Auch bei der vierten Station der Formel-1-Saison 2019 in Baku dreht sich bei Ferrari einmal mehr alles um das leidige Thema Stallorder. Nachdem es schon vor Saisonbeginn Fragen an Teamchef Mattia Binotto gab und der Sebastian Vettel bei strittigen Entscheidungen zur Nummer eins erklärte, ist das Thema der Dauerbrenner.

In Australien musste sich Charles Leclerc gegen Rennende an einen Nichtangriffspakt halten, in Bahrain ging der Monegasse früher als geplant an Teamkollege Vettel vorbei. In China musste Leclerc Vettel ziehen lassen und verlor deshalb später auch noch eine Position an Max Verstappen.

Schon direkt nach dem Rennen gab es reichlich Fragen zum Platztausch, zwei Wochen später ist Ferraris Teamstrategie, wie man eigentlich korrekt sagen müsste, noch immer das bestimmende Thema im Fahrerlager von Aserbaidschans Hauptstadt Baku.

Vettel bricht Schweigegelübde über Stallorder

Während Vettel in Shanghai noch weitestgehend schwieg, waren ihm mit anderthalb Wochen Abstand ein paar Aussagen zu entlocken. Vettel wehrt sich gegen den Eindruck, er hätte Aufgrund eines Nummer-Eins-Status' den Vorzug erhalten: "Es war klar, dass wir versucht haben, aus Teamsicht das Beste - oder das Maximum - herauszuholen. Wir haben versucht, Mercedes unter Druck zu setzen."

Weil Lewis Hamilton und Valtteri Bottas nach dem Start dem Ferrari-Duo etwas davonfahren konnten, wollte Ferrari die Reihenfolge seiner Piloten umdrehen, weil mit Vettel der offenbar schnellere hinten lag. "Natürlich ist es nach dem Rennen einfach zu sagen, dass es uns nicht gelungen ist, wenn Mercedes als Erster und Zweiter ins Ziel gefahren ist. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es Gründe dafür und in dem Moment hat das Team Vorrang", so Vettel.

Der entscheidende Punkt: Ferrari hat nicht versucht, Vettel vor Leclerc zu bekommen, sondern sah im Platztausch die einzige Chance, Mercedes unter Druck zu setzen. Teamstrategie statt Teamorder also. "Es ist normal, dass du alles tust, um gut zu performen. Alle anderen machen es genauso", gibt Vettel zu bedenken.

Vettel: Außen mehr Rummel als bei Ferrari

Tatsächlich handhaben es auch andere Teams wie Ferrari. Das Problem in Shanghai war allerdings, dass Vettel die Mercedes nicht angreifen konnte und Leclerc dabei noch eine Position verlor. "Man kann ein Rennen schlecht vorhersehen", verteidigt Vettel. "Es gibt außenherum mehr Rummel, innen gibt es deutlich weniger Probleme. Wichtig ist nur, dass das nicht nach innen dringt - soweit ich das sehe, ist das aber bisher nicht passiert."

Doch wie sieht es der Leidtragende selbst? In Shanghai zeigte sich Leclerc nach dem Debrief verständnisvoll, aber enttäuscht. Zumindest bei der Emotion bleibt sich Leclerc treu: "Es ist frustrierend, wenn du im Auto sitzt und dir gesagt wird, dass du einen anderen Fahrer vorbeilassen sollst. Das ist für jeden frustrierend, der einmal im Auto saß und diese Instruktion bekam."

Leclerc: Vettel ist Weltmeister, ich neu

Interessant: Basierte Leclercs Verständnis in China noch auf der Rennsituation, schlägt der Monegasse in Baku nun andere Töne an: "Ich verstehe, dass Sebastian in seinem fünften Jahr mit dem Team ist, er hat vier WM-Titel gewonnen. Ich bin erst in meiner zweiten Formel-1-Saison. Ich muss viele Dinge beweisen. Es liegt jetzt an mir, den bestmöglichen Job im Auto zu machen, um dem Team zu beweisen, was ich kann."

Sebastian Vettel und Charles Leclerc treffen sich auffallend oft auf der Strecke, Foto: LAT Images
Sebastian Vettel und Charles Leclerc treffen sich auffallend oft auf der Strecke, Foto: LAT Images

Zwischen den Rennen gab es noch einmal ein Gespräch zwischen Leclerc und Binotto. "Ich habe ihn gefragt, seine Antwort ist noch immer die gleiche. Er trifft die Entscheidungen", stellt Leclerc klar. "Am Ende haben sie an der Pitwall viel mehr Daten als ich im Auto."

Der Formel-2-Champion der Saison 2017 weiß aber einen Ausweg: "Ich muss nur mit dem weitermachen, was ich bislang gemacht habe: Mich selbst verbessern und dann ändert sich das hoffentlich bald."

Leclerc: Habe Potential, Vettel zu schlagen

Kann und darf er Vettel über die Saison hinweg schlagen? Leclerc gibt sich zögerlich: "Das weiß ich nicht, es ist noch sehr früh in der Saison. Das ist eine schwierige Frage..." Auf Anraten der Ferrari-Presseabteilung, einfach 'Ja' zu sagen, wird Leclerc etwas angriffslustiger: "Ich glaube schon, dass das Potential da ist. Aber ich muss hart arbeiten, um das Potential auszuschöpfen."

Zuletzt musste sich Vettel mit dem Thema Stallorder bei Red Bull auseinandersetzen. Bei der berühmtberüchtigten Multi-21-Affäre widersetzte er sich einem Nichtangriffspakt. Seither spielte Stallorder kaum mehr eine Rolle für den Deutschen. Neu-Teamkollege Leclerc macht Vettel allerdings Dampf - und sorgt für ordentlich Druck auf dem Ferrari-Kessel. "Wir haben uns mehr damit beschäftigt als in den vergangenen Jahren", bestätigt Vettel.

Aber wird Leclerc nach seiner Shanghai-Erfahrung noch einmal Platz für Vettel machen? "Es wird in der Formel 1 immer Teamorder geben", glaubt Leclerc. "Es hängt von der Situation ab. In manchen Situationen ja."

Der nächste teaminterne Kampf ist schon programmiert: Leclerc gilt als erwiesener Baku-Spezialist. Wenige Tage nach dem Tod seines Vaters zeigte er in der Formel 2 eine beeindruckende Performance, gewann das Hauptrennen und fuhr im Sprintrennen auf Platz zwei. Im vergangenen Jahr holte er im Sauber in Baku seine ersten Punkte in der Formel 1. "Ich fühle mich generell auf Straßenkursen besonders wohl", erklärt Leclerc. "Baku ist da keine Ausnahme, das ist die Herausforderung, die ich mag."

Braucht Ferrari einen Nummer-1-Fahrer? (09:46 Min.)