Am 11. Februar 2020 war die Welt für Ferrari und Sebastian Vettel noch in Ordnung. Vor einem Jahr präsentierte die Scuderia im pompösen Teatro Municipale in Reggio Emilia den neuen Formel-1-Boliden für die Saison 2020. Wenige Monate später war die Welt nicht nur aufgrund des Coronavirus eine andere. Motorsport-Magazin.com blickt auf ein unrühmliches Kapitel der Ferrari-Historie zurück.

Die letzte große Show begann in den Abendstunden. Bei Sonnenuntergang kamen die großen Ferrari-Stars an, Teamchef Mattia Binotto und seine beiden teuersten Angestellten Sebastian Vettel und Charles Leclerc standesgemäß im feinen, schwarzen Zwirn, auf der Brust das Cavallino Rampante auf gelbem Scudetto. Bevor es losging noch ein Bad in der Menge - Autogrammstunde mit den Tifosi.

Es sollte das letzte Mal sein für Sebastian Vettel, dass er im feinen Ferrari-Aufzug antrat. Dabei standen die Zeichen damals, vor genau einem Jahr, noch nicht auf Abschied. Im Nachhinein hätte man die Zeichen sehen können und müssen, aber besonders ernst schien die Lage damals noch nicht zu sein.

Vettel im teuren Ferrari-Stallduell mit Neuling Charles Leclerc

Charles Leclerc machte Vettel 2019 in seiner ersten Saison für Ferrari schon das Leben schwer. Der viermalige Formel-1-Weltmeister und der junge Monegasse gerieten mit jedem Grand Prix, den die Saison andauerte, heftiger aneinander.

In Spa verhalf Vettel Leclerc noch zum ersten Sieg, eine Woche später begann sich der Streit im Qualifying zum Italien GP hochzuschaukeln. Windschatten-Absprachen wurden ignoriert, Vettel war sauer auf Polesetter Leclerc. Die Revanche gab es beim Singapur GP, als Vettel die bessere Strategie bekam und Leclerc damit den sichergeglaubten Sieg entriss.

Eine Woche später eskalierte das Stallduell beim Russland GP endgültig, als Vettel die Führung nicht wie abgemacht an Leclerc zurückgab. In Brasilien dann der dramatische Höhepunkt: Die beiden Ferrari-Piloten crashten im Zweikampf und schieden aus.

In der Winterpause wurde der Vertrag von Leclerc verlängert. Es war ein deutliches Zeichen, das Ferrari setze: Einen Tag vor Weihnachten unterschrieb der Monegasse bis einschließlich 2024. Damit war klar: Die Zukunft spricht in Maranello Französisch, nicht Deutsch.

Vettel und Ferrari versichern lange gemeinsame Zukunft

Dass die Ära Vettel so schnell zu Ende gehen sollte, war jedoch nicht abzusehen. Leclerc gehörte die Zukunft, aber Vettel zumindest noch die Gegenwart. Tausende Fans feierten Vettel auf der Piazza vor dem Teatro noch immer wie den Messias. Leclerc war eher der Nebendarsteller. Und auch bei der Präsentation war Vettel der Hauptdarsteller. Denn der Vertrag des Messias lief Ende 2020 aus, und die Fragen nach der Zukunft waren vielfach. Er stahl sogar dem SF1000 die Schau, mit dem die Marke 1000 Grands Prix feiern wollte.

Vettel beim Ferrari-Launch von 2020, Foto: Ferrari
Vettel beim Ferrari-Launch von 2020, Foto: Ferrari

Weiter mit Ferrari oder Karriereende - je nachdem, wozu Vettel Lust hat. So lautete die vorherrschende Meinung über die Zukunft. Dass der Jubiläumsbolide Vettels letzte Rote Göttin werden sollte, glaubte niemand so recht. Teamchef Mattia Binotto verstärkte die Meinung: "Seb ist gegenwärtig unsere erste Wahl. Natürlich ist das etwas, das wir mit ihm diskutieren müssen, und wir werden weiter mit ihm darüber diskutieren. Aber er ist auf jeden Fall im Moment unsere erste Option, wir bevorzugen ihn."

Die nächsten Wochen waren aber voll negativer Überraschungen. Ferrari enttäuschte bei den Testfahrten, und dann rollte die Coronavirus-Pandemie heran. Der Saisonauftakt in Melbourne wurde in letzter Sekunde abgesagt. Die Formel 1 fiel in einen dreieinhalb Monate langen, unfreiwilligen Winterschlaf.

Vettel auch in Corona-Zwangspause optimistisch für Ferrari

Dreieinhalb Monate, in denen sich auf dem Fahrermarkt eigentlich nicht viel zu tun schien. Schließlich konnte sich kein Fahrer beweisen und auch kein Team konnte sich mit Leistung hervortun. Mitte April meldete sich Vettel noch gut gelaunt in einem Videocall mit Journalisten.

"Priorität hatte zuerst, mit der [Corona-]Situation richtig umzugehen, deshalb war zunächst alles auf Hold", verriet er, auf seine Vertragsverhandlungen angesprochen. "Wir werden Fortschritte machen, aber es gibt keine richtige Deadline, ob vor dem ersten Rennen oder nicht. Das hängt davon ab, wann das erste Rennen sein wird."

Für Vettel schien es zu diesem Zeitpunkt nur um die Vertragslaufzeit gegangen zu sein: "Normalerweise liefen all meine Verträge in der Vergangenheit über drei Jahre… Auch wenn ich einer der erfahrensten Fahrer in der Formel 1 bin, bin ich nicht der Älteste. Und ich glaube, es gibt kein Alterslimit. Es wird ein Deal sein, mit dem sich das Team und ich wohl fühlen."

Transfer-Bombe mit Ferrari/Vettel/Sainz - einvernehmlich oder nicht?

Keinen Monat später platzte die Bombe: Vettel und Ferrari trennen sich. "Diese Entscheidung wurde gemeinsam von uns und Sebastian getroffen. Es ist die Entscheidung, die beide Seiten für die Richtige halten", sagte Binotto in der Presseaussendung. "Es gab keinen speziellen Grund, der zu dieser Entscheidung geführt hat, abgesehen vom gemeinsamen und freundschaftlichen Glauben, dass es nun an der Zeit war, getrennte Wege zu gehen, um unsere Ziele zu erreichen."

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Zwei Tage später verkündete Ferrari die Verpflichtung von Carlos Sainz. Natürlich besorgte sich die Scuderia nicht innerhalb von 48 Stunden Ersatz für Vettel. Vielmehr war Sainz der Grund, weshalb Vettel und Ferrari getrennte Wege gingen.

Genau das bestätigte Vettel beim ersten Auftritt nach der Pause auch selbst: "Ich war überrascht, als ich den Anruf von Mattia [Binotto, Ferrari-Teamchef] bekam und er mir gesagt hat, dass sie kein Interesse daran haben, mit mir weiterzumachen. Es gab nie Diskussionen. Es lag nie ein Angebot auf dem Tisch, deshalb gab es auch keinen Knackpunkt."

Nur einen Tag später musste sich Binotto beim Formel-1-Restart den Medien stellen. Der Italiener musste die Aussagen, die nicht so recht zueinanderpassen wollten, erklären. "Natürlich haben wir in der Winterzeit immer gesagt - zu ihm privat, aber auch öffentlich -, dass er unsere erste Wahl ist. Das kann ich bestätigen. Es ist normal, dass im Winter viele Fahrer und fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, für Ferrari zu fahren. Wir wurden natürlich kontaktiert. Das hat unsere Position nicht geändert, Seb war unsere erste Wahl."

Ferraris Vettel-Kehrtwende in der Pandemie

"Was ist dann passiert? Das Virus ist passiert und die ganze Situation mit der Pandemie, welche die ganze Welt verändert hat, nicht nur den Motorsport und die Formel 1“, rechtfertigte Binotto. "Die Budgetobergrenze wurde deutlich verändert, ist strikter geworden. Die Regeln wurden von 2021 auf 2022 verschoben. Die Autos für 2020 und 2021 wurde so gut wie eingefroren."

"Die ganze Situation hat sich verändert, noch dazu hatte die Saison nicht einmal angefangen. Zurück auf der Strecke zu sein wäre auch für Seb die Möglichkeit gewesen, zu beweisen, wie motiviert er wirklich war, für Ferrari zu fahren. Das lief unglücklich für ihn", gestand der Teamchef. "Im Shutdown mussten wir als Ferrari unsere Position irgendwie neu bewerten und wir haben dann eine Entscheidung getroffen. Das war unsere Verantwortung."