Die weltweite Corona-Pandemie ist eine Tragödie: Zehntausende Tote, der Höhepunkt wohl noch lange nicht erreicht. Die Welt steht still. In Anbetracht dieses Ausmaßes gerät die Formel 1 verständlicherweise in den Hintergrund.

Zugegeben, es erscheint angesichts dieses Dramas etwas befremdlich, sich um die Formel 1 zu kümmern. Aber wir lieben und leben die Königsklasse des Motorsports nun mal. Und derzeit haben wir mit unserer großen Liebe nicht nur eine Beziehungspause eingelegt, wir kämpfen um die Zukunft.

Ob die Saison nun etwas früher oder später beginnt ist doch egal, mag der ein oder andere sagen. 22 Rennen sind ohnehin viel zu viel. Dem kann man gar nicht einmal widersprechen. Doch es geht hier um so viel mehr. Und damit meine ich nicht, ob die Saison 2020 überhaupt stattfindet oder nicht.

Als ich letzte Woche mit AlphaTauri-Teamchef Franz Tost telefonierte, wurde mir das Ausmaß der Krise erst vollumfänglich klar. Seit das ehemalige Minardi-Team von Red Bull übernommen wurde, war es stets gesund ausfinanziert. Es zählte nicht zu den großen Teams, aber Sorgen um die Zukunft gehörten in Faenza der Vergangenheit an.

Kleine Teams fürchten Pleite

Bis jetzt. "Wenn wir diese Saison keine Rennen mehr fahren, dann denke ich, dass alle Teams riesengroße finanzielle Probleme bekommen werden. Da geht es ums Überleben", sagte mir der erfahrene Rennsportmanager. Später wurde er noch deutlicher: "Man muss schauen, wie kann die Formel 1 überhaupt überleben?"

Es gehört zur Geschichte der Formel 1, dass kleinere Teams ums Überleben kämpfen müssen. Aber diesmal ist alles anders. Nicht nur die 'Kleinen' kämpfen ums Überleben.

Wenn Rennen ausfallen, fallen Antrittsgebühren weg. Ziemlich genau ein Drittel der gesamten Einnahmen des Kommerziellen Rechteinhabers stammen aus Antrittsgebühren. Das zweite Drittel stammt aus TV-Geldern. Auch hier droht es erhebliche Ausfälle zu geben, wenn zu wenig Rennen - oder gar keine - stattfinden.

QuelleAnteilVertragslaufzeit
Antrittsgelder30-35 %5-10 Jahre
Übertragungsrechte30-35 %3-6 Jahre
Werbung & Sponsoren15%3+ Jahre
VIP Tickets, TV-Produktion, F2/F320%

Das letzte Drittel kommt von Sponsoren, VIP-Tickets, eigenen TV-Produktionen und den Nachwuchsserien Formel 2 und Formel 3. Natürlich ist auch diese Quelle erheblich von den Rennausfällen betroffen.

Etwas mehr als die Hälfte der Gesamteinnahmen werden an die Teams ausgeschüttet. Der Schlüssel ist kompliziert. Kurz gesagt: Historische Zahlungen, Erfolgs-Boni und der Konstrukteursrang entscheiden.

Das System ist hochgradig unfair und benachteiligt die kleinen Privatteams, deren Kassen ohnehin nicht von Konzernen aufgebessert werden. Doch selbst die verdienen noch zwischen 50 und 70 Millionen Dollar.

Für die 'Kleinen' bedeutet das, das oftmals mehr als die Hälfte des gesamten Budgets aus der Kasse von Liberty Media kommt. Man kann sich ausmalen, was passiert, wenn dieser Topf drastisch einbricht. Franz Tosts Worte klingen eindrücklich im Kopf nach.

Ziehen die Konzerne den Formel-1-Stecker?

Doch das ist nur die eine Seite des Problems. Es kommt noch dicker: Denn auch die Big Player werden plötzlich ganz kleinlaut. Sie verlieren nicht nur Antrittsgelder von Liberty Media, sondern haben im Hintergrund mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.

Daimler gab schon vor der Corona-Krise Gewinnwarnungen am Fließband aus und verabschiedete milliardenschwere Sparpakete. Alle Konzerne sind nun enorm von der Krise betroffen. Ob Daimler, Renault oder Red Bull - ja sogar Ferrari muss plötzlich aufs Geld schauen.

Die Zukunft der großen Werke in der Formel 1 ist ungewisser denn je. Weil ausgerechnet Ende 2020 das Concorde Agreement ausläuft, war es nie einfacher, aus der Formel 1 auszusteigen. Schon ohne Corona war es fraglich, ob alle Konzerne auch 2021 noch dabeigeblieben wären. Die Fragezeichen wurden nicht kleiner.

Bei Mercedes und Renault gibt es nun wichtigere Probleme als die Formel 1. Auch Red Bull wird sich die Frage stellen, ob man sich angesichts der wirtschaftlichen Lage den Luxus gönnen will, zwei Teams zu finanzieren. Die einen wackeln, weil sie abhängig von großen Konzernen sind. Die anderen wackeln, weil ihnen die Krise die finanzielle Grundlage nehmen könnte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Formel 1, wie wir sie heute kennen, auch nach der Corona-Krise noch da ist, ist nicht besonders hoch. Mit der Regelverschiebung und der Einfrierung der Monocoques wurde nur ein Mini-Schritt gemacht. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wieder gehen mir Franz Tosts Worte durch den Kopf: "Diese Maßnahmen helfen nur dann, wenn wir dieses Jahr noch mindestens 10 bis 15 Rennen fahren. Falls wir weniger oder gar keine Rennen fahren, ist das viel zu wenig, um die angefallenen Kosten zu kompensieren. Dann müssen sich die Teams zusammensetzen, um gravierende Maßnahmen zu besprechen. Da geht es dann nicht darum, dass ein paar Teile eingefroren werden: Dann muss man schauen, wie kann die Formel 1 überhaupt überleben?" Und das könnte Folgen haben, wie wir sie uns heute noch nicht vorstellen können.

Formel-1-Teamchef Franz Tost schlägt Alarm: Geht ums Überleben: (33:04 Min.)