Befreiung. Mit diesem Wort beschrieb Charles Leclerc seinen Sieg beim Italien GP der Formel 1 in Monza. Der zweite Sieg des Ferrari-Piloten in Folge, der erste auf heimischem Boden seit neun Jahren für die Scuderia. Befreiung? Hätte das nicht der erste Sieg vor einer Woche in Spa sein sollen?

Ja. Auf emotionale Weise. Doch dieses Mal meint Leclerc ganz einfach sein Rennen. Ein unfassbar hartes Rennen. "Was für ein Rennen. Ich war noch nie so kaputt! Es war ein wirklich schwieriges Rennen. Es stand so viel auf dem Spiel für mich", schildert Leclerc in der Pressekonferenz. "Wie viele Runden waren es? 53? Es fühlte sich sehr viel mehr an! Jetzt fühle ich einfach nur noch pure Freude!"

Charles Leclerc: Tifosi-Parte auf Tribüne hat fast abgelenkt

Die hatte der Ferrari-Youngster zuvor bereits am Boxenfunk herausgebrüllt. Ein emotionsgeladener Dauerschrei. "Ich glaube da habt ihr nicht viel verstanden oder!", scherzt Leclerc. Kein Wunder. Ein Sieg in Monza, vor tausenden Tifosi. Da schäumt alles über.

"Diese Tifosi, die Unterstützung, ein Traum ist wahr geworden! Spa war schon ein Traum. Aber hier beim Heimrennen - unglaublich! Mir fehlen die Worte", schwärmt Leclerc. Gegen Rennende hätte ihm die überwältigende Kulisse sogar das Rennen noch erschwert. "Die sind da auf den Tribünen so abgegangen, da musste ich mir schon sagen 'Schau' nicht auf die Tribünen, schau' auf die Strecke!' Es war echt schwierig, auf das Fahren konzentriert zu bleiben."

Leclerc übersteht Horrorszenario: Dauerdruck von Hamilton

Doch das war unbedingt nötig. Die Mercedes machten Leclerc gewaltig Druck. Im ersten Stint lief noch alles geschmiert. Leclerc geriet nicht in Bedrängnis. Im zweiten umso mehr. Ferrari hatte Hard montiert, Mercedes Medium. Den Undercut wehrte Rot ab, doch daraufhin machte Hamilton mit den schon angewärmten und noch dazu weicheren Reifen richtig Betrieb.

Dauerdruck durch den Weltmeister. Horrorszenario. "Es war sehr schwierig. Der größte Gap, den ich je auf Lewis hatte war glaube ich 1,8 oder 1,9 Sekunden. Lewis war immer direkt hinter mir. Und ich weiß, dass Lewis selten Fehler macht. Deshalb durfte ich auch keinen machen. Aber einen habe ich gemacht, sie aber auch", schildert Leclerc.

Leclerc übersteht Angriffe von Hamilton, Bottas

Tatsächlich blieb niemand fehlerfrei. Erst war es Leclerc, der in Runde 35 die erste Schikane verpasste. "Da wurde es dann sehr, sehr eng." Ddann Hamilton an selber Stelle sechs Runden später. Der Brite verlor sogar P2 an Teamkollege Bottas, der jetzt eine riesige Bedrohung für Leclerc darstellte. Denn Mercedes hatte Bottas ganze sieben Runden länger fahren lassen. Der Finne verfügte also über sehr viel frischere Reifen, robbte sich so heran. Doch auch Bottas unterlief ein Fehler. Verbremser. Leclerc war safe.

"Ich merkte irgendwann, dass der Sieg möglich war. Die Reifen waren okay, hätten sogar noch deutlich länger gehalten", lobt Leclerc die clevere Ferrari-Wahl mit Hard. "Und Bottas hatte auch noch Probleme mit Verkehr und es hat gereicht." Ganz besonders die Reifenwahl Ferraris lobt Leclerc.

Leclerc: Vettel-Dreher hat es kniffliger gemacht

Immerhin sei seine Ausgangslage nach dem Vettel-Dreher von P4 deutlich schwerer geworden. "Die Strategie war gut. Wir hatten eine knifflige Situation, weil ich dann ja zwei Mercedes hinter mir hatte und ich der einzige Ferrari war. Sie konnten also mit der Strategie spielen und mit einem Auto länger fahren. Aber da haben wir die richtige Wahl mit dem Hard getroffen."

Daraus lässt sich sehr wohl eine gewisse Enttäuschung über den ausgebliebenen Vettel-Support lesen. Doch auf Nachfrage dazu gießt Leclerc kein Öl ins Feuer. Im Gegenteil. "Natürlich ist es immer leichter wenn du zwei Autos hast statt nur eins. Gestern hatte Seb aber viel Pech, weil er seine zweite Runde im Q3 nicht fahren konnte. Ich bin aber ziemlich sicher, dass das die nächsten Rennen wieder besser wird", sagt Leclerc.

Sebastian Vettel drehte sich früh aus dem Spitzenkampf, Foto: LAT Images
Sebastian Vettel drehte sich früh aus dem Spitzenkampf, Foto: LAT Images

Leclerc: Keine Kritik an Vettel, wird wieder

Nach den Meinungsverschiedenheiten bei Ferrari noch am Samstag betont Leclerc dann umso mehr seine Wertschätzung Vettels. "Er ist der kompletteste Fahrer, mit dem ich je gefahren bin. Ich kann sehr viel von ihm lernen. Er ist sehr schnell, sehr detailliert und analytisch."

Doch zurück zu Leclercs Rennen. Nicht nur der Solokampf, sondern auch das davon zunächst unabhängige Duell mit Hamilton hätte den Monegassen fast das Rennen gekostet. In Runde 22 kassierte Leclerc die schwarz-weiße Flagge. In Curve Grande hatte er Hamilton rechts etwas auf die Wiese gedrückt.

Schwarz-weiße Flagge für Hamilton-Abdrängen: Leclerc sah Autobreite Platz

"Man hat es mir am Funk erzählt. Aber ich wusste gar nicht, wofür das war", sagt Leclerc. Als man ihm die Szene nennt, erwidert er: "Ich wusste, dass er da rechts war und spät bremsen wollte. Ich war aber überzeugt, dass da noch eine Autobreite Platz war. Da war ich sehr sicher."

Seine harte Gangart jedenfalls sieht Leclerc als völlig angemessen. "Ich denke, es ist gut, wenn wir härter fahren können", sagt Leclerc. Das habe er seit Spielberg ja ohnehin angepasst.

Der Lohn: Der schönste Sieg, den ein F1-Fahrer überhaupt erfahren kann. Nach beinhartem Kampf als Ferrari-Fahrer in Monza vor einem roten Meer. "Auf dem Podium fühlte es sich großartig an. Mit so vielen Leuten darunter. Die ganze gerade war voll von Menschen in Rot. Oder 99 Prozent! Sie jubeln und singen zu hören - das waren einfach so viele Emotionen!"