143 Formel-1-Rennen hat es gedauert, dann übernahm Red Bull Racing in der Formel 1 erstmals seit Sebastian Vettel 2013 wieder die WM-Führung in der Königsklasse. Das gelang dem Team um Max Verstappen zuletzt in Monte Carlo sogar in gleich beiden WM-Tabellen. Der Niederländer führt nach dem Monaco-GP mit vier Punkten Vorsprung auf Lewis Hamilton, Red Bull liegt exakt einen Zähler vor Mercedes.

Am kommenden Wochenende folgt mit dem Aserbaidschan-GP in Baku nun gleich der nächste Straßenkurs. Kassiert Mercedes nach dem Desaster von Monaco am Kaspischen Meer deshalb gleich die nächste Ohrfeige? Bauen Red Bull und Verstappen die gerade erstrittene Führung weiter aus? Spielt Ferrari noch einmal im Konzert der Großen mit? Welchen Einfluss nimmt der Ärger um die Flexi-Wings? Der Baku-Ausblick in der Rennvorschau von Motorsport-Magazin.com.

Baku: Pirelli 2021 erstmals mit weichsten Reifen

Auf dem Papier bietet der Baku City Circuit auf den ersten Blick Potential für eine ansatzweise Wiederholung der Kräfteverhältnisse von Monte Carlo. Ein enger Straßenkurs, sanfter Asphalt und bei der fünften Auflage des Rennens erstmals die weichsten Mischungen im Sortiment Pirellis, dieselben also wie zuletzt im Fürstentum, das alles scheint den Bullen in die Karten zu spielen.

Immerhin tat sich Mercedes in Monaco vor allem deshalb so schwer, weil der Titelverteidiger es nicht vermochte, die Reifen anzuzünden. Lewis Hamilton etwas mehr als Valtteri Bottas. Gleichzeitig verschlissen die Pneus schneller als bei der direkten Konkurrenz. Ein Faktor könnte es Mercedes sogar noch erschweren: die zahlreichen 90-Grad-Kurven. Der durchschnittliche Lenkwinkel ist in Baku deshalb sehr niedrig, sodass nicht viel Energie in die Reifen gelangt. Dadurch kann das Aufwärmen der Pneus zu einer noch größeren Herausforderung werden.

Mercedes lernt Monaco-Lektion: Reifen in Baku im Griff?

Die Temperatur muss daher umso mehr beim Bremsen generiert werden. Gerade die weicheren Reifen seien dabei aber anfälliger für Überhitzungsprobleme und können auseinanderfallen, warnt Mercedes selbst. "Somit ist es ein Balanceakt, die Reifen auf Temperatur zu bringen, sie aber gleichzeitig nicht zu überhitzen", heißt es aus Brackley.

Allerdings will man diesbezüglich aus Monaco seine Lehren gezogen haben. "Am Montagvormittag nach Monaco sah ich die gleiche Entschlossenheit wie nach unserer Rückkehr von den Testfahrten in Bahrain und das hat mir gefallen. Wir haben das Wochenende genau analysiert, uns die harten Fragen gestellt und einige wichtige Lektionen gelernt", versichert Toto Wolff.

Mercedes fürchtet trotz Lehren: Baku passt nicht

Dennoch geht der Mercedes-Teamchef von einem weiteren schwierigen Wochenende in Baku aus. "Dort erwartet uns ein ganz anderer Straßenkurs als in Monaco, dennoch gehen wir davon aus, dass uns auch in Baku ein schwieriges Wochenende bevorsteht, das nicht besonders gut zu den Charakteristiken und Eigenschaften des W12 passen dürfte. Red Bull wird wieder stark sein, während sowohl Ferrari als auch McLaren kürzlich große Fortschritte erzielt haben", warnt Wolff.

Fast schon an Schadensbegrenzung scheint der für sein Understatement bekannte Wiener zu denken. "Wir müssen uns darauf konzentrieren, auf diesen Strecken, die für uns einen Sonderfall darstellen und unserem Auto nicht so sehr liegen, alles aus unseren Möglichkeiten herausholen und jede Chance ergreifen, die sich uns bietet", sagt Wolff. Eine kleine Kampfansage gibt es dennoch. Wolff: "Nach dem Ergebnis beim letzten Rennen sind wir entschlossener und motivierter denn je, in Baku zurückzuschlagen!"

Max Verstappen: Straßenkurs nicht gleich Straßenkurs

Was Mercedes die meiste Hoffnung spendet, ist der eine offensichtliche Unterschied von Baku gegenüber Monaco. Mit 77 Prozent der Rundendistanz liegt der Vollgasanteil diesmal deutlich höher. Dafür sorgt vor allem der mit 2,25 Kilometern längste Vollgasabschnitt der gesamten Saison - 200 Meter länger als von La Source bis Ende Kemmel in Spa wird das Gaspedal in Baku bis zum Boden durchgetreten. Vorteil Mercedes. Über einen kleinen Vorsprung auf Honda soll die Power Unit aus Brixworth immerhin noch verfügen. Der entscheidende Unterschied?

"Baku ist ein völlig anderer Straßenkurs, auf dem du weniger Abtrieb fährst, weil du eine lange Gerade hast und der Griplevel niedriger ist. Du kannst es also nicht gleichsetzen", mahnt Monaco-Sieger Max Verstappen. Nach einem Jahr Auszeit dürfte der Straßenkurs sogar noch 'grüner' sein als üblich. Mit der frisch eroberten WM-Führung im Rücken gibt sich der Niederländer allerdings vorsichtig optimistisch. "Normalerweise sollten wir ziemlich konkurrenzfähig sein", sagt Verstappen. "Aber ich erwarte, dass auch Mercedes stark zurückkommen wird."

2,2 Kilometer Vollgas: Power-Vorteil Mercedes?

Aserbaidschan sei ganz anders, warnt auch Christian Horner. "Sehr lange Geraden, und es war in der Vergangenheit eine starke Strecke für Mercedes", erinnert der Red-Bull-Teamchef an drei Mercedes-Siege in vier Ausgaben. "Wir machen uns also keine Illusionen. Wir sind sicher, dass sie schnell zurückschlagen. Deshalb müssen wir das Wochenende genauso angehen wir bislang."

Allerdings habe nicht nur der Gegner in Monaco seine Lektionen gelernt, ergänzt Verstappen. "Zum Beispiel wie wir am Donnerstag angefangen haben, das wollen wir in Baku nicht noch einmal erleben", erinnert Verstappen an einen schwierigen Auftakt für Red Bull in Monte Carlo. "Wir scheinen konkurrenzfähig auszusehen, aber das scheint auch Mercedes. Sie sind die, die es zu schlagen gilt. Auf normalen Strecken." Auch aus dem Bullen-Lager gibt es also zumindest kleine Ansagen - eine normale Strecke ist der Baku City Circuit immerhin ganz klar nicht.

Verstappen gesteht: Baku nicht mein Liebling

Action pur lieferte der Aserbaidschan-GP jedenfalls immer - außer 2016, da allerdings firmierte das Rennen auch noch als Europa-GP. Für Verstappen persönlich allerdings endete das noch nie mit großer Freude. "Es ist vielleicht nicht gerade eine meiner Lieblinge, wenn ich ehrlich bin", gesteht der Niederländer. Zwei Ausfälle, darunter einer durch einen teaminternen Crash mit Daniel Ricciardo, ein achter und ein vierter Rang - das ist Verstappens Baku-Bilanz. "Ich war dort noch nie auf dem Podium, also ist es an der Zeit das zu ändern", sagt Verstappen. Am besten genauso, wie zuletzt in Monaco - gleich mit einem Sieg. Auch in Monte Carlo hatte Verstappen zuvor noch nie eine Siegerehrung aus erster Hand erlebt.

Was statistisch für den Red-Bull-Fahrer spricht: Bislang hat noch niemand das Chaos von Baku zweimal bezwungen. Nico Rosberg, Daniel Ricciardo, Lewis Hamilton und Valtteri Bottas hießen die bisherigen Sieger. Geht es so weiter, dürfte Verstappen der klar heißeste Anwärter sein. Wäre da nicht sein Teamkollege. Sergio Perez brennt mehr und mehr auf sein erstes Spitzenresultat für Red Bull. Baku wäre dafür der ideale Ort. Immerhin feierte der Mexikaner mit Force India/Racing Point bereits zwei Podien am Kaspischen Meer.

Baku-Guru Perez: Schlägt endlich seine Stunde?

Um in den Kampf um den Sieg eingreifen zu können, muss der Mexikaner dennoch dringend seine Achillesferse des bisherigen Saisonverlaufs kurieren - das Zeittraining. "Ich freue mich sehr auf Baku und hoffe, dass wir zusammen ein starkes Qualifying abliefern können, denn wir haben bereits bewiesen, dass unsere Rennpace genauso gut ist, wie die der Besten", sagt Perez selbst. "Wir müssen einfach unsere Samstage verbessern."

Insbesondere nach Monaco - nur P7 - gilt das auch für 100-Poles-Mann Hamilton. Der Brite zählt wie Verstappen ebenfalls nicht zu den größten Baku-Freunden - trotz seines Siegs vor zwei Jahren. Den hatte Hamilton immerhin nur durch einen Reifenschaden des führenden Bottas erzielt. Bei den beiden ersten Auflagen in Baku bremsten Hamilton allerdings auch technische Probleme an seinem Silberpfeil.

Flexi-Wings: Wie wirkt sich das Streitthema aus?

Ein großes Fragezeichen schwebt allerdings über dem gesamten Wochenende - die berühmte 'Flexi-Wings'-Saga. Insbesondere Mercedes, McLaren und Aston Martin monieren eine Entscheidung der FIA, verschärfte Tests für die Biegsamkeit der Heckflügel erst nach Baku einzuführen. Immerhin bringt ein Heckflügel, der sich auf der Geraden leicht flacher stellt und damit weniger Luftwiderstand generiert wegen der langen Gerade in Baku ausgerechnet dort besonders viel. In Monaco war das nicht der Fall. Deshalb kam es dort nicht zu bereits angedrohten Protesten.

In Baku könnte das anders sein. Toto Wolff jedenfalls schloss dergleichen nicht aus. Vorteil Red Bull, fürchtet Mercedes. Vorteil Ferrari, fürchtet McLaren. Vorteil Alfa Romeo, fürchtet Aston Martin. Diese drei vermeintlich bevorteilten Teams waren es, die sich zuletzt von den geplanten Änderungen generell wenig begeistert zeigten - grundlegend, fast unabhängig von der Terminierung. Sicher verhindern könnte einen Protest die FIA mit einer Anpassung der Frist oder die genannten Teams, indem sie ihre Heckflügel freiwillig vorzeitig verstärken. Hier heißt es allerdings weithin, das sei so schnell nicht möglich. Falls doch bliebe die Frage, wer es darauf angekommen lässt.

Ferrari erwartet Rückfall: Sogar hinter McLaren

Alfa Romeo vielleicht am wenigsten. "Das wird sowieso überhaupt kein Gamechanger", sagt Teamchef Frederic Vasseur. "Wir haben mit Ferrari gezeigt, dass wir auf einem solchen Layout [Monaco] abliefern und vielleicht wird es in Aserbaidschan genauso. In Aserbaidschan hast du zwei verschiedene Streckenteile. Du hast die Stadt, dort ist die Philosophie nah dran an Monaco. Und du hast diese etwa 2,5 Kilometer langen Geraden. Das wird vielleicht etwas schwieriger."

Genau das erwartet auch Ferrari. Erneut auf Augenhöhe mit Mercedes und Red Bull sieht sich die Scuderia in Baku nicht, eher wieder hinter McLaren. "Wenn der SF21 in Spanien klar das drittschnellste Auto war und in Monaco sogar Siegpotential gezeigt hat, wird die Situation in den nächsten Rennen, beginnend mit Baku anders", zitiert F1.com Sportdirektor Laurent Mekies.

"Schon dieses Wochenende erwarten wir ein sehr starkes McLaren, die sich sehr gut an die Charakteristika der Strecke anpassen und die Führung in der Gruppe hinter den beiden Teams, die um die WM kämpfen, übernehmen sollten." Auch Alpine, AlphaTauri und Aston Martin erwartet Ferrari in Monaco stark. Vor allem aber McLaren, das sich in Monaco mit einer ebenfalls verbesserten Performance bei Low-Speed selbst überraschte - und zuvor auf den Geraden glänzte. Die perfekte Mischung für Baku?

Das vermutet Carlos Sainz. "Wer sich jetzt auf Baku freuen sollte, ist mein Freund Lando Norris, hier zu meiner Linken", kündigte Sainz schon in der Top-3-Pressekonferenz in Monaco an. "Er war eine Rakete auf der Geraden und das Auto war letztes Jahr in Monza definitiv auch nicht schlecht, nicht schlecht in Monaco", erinnert der Spanier. "Also wette ich vielleicht auf dich!" Genau das hatte vor Monaco Norris spaßeshalber an Sainz geschrieben - nachdem Ferrari in Barcelona im engen dritten Sektor aufgetrumpft hatte. Sainz: "Du lagst richtig. Jetzt schauen wir, ob ich Baku auch richtig liege."