileg: Das Wort Reverse Grid geistert durchs Fahrerlager der Formel 1.

Nach Silverstone sprach Brawn bereits mit den Fahrern über diesen Ansatz, in Monza macht der Brite nun längst kein Geheimnis mehr daraus. Natürlich denke man darüber nach, so Brawn. "Wir wollen aber nicht zu weit gehen und die Leute abturnen", versichert der Brite. Die Idee aktuell: Der Sprint soll vom restlichen Wochenende entkoppelt werden. Heißt: Reguläres Qualifying am Freitag, um die Startaufstellung für den Grand Prix am Sonntag herauszufahren. Am Samstag ein Sprint mit umgedrehter Startaufstellung des Resultats am Freitag, aber ohne Folgen für das Rennen am Sonntag, dafür mit einem ordentlichen Anreiz.

Formel-1-Sprintrennen gefährlich, aber ohne Anzeiz

Letzter fehlt aktuell nämlich auch weitgehend. Einzig die Top-3 erhalten zumindest einige WM-Punkte, doch selbst an der Spitze rechtfertigt das im aktuellen Format nicht zu großes Risiko. Ein Fehler, ein Unfall und schon ist der Startplatz im entscheidenden Rennen am Sonntag ruiniert. Pierre Gasly kann nach Monza ein Lied davon singen. Sergio Perez schon seit Silverstone.

Bei einem entkoppelten Sprint wäre zumindest diese Gefahr gebannt, einen größeren Anreiz brauche es dennoch, glaubt Brawn. "Nach Silverstone haben wir mit den Fahrern gesprochen. Sie waren positiv, aber sie haben gesagt, dass es eine größere Belohnung braucht und auch mehr Gefahr. Damit sie hart kämpfen, muss es eine anständige Belohnung geben", berichtet Brawn. Deshalb kam die Idee eines 'Stand Alone Events' - als Reverse Grid. "Aber wir wollen keine Gimmicks und nichts Künstliches, die Balance ist schwierig."

Reverse Grid: Schon die Vorstellung verbreitet Grauen

Wie delikat dieses Thema ist, zeigen die ersten Reaktionen auch nur auf die sich anbahnende Idee. "Ich unterstütze, was die Fans für unterhaltsam halten. Aber ein Reverse Grid ist ein großer Abschied davon, worum es in diesem Sport immer ging. Ich will nicht, dass sich dieses Sprintrennen am Samstag in einen rutschigen Schlitten zur Formel 2 entwickelt", sagt Aston Martins Teamchef Otmar Szafnauer. "Wenn die Fans das wollen, dann liege ich falsch. Aber ich denke nicht, dass die Königsklasse des Motorsports mit Erfolgsballast, Reverse Grid und sowas anfangen sollte."

Das fällt auf fruchtbaren Boden in Woking. McLaren sprach sich schon immer gegen eine umgedrehte Startaufstellung aus - und findet sich mit dem aktuellen Sprintformat gut ab. "Heute war es vielleicht nicht der aufregendste Sprint für die Fans, das lag aber vielleicht auch an der Strecke", sagt Teamchef Andreas Seidl. "Deshalb müssen wir das alles analysieren nach diesen drei Sprints, auch auf welchen Strecken wir es machen. Aber als Konzept mögen wir es. Man hat drei Tage in Folge Highlights für die Fans und es gibt kein künstliches Gimmick für die Hackordnung, das gefällt uns."

Formel-1-Teams wollen keine Gimmicks

Hamilton unterdessen zeigt sich offen. "Wir müssen auf jeden Fall versuchen, auf Strecken, auf denen nicht überholt wird, etwas anders zu machen. Als Fahrer macht es keinen Spaß, wenn du nicht überholen kannst und für die Fans macht es auch keinen Spaß, keine Action zu sehen", sagt der Brite.

Teamchef Toto Wolff sieht es ähnlich - doch ein Reverse Grid geht dem Wiener zu weit. "Es verwässert die DNA des Sports, einer Leistungsgesellschaft", sagt Wolff. "Das Sprintrennen ist den Versuch wert. Ich bin nicht sicher, ob wir es behalten, aber Reverse Grid kann man in Nachwuchsserien machen, in denen du die Überholfähigkeiten der Fahrer sehen willst. Aber das ist etwas, dem wir in der Formel 1 nicht einmal nahekommen sollten."

Toto Wolff: Sprint nicht Fisch, nicht Fleisch

Der Sprint in der jetzigen Form sagt Wolff allerdings auch nicht zu. "Alle sind verwirrt. Ich weiß nicht einmal, wann welche Session ist. Das Sprintformat birgt gerade keine großen Vorzüge, den niemand wird ein großes Risiko eingehen", erklärt Wolff. Zu viel für das Rennen am Sonntag stehe auf dem Spiel, sagte auch Wolff. Hinzu kämen die Überholprobleme durch geringe Deltas und die Natur der Boliden. In Brasilien will Wolff dem Sprint noch eine Chance geben. "Aber für mich ist es weder Fisch noch Fleisch."

So funktioniert das neue Formel 1 Sprint-Qualifying (17:06 Min.)

Mehr Klarheit will auch Fernando Alonso. Der Spanier sieht das Problem im aktuellen Format nicht am Samstag, sondern am Freitag. Die Startaufstellung für den Sprint gehöre durchgewirbelt. Aber nicht mit einem künstlichen Reverse Grid, sondern mit einem kniffligeren Zeittraining am Freitag, das allen zumindest gleiche Chancen einräumt. "Es ist der Freitag, den wir wirklich verbessern müssen", sagte Alonso. "Wenn es im Qualifying sechs Sätze Reifen gibt, dann werden wir auch in Reihenfolge der Performance der Autos abschneiden und die Sprintrennen am Samstag auch so beginnen und so beenden."

Alonso sieht Lösung am Freitag: Sprint-Grid mit Einzelzeitfahren aufwerten

Statt eines schlichten Umdrehens des Resultats schlägt Alonso weniger Reifen im Qualifying und damit eine zusätzliche Schwierigkeit vor oder sogar eine Rückkehr zum Einzelzeitfahren im Qualifying, zuletzt 2005 im Einsatz. Bei nur einer Chance sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass auch einmal etwas schiefgehe. "Zum Beispiel gestern im Q2. Da hatte ich in Kurve eins einen Verbremser und mit dieser Runde wäre ich heute als Letzter gestartet", sagte Alonso. Das sei fairer als Reverse Grid. Alonso: "Weil ich einen Fehler gemacht habe. Dann zahle ich den Preis, fahre als Letzter los und habe einen harten Job vor mir. Dann hat das Sprintqualifying einen Sinn und mehr Würze."