1. - S wie Startaufstellung

Das kuriose Qualifying beim Türkei-Comeback der Formel 1 (Start in Istanbul heute um 11:10 Uhr, live im TV auf RTL und Sky) hat uns eine der spannendsten Startaufstellungen der Saison 2020 beschert. Keine erste Reihe mit Lewis Hamilton und Valtteri Bottas, stattdessen steht der pinke Mercedes von Lance Stroll auf der Pole Position. Der Kanadier geht zum ersten Mal vom Platz an der Sonne ins Rennen, nachdem er am Samstag im Regen die Oberhand gegen Max Verstappen behielt.

Strolls Racing-Point-Teamkollege Sergio Perez geht nach neun Mal Startplatz vier zum ersten Mal in seiner Karriere von P3 in einen Grand Prix. Der zweite Red Bull von Alexander Albon machte das ungewöhnliche Spitzenduell Bullen vs. Racing Point komplett. Dahinter geht es nicht weniger bunt weiter. Daniel Ricciardo teilt sich Reihe drei mit Lewis Hamilton, der am Sonntag den siebten WM-Titel klarmachen kann.

Durch die chaotischen Bedingungen finden sich auch weiter hinten im Grid einige Spannungselemente wieder. Valtteri Bottas muss von Platz neun versuchen, Hamiltons vorzeitigen Titelgewinn zu verhindern. Die Ferrari-Teamkollegen Sebastian Vettel und Charles Leclerc stehen in der sechsten Startreihe. Das McLaren-Duo geht durch Strafen aus den Untiefen des Mittelfelds ins Rennen, genauso wie AlphaTauri-Teamleader Pierre Gasly.

2 - S wie Start

Vor Stroll liegen am Sonntag 210 Meter, um seine erste Pole Position beim Erlöschen der Startampel in eine Führung zu verwandeln. Tatsächlich ist es aber nicht das erste Mal, dass der Kanadier ganz vorne startet. In Monza hatte er beim stehenden Start nach einer Rennunterbrechung schon einmal die Siegchance auf dem Fuß, vergab sie jedoch mit einem schwachen Start.

In Istanbul sind nicht nur starke Nerven gefragt, sondern auch jede Menge Gefühl für das Gaspedal. Die Wahrscheinlichkeit für einen nassen Start ist hoch und Traktion ist auf dem neuen Asphalt des Istanbul Park Circuit ohnehin ein Fremdwort. Verstappen ärgerte sich deshalb umso mehr über die verpasste Pole. Ihm graut es unter allen Umständen, von Platz zwei zu starten: "Ich starte jetzt auch auf der Innenseite, das ist nicht sehr angenehm."

3. - S wie Strategie

Sollte das Wetter mit der Königsklasse am Sonntag gnädig sein, hat zunächst einmal jeder Pilot vor dem Start freie Reifenwahl, da das Qualifying im Nassen ausgetragen wurde. Die Teams und Reifenlieferant Pirelli haben vom Freitag zwar reichlich Daten, doch nach den Regenfällen ist es wahrscheinlich, dass das Gripniveau mit dem der Trainings nicht allzu viel gemein haben wird.

Auf Basis der zur Verfügung stehenden Zahlen prognostiziert Pirelli eine Zweistopp-Strategie als schnellste Variante für die Renndistanz von 58 Runden. Zwei Stints auf dem Soft-Reifen über 16 Runden sowie einen Stint auf Medium über 26 Runden sollen zum Erfolg führen. Längere Stints auf Soft empfehlen die Italiener aufgrund des starken Grainings nicht.

Bei extremen Graining-Problemen wird sogar empfohlen, nur 14 Runden auf dem Soft-Compound zu fahren und zwei Stints über 22 Runden auf Medium zu absolvieren. Angesichts der kühlen Temperaturen von nur etwa 15 Grad Celsius ist ein Einsatz des Hard-Compounds äußerst unwahrscheinlich. Wer es doch wagen will, hat von Pirelli die Empfehlung einer Einstopp-Strategie mit 28 bis 38 Runden auf Hard.

4. - S wie Streckenverhältnisse

Die Neuasphaltierung der erst 2005 erbauten Rennstrecke stieß bei den Formel-1-Piloten auf wenig Gegenliebe. Der Freitag war aufgrund der glatten Oberfläche reine Zeitverschwendung, denn verwertbare Daten oder Setuparbeit waren nicht möglich. Im ersten Training war die schnellste Rennserie der Welt drei Sekunden langsamer als der GP2-Rekord von Giorgio Pantano aus dem Jahr 2008.

Selbst als es am Nachmittag besser wurde, fehlten auf den F1-Streckenrekord von Juan Pablo Montoya von 2005 noch vier Sekunden. Hamilton fand für diese Zustände harte Worte und kritisierte die übers Knie gebrochene Modernisierung scharf, die erst eine Woche vor dem Eintreffen der Formel 1 abgeschlossen wurde. Eine volle Renndistanz unter Wettbewerbsbedingungen wird bei der hohen Fehlerquote auf dem rutschigen Untergrund zum absoluten Spießrutenlauf.

Hamilton: "Große Schei**e!" - Formel 1 langsamer als GP2! (16:38 Min.)

5. - S wie Safety Car

Bei stabilen Bedingungen ist die Wahrscheinlichkeit einer Safety-Car-Phase beim Türkei GP eigentlich sehr gering, denn die asphaltierten Auslaufzonen sind mehr als großzügig. Es würde schon Trümmerteile auf der Ideallinie oder ein an einer ungünstigen Stelle ausgerolltes Auto brauchen, um das Rennen zu neutralisieren. Im Jahr 2020 ist jedoch alles etwas anders.

Im Qualifying fanden einige Piloten den Weg in eines der wenigen Kiesbetten auf dem Istanbul Park Circuit, woraufhin ihre Autos geborgen werden mussten. Die Folge: rote Flaggen. Im Rennen führt die Bergung eines Boliden zumindest zu einer Gelbphase, und die kann bekanntermaßen einiges durcheinanderwürfeln.

Safety-Car-Fahrer Bernd Mayländer war am Samstag bereits oft im Einsatz, Foto: LAT Images
Safety-Car-Fahrer Bernd Mayländer war am Samstag bereits oft im Einsatz, Foto: LAT Images

6. - S wie Sauwetter

Ein Türkei GP im November kommt einem Eifelrennen im Herbst erstaunlich nahe. So launisch wie an diesem Wochenende hat die Formel 1 Istanbul noch nie erlebt, und es könnte noch chaotischer werden. Ursprünglich war nur für den Samstag Regen vorhergesagt, doch mittlerweile haben die Meteorologen ihre Prognosen korrigiert. Der Sonntag sieht grau, nass und kalt aus.

Am Vormittag beträgt die Regenwahrscheinlichkeit bereits 40 Prozent bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der neue Asphalt hält das Wasser lange und Rahmenrennen, welche die Strecke trocken fahren könnten, gibt es nicht. Zum Rennstart um 13:10 Uhr Ortszeit steigt die Chance auf Regen auf 60 Prozent. Bei nur 14 Grad Celsius Lufttemperatur und dichter Wolkendecke besteht kaum Hoffnung, dass die Fahrer ganz ohne Rutschpartie davonkommen.

7. - S wie Sieger

Neun Jahre ist es her, dass die Formel 1 letztmals in Istanbul antrat. Bei acht Ausgaben des Türkei GP zwischen 2005 und 2011 gab es fünf unterschiedliche Sieger. Drei davon stehen auch diesen Sonntag im Grid, Siegchancen darf sich allerdings nur einer von ihnen wirklich ausrechnen. Lewis Hamilton, seines Zeichens Türkei-Sieger von 2010, hat diese Saison bereits neun Rennen gewonnen und würde seinen siebten WM-Titel sicher gerne stilecht mit einem Sieg krönen.

Kimi Räikkönen war 2005 der Premierensieger in der Türkei, doch der Iceman bräuchte schon viel Chaos, um auch diesmal als erster über die Ziellinie zu fahren. Sebastian Vettel gewann 2011 den bis dato letzten GP in Istanbul, doch ähnlich wie bei Räikkönen wird es für ihn bei normalem Rennverlauf eher nicht zur Wiederholung dieses Erfolgs reichen.

Die Chancen auf einen Sensationssieger sind durch die Startaufstellung und den Wetterbericht aber trotzdem höher als sonst. Mit Pierre Gasly gelang dieses Jahr in Monza schon einem Piloten aus dem Mittelfeld der große Triumph. Gut möglich, dass der Türkei GP 2020 den nächsten Underdog glücklich machen wird.