Ferrari-Teamchef entlassen: Wer ist Vettels neuer Chef?: (11:43 Min.)

Ein wenig erinnert Ferrari in den letzten Jahren an den einstigen Bundesliga-Dino HSV. Von Anfang an dabei, aber die Erfolge liegen eben schon etwas zurück. Der heiße Trainerstuhl ist bei Ferrari ein zumindest lauwarmer Platz am Kommandostand. Stefano Domenicali, Marco Mattiacci, Maurizio Arrivabene und nun Mattia Binotto: Seit 2014 gab es vier unterschiedliche Teamchefs.

Das letzte Opfer ist Maurizio Arrivabene. Doch die Entlassung des Ex-Marlboro-Mannes ist anders. Erfolglosigkeit kann man ihm nur bedingt vorwerfen. Maranello will Weltmeisterschaften gewinnen und keine Vizetitel sammeln, aber die Richtung stimmte.

Während Ferrari unter Arrivabene immerhin Siegerpokale sammelte, nur der ganz große WM-Pokal in Mercedes-Händen blieb, sammelte Ferrari in Domenicalis letzten Tagen herbe Pleiten. Mattiacci war nur der Lückenfüller, der das Ruder in der Kürze der Zeit gar nicht rumreißen konnte.

Arrivabene verweigerte Interviews

Arrivabene ist nicht über die Ergebnisse gestolpert. Arrivabene ist über seine Art und über Binotto gestolpert. Zu Beginn seiner Amtszeit begeisterte er. Aufgrund seiner zahlreichen Geschichten, die er gerne erzählte - mal mehr, mal weniger glaubwürdig - bekam der Ferrari-Boss den Beinamen Anekdoten-Arrivabene.

Von Anekdoten-Arrivabene war 2018 nicht mehr viel übrig. Zu schreibenden Journalisten sprach er nur noch, wenn er musste: bei der FIA-Pressekonferenz. Sonst verhängte er sich selbst ein Interviewverbot, lediglich das TV durfte ihm noch Fragen stellen.

Wenn Arrivabene dann sprach, sagt er das Falsche. Von seiner anfänglichen Lockerheit war nichts mehr übrig, der Italiener wirkte gegenüber Journalisten oft unfreundlich und verschlossen. Erst viel zu spät nahm er mit Sebastian Vettel seinen Star-Piloten in Schutz. Nach dem Hockenheim-Desaster hätte sich Arrivabene sofort vor den Deutschen stellen müssen. Stattdessen gab es unterschwellige Kritik.

Es ist eines von Mercedes' Erfolgsgeheimnissen: Toto Wolff kann Lewis Hamilton bei Laune halten, wie sonst niemand. Er weiß, wie sensibel der Mensch und Rennfahrer Hamilton ist. Oftmals ist Hamilton gebrechlicher als die Technik. Doch Wolff macht Hamilton stärker als viele Lagen Karbon samt Aluminiumkern. Ferrari verlor den WM-Titel 2018 auch auf diese Weise, nicht nur im Windkanal und am Zeichenbrett.

Arrivabene nur Marchionnes Marionette

Die Vorkommnisse von Hockenheim kamen zum ungünstigsten Zeitpunkt, kurz nachdem Präsident Sergio Marchionne seine Ämter gesundheitsbedingt niederlegen musste und wenige Tage, bevor der Italo-Kanadier verstarb.

Marchionne war es, der Arrivabene zum Teamchef machte. Gleichzeitig aber war Arrivabene nie mehr als Marchionnes Marionette. Den Wechsel von Charles Leclerc zu Ferrari hatte der knallharte Geschäftsmann noch vor seinem Tod eingefädelt, der Teamchef konnte die Entlassung von Vettel-Freund Kimi Räikkönen nicht verhindern. Auch so stärkt man seinen Nummer-eins-Fahrer nicht.

Arrivabene stellte sich nicht hinter Vettel, Foto: Sutton
Arrivabene stellte sich nicht hinter Vettel, Foto: Sutton

Als ehemaliger Marlboro-Mann war Arrivabene zwar schon lange mit dem Ferrari-Team verbunden, Zweifel an seiner motorsportlichen Kompetenz blieben jedoch.

Diese Zweifel waren es auch, weshalb es zwischen dem Teamchef und einem seiner wichtigsten Angestellten Spannungen gab. Technik-Chef Mattia Binotto hielt nicht besonders viel von seinem Chef. Die Streitigkeiten gelangten mehrmals an die Öffentlichkeit, ein regelrechter Machtkampf entbrannte.

Lauda stolpert über Binotto

Den hat nun Binotto für sich entschieden. Doch wer ist dieser Binotto? Der 49-Jährige wurde im schweizerischen Lausanne geboren, weshalb es schon zu einem kleinen Eklat kam. Niki Lauda machte daran nämlich den Ferrari-Aufschwung aus dem Jahr 2017 fest. Ein Schweizer müsse bei den Italienern für Ordnung schaffen, so Lauda. Binotto hat allerdings die italienische Staatsbürgerschaft.

Mattia Binotto stand 2004 in den USA gemeinsam mit Michael Schumacher auf dem Podium, Foto: Sutton
Mattia Binotto stand 2004 in den USA gemeinsam mit Michael Schumacher auf dem Podium, Foto: Sutton

Nach seinem Maschinenbaustudium in Lausanne machte Binotto in Modena den Master in Fahrzeugtechnik. Anschließend heuerte er direkt bei Ferrari als Motoreningenieur an. Erst im Testteam, bald darauf im Einsatzteam. Binotto erlebte in Maranello die erfolgreiche Schumacher-Ära, stand schon gemeinsam mit dem Rekordweltmeister auf dem Podium.

Bevor Binotto als Nachfolger von James Allison Mitte 2016 zum Technischen Direktor aufstieg, leitete er Ferraris Motorenabteilung. Als Technischer Direktor verantwortete er die beiden erfolgreichen roten Göttinen des Jahrgangs 2017 und 2018.

Ferrari 2019 ohne Technischen Direktor

Mit Binotto hat sich an der Ferrari-Spitze der kompetentere Mann durchgesetzt. Fragezeichen bleiben trotzdem: Wie bewegt sich der Techniker auf dem politischen Parkett der Formel 1? Wie leitet er sein Team? Wie groß ist die Lücke, die er im Technik-Team hinterlässt?

Laurent Mekies, der kürzlich von der FIA zu Ferrari übergelaufene Ingenieur ist für viele der legitime Nachfolger Binottos. Laut Pressemitteilung wird der Posten des Technischen Leiters aber nicht neu besetzt. Stattdessen sollen alle Technik-Abteilungen weiterhin direkt an Binotto berichten. Kann er diese wichtige Funktion als Teamchef noch allumfassend ausfüllen?

All das wird sich erst noch zeigen müssen. Für Ferrari ist es zunächst aber wichtig, dass der Machtkampf beendet ist und es keine Reibungsverluste im Top-Management mehr gibt.