Ein einziger Silberpfeil-Sololauf ist die bisherige Formel-1-Saison 2019. Dass manch einer P1 und P3 zuletzt in Monaco bereits scherzhaft als Mini-Krise für Mercedes bezeichnete, spricht Bände. Die Faktenlage vor dem Kanada GP am kommenden Wochenende jedenfalls könnte klarer kaum aussehen.

Lewis Hamilton reist mit 137 WM-Punkten als klarer Leader vor Valtteri Bottas (120) zum siebten F1-Rennen des Jahres. Fast 40 Punkte liegt der WM-Dritte, Ferrari-Ass Sebastian Vettel, bereits zurück - auf den Finnen wohlgemerkt. Für Max Verstappen im Red Bull sind es bereits mehr als 40.

Ferrari-Hoffnung: Kanada wie Bahrain?

Noch dramatischer für alles, was nicht Mercedes heißt, sieht resultierend die Konstrukteurswertung aus. Nur 21 Zähler mehr (was nach der bis dato so gut wie perfekten Ausbeute nicht möglich ist) und die Silberpfeile hätten bereits jetzt doppelt so viele Punkte auf dem Konto wie ihr erster Verfolger, Ferrari.

Ferrari, Red Bull, Mercedes: F1-Zwischenbilanz nach Monaco 2019: (15:55 Min.)

Nur einmal hatte die Scuderia zumindest in Sachen Pace bis dato die Nase vorne. Doch die Technik bei Charles Leclerc und ein schwaches Wochenende von Vettel brachte Ferrari um den Lohn. In Aserbaidschan präsentierte sich Rot zumindest phasenweise in Form. Für den Kanada GP in Montreal lässt das nun endlich wieder hoffen.

Warum? Weil es sich bei dem Circuit Gilles Villeneuve, ähnlich wie in Sakhir und Baku um eine Low-Downforce-Strecke handelt - und Power zählt. Fast 60 Prozent gehen Vollgas. Genau das schmeckt dem Topspeed-Monster aus Maranello. Dem SF90 fehlt es zwar an Downforce, doch - auch deshalb - geradeaus fliegt der Ferrari raketengleich.

Einzig der Stop&Go-Charakter der 4,3 Kilometer kurzen Strecke lässt leichte Zweifel aufkommen. Nicht wegen der Bremszonen, sondern mehr der Traktion. Aus langsamen Ecken kam Ferrari zuletzt nur zäh (Monaco, Barcelona).

Ferrari: Keine magische Lösung, keine Updates, aber ...

Dennoch ist die Hoffnung, Mercedes wieder etwas mehr ärgern zu können plötzlich wieder größer. Auch, weil die 2019 zweite große Ferrari-Baustelle - die Reifen auf Temperatur zu bekommen - durch die für Kanada weichst möglichen Mischungen im Pirelli-Sortiment zumindest etwas geschlossen wird. Wobei der Mangel an echten Kurven auf der Ile Notre Dame und somit die somit nur geringe laterale Last das Aufwärmen erschwert.

"Ich denke nicht, dass es in Kanada eine magische Lösung gibt", sagt daher Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. "Aber die Charakteristik der Rennstrecke stellt eine ganz andere Herausforderung dar. Geschwindigkeit, Effizienz auf der Bremse und Traktion sind die Hauptfaktoren", hofft der Italiener auf sofortige Besserung nach dem Rückfall zur in Monaco sogar nur dritten Kraft hinter Red Bull.

"Es ist aber schwierig, einzuschätzen", ergänzt Binotto. Den Sprung gleich zur Nummer eins traut der Teamchef seinem Team allerdings nicht recht zu. "Ich denke, aber das wir in besserer Verfassung sein werden. Sie [Mercedes] haben aber gerade noch immer das beste und stärkste Auto", so Binotto. "Sie sind diejenigen, die vorne sein sollten. Aber die Lücke wird vielleicht kleiner sein. Und wenn es dann eine Gelegenheit gibt, werden wir bereit sein, sie zu ergreifen."

Formel 1 2019: Muss Ferrari personelle Konsequenzen ziehen?: (43:35 Min.)

Darauf baut auch Charles Leclerc. "Der Kanada GP sollte eine Gelegenheit sein, ein gutes Ergebnis nach Hause zu bringen", sagt der Monegasse. Zur Vorbereitung feilte der Youngster noch in der vergangenen Woche eigens im Simulator in Maranello.

Max Verstappen: Ferrari in Kanada wieder da

Den immerhin leichten Optimismus im Ferrari-Lager selbst spiegelt die Konkurrenz umso mehr. "Ich erwarte, dass Ferrari in Kanada konkurrenzfähiger sein wird", sagt Max Verstappen. "Für uns sollte es dort etwas schwieriger werden, aber natürlich werde ich wie immer versuche, das Maximum herauszuholen." Noch etwas stärker redet Mercedes seine Konkurrenz.

"In den zurückliegenden sechs Rennen waren wir in den Kurven sehr stark, haben aber Zeit auf den Geraden verloren. Daher stellt Kanada eine enorme Herausforderung für uns dar, denn die Streckencharakteristik könnte unseren Gegnern entgegenkommen. Es gibt viele lange Geraden und weniger Kurven, in denen wir Zeit gutmachen können", meint Teamchef Toto Wolff, ziemlich offensichtlich mehr über Ferrari als Red Bull.

Mercedes: Kommt der neue Motor? Und was kann der?

Doch eine Aussage Lewis Hamiltons bringt genau an dieser Stelle interessante Würze. Gibt es in Kanada überhaupt noch den Ferrari-Vorteil auf der Geraden? Weil Mercedes vielleicht als letzter Hersteller nun auch sein erstes Motor-Update der Saison 2019 bringt? Wird die Dominanz so nur noch gewaltiger?

Der Termin wäre passend. In Kanada ist das erste Saisondrittel vorbei, drei Power Units stehen insgesamt zur Verfügung. Noch dazu ist Montreal eben wegen seines Status' als Powerstrecke ein recht traditioneller Ort für derlei Updates. Erst im Vorjahr hatte Mercedes in Kanada neue Motoren bringen wollen, diese wurden nur wegen letzter Checks um ein Wochenende aufgeschoben.

Geht es nach Hamilton könnte das 2019 anders aussehen. "Ich weiß, dass die Jungs in der Fabrik an Entwicklungen arbeiten...", so der Brite schon unmittelbar nach seinem Sieg in Monaco. "Ich denke, dass wir vielleicht einen neuen Motor für das nächste Rennen bekommen, also kommt auch das Auto weiter nach vorne, wie auch wir [er mit seinen Ingenieuren]." Offiziell bestätigt hat Mercedes diesen Plan bis dato allerdings nicht.

Auch 2019 eine enge Nummer: Das Mittelfeld der Formel 1, Foto: LAT Images
Auch 2019 eine enge Nummer: Das Mittelfeld der Formel 1, Foto: LAT Images

Formel 1 Kanada: Wer gewinnt den Kampf im Mittelfeld?

Ähnlich brisant wie an der Spitze, eher noch weitaus enger, wird es auch in Montreal im Mittelfeld zugehen. Nach Punkten hat sich dort inzwischen, etwas überraschend für viele, McLaren als recht klare erste Kraft etabliert.

"Wir haben ein gutes Momentum und wollen es in Kanada ausbauen", sagt Carlos Sainz, mahnt aber: "Aber jetzt gleich überzuversichtlich zu werden, wäre ein großer Fehler." Auf der Ile Notre Dame dürfen sich der Spanier und Teamkollege Lando Norris aber jedenfall neue Teile freuen, die Teamchef Andreas Seidl versprochen hat.

Wo Gewinner, da auch Verlierer: Racing Point, Renault, Alfa Romeo und Haas - sie alle haben in der frühen Saisonphase aus unterschiedlichen Gründen noch nicht ihr volles Potential entfaltet, oder zumindest nicht konstant.

Bei Racing Point zwickt das Gesamtkonzept, Alfa erlebte ein überwunden geglaubtes Barcelona-Rätsel, um dann in Monaco schon im Qualifying alles zu verzocken während allen voran Renault und Haas, eigentlich klar am höchsten gehandelt, fast durchweg unterperformten. Bei Haas war es das Arbeitsfenster der Reifen, was das US-Team inzwischen aber im Griff haben will.

Bei Renault lange Zeit ein öffentlich bis zuletzt nicht bekanntes Motorproblem. Renault musste die Leistung eigenem Bekunden zufolge drastisch herunterdrehen, um keine Defekte zu riskieren. Durch Updates wollen auch die Franzosen nun nachjustiert haben. In Sachen Aerodynamik soll allerdings erst zum Heimrennen in Frankreich Größeres seinen Weg an den R.S.19 finden. Kleinere aerodynamische und mechanische Elemente bringt Renault allerdings auch nach Kanada. Der Fokus liegt jedoch darauf, aus dem bestehenden Paket endlich das Maximum zu extrahieren.

Formel 1 Kanada: Der Circuit Gilles Villeneuve

Wie in Monaco erwartet die Formel 1 auch in Kanada keine konventionelle Rennstrecke. Teile des 4,361 Kilometer kurzen Circuit Gilles Villeneuve sind abseits des F1-Wochenendes für den öffentlichen Straßenverkehr freigegeben. Daher ist die Strecke gerade zu Beginn des Wochenendes noch extrem grün.

Die berühmte Wall of Champions erwischt selbst Michael Schumacher, Foto: Sutton
Die berühmte Wall of Champions erwischt selbst Michael Schumacher, Foto: Sutton

Weil es keine weiträumigen Auslaufzonen gibt, ist die Unfallgefahr, gepaart mit diesem Mangel an Grip, schon im Training hoch. Im Rennen kommt es häufig zum Einsatz des Safety Cars (60%-Quote). Allen voran die berühmte Wall of Champions am Ende der Runde ist als SC-Auslöser durch Unfälle berüchtigt.

Insgesamt prägen den Kurs vier lange Geraden und drei harte Bremspunkte. Eine klare Stop&Go-Strecke also, die nur im ersten Sektor etwas Schwung erhält. Ansonsten geht einzig die Schikane zwischen der Gegengerade und Anfahrt auf die Haarnadel relativ flüssig. Letztere ist alles entscheidend. Ohne gute Traktion hier verliert man auf der längsten Geraden im Schlusssektor unendlich viel Zeit - trotz der hier inzwischen dritten DRS-Zone.

Formel 1 Kanada: Weiche Reifen für volle Attacke

Ebenfalls ähnlich Monaco gibt es auch auf dem halben Straßenkurs von Montreal die weichsten Reifen von Pirelli, also C3, C4 und C5. Die braucht es in Kanada auch, wirken wegen nur drei zügiger Kurven (s.o.) lediglich sehr geringe laterale Kräfte auf die Pneus.

Noch dazu ist auch die Belastung nicht sonderlich hoch, allenfalls noch vertikal durch hohe Ansprüche des Circuit Gilles Villeuve an Traktion und Bremsen. Zu den Herausforderungen für die Fahrer gehört es allen vorne, Temperatur in die Vorderreifen zu bekommen.

Etwas überraschend wählte dieses Mal Mercedes den aggressivsten Ansatz unter den Top-Teams - zuletzt hatte sich meist Ferrari auf die weichsten Mischungen gestürzt. Insgesamt ist die Wahl der Teams jedoch recht abwechslungsreich ausgefallen, Hard und Medium wurden weit weniger verschmäht als oft gesehen.

Formel 1 Kanada: Wetterbericht für Montreal

Besonders entscheidend für das oben so oft erwähnte Arbeitsfenster der Reifen ist jedoch nicht nur die Strecke, sondern auch das Wetter. Je kühler, desto größere Sorgen muss man sich insbesondere um Ferrari machen. Bitter für die Roten: Das Wetter in Montreal ist zwar häufig wechselhaft, doch sind kühle Temperaturen und Regen zu dieser Jahreszeit eher wahrscheinlich. Im Schnitt der vergangenen fünf Jahren waren es nicht mehr als 22 Grad Celsius Außen- und knapp unter 30 Streckentemperatur.

Kaum anders sieht der Wetterbericht für die 2019er Ausgabe aus. Das ganze Wochenende soll zwischen 22 und 23 Grad Maximaltemperatur ablaufen. Nur am sehr frühen Donnerstagmorgen besteht nach aktuellem Stand eine zumindest nennenswerte Regenwahrscheinlichkeit.

Unvergessen: Regendrama in Kanada 2011, Foto: Sutton
Unvergessen: Regendrama in Kanada 2011, Foto: Sutton

Formel 1 Kanada: TV-Programm wegen Zeitverschiebung angepasst

Der kurze Sprung über den Atlantik hat für die Zeitpläne der Formel 1 aus europäischer Sicht die üblichen Folgen. Durch die Zeitverschiebung läuft das F1-Programm hierzulande erst am Abend und fällt teils in die Primetime der TV-Sender. RTL reagiert darauf und zeigt das Qualifying nicht selbst, sondern bei n-tv. Auch beim ORF und SRF gibt es einige Anpassungen. Alle Startzeiten und das TV-Programm auf einen Blick gibt es hier: