Zurück zu den Wurzeln oder zurück in die Zukunft? Für Toro Rosso bricht in der Formel 1 2019 ein neues Zeitalter an. Es ist bereits das dritte Zeitalter in der zwölfjährigen Teamgeschichte. Das erste Zeitalter begann mit der Gründung des Teams 2006, als Red Bull das kleine Minardi Team übernahm. Doch genau gesagt begann das erste Zeitalter schon ein Jahr früher: 2005 kaufte Red Bull schon das Formel-1-Team von Jaguar. Toro Rosso war deshalb von Stunde eins Red Bulls Junior Team.
Aber nicht nur bei den Fahrern, auch bei der Technik. Die Idee hinter Toro Rosso war es, ein Team aufzubauen, das von der aufwändigen Entwicklung von Red Bull Racing profitiert. Das System funktionierte, aus dem einstigen Hinterbänkler Minardi wurde ein respektables Mittelfeldteam. Die Resultate wurden stetig besser, 2008 wurde der Rennstall sogar Sechster in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft - vor Red Bull, Williams und Toyota. Sebastian Vettel holte gar den ersten und bis dato einzigen Sieg für die kleine Scuderia. Doch dann kam 2009 die technische Regelrevolution und 2010 die sportliche.
2010: Toro Rosso schrammt an Untergang vorbei
Acht Jahre später stehen wir in Faenza in einer hypermodernen Formel-1-Fabrik. Dort, wo einst nur die kleinen Hallen von Minardi standen, wird heute Hightech entwickelt und gebaut. Ohne die Regelrevolution würde es dieses Faenza heute so nicht geben. 2010 war das Jahr des großen Umbruchs für das einst so kleine italienische Team. Die Zusammenarbeit mit Red Bull Technology zerbrach, das Band zwischen Red Bull und Toro Rosso wurde vom Reglement durchschlagen. Anhang 6 des sportlichen Reglements hätte fast das Aus für das Junior Team von Red Bull bedeutet.
In besagtem Anhang zum Reglement werden die sogenannten Listed Parts genauer beschrieben. Listed Parts sind jene Teile eines Autos, die ein Formel-1-Team selbst entwickeln und herstellen muss, um überhaupt als Konstrukteur anerkannt zu werden. Die Idee des Kundenteams wurde damit zerschlagen. Durch diese Regeländerung war das System Toro Rosso nicht mehr tragfähig. Um weiterhin einigermaßen konkurrenzfähig in der Formel 1 mitfahren zu können, war von nun an deutlich mehr Geld nötig. Deshalb stand auch ein Verkauf im Raum - zu dem es schließlich nicht kam. Stattdessen investierte Red Bull weiter in Toro Rosso und vor allem in den Standort Faenza.
Um Boliden vollständig selbst entwickeln und herstellen zu können, wurde eine neue Fabrik gebaut. Dazu übernahm Toro Rosso den alten Windkanal des großen Bruders im britischen Bicester. Das Projekt begann von vorne. Von Minardi ist nicht mehr viel übriggeblieben. Im Lieblingsrestaurant von Teamchef Franz Tost hängt noch ein Bolide aus alten Minardi-Tagen, doch in der Fabrik erinnert wenig an die einstige 'Werkstatt', wie man die Einsatzzentrale in Anbetracht der heutigen Fabrik bezeichnen muss.
Toro Rosso mit neuer Fabrik: Am Puls der Formel-1-Technik
Neben riesigen hypermodernen Fünfachs-CNC-Fräsmaschinen stehen mächtige 3D-Drucker. Ein Stockwerk höher werden die Designs der Metallteile abgesegnet - und schon kann die Produktion losgehen. Je nach Komponente legen dann die Fräsen oder die 3D-Drucker los. Gedruckte Teile sind binnen Stunden fertig. Allerdings sind sie noch nicht so standhaft wie gefräste Elemente. Für Teile, die im Auto zum Einsatz kommen, muss meist die Fräse ran. Teile für das Windkanalmodell oder weniger beanspruchte Elemente kommen aus dem Drucker. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die 3D-Drucker überhandnehmen. Windform, also Metall in Pulverform, wird derzeit schon für komplexe Leitungen unter der Motorabdeckung verwendet. Wenn die Materialwissenschaftler weitere Fortschritte erzielen, ist auch der Einsatz in tragenden Teilen vorstellbar.
Doch Metall ist in der Formel 1 ohnehin verpönt. Das Herzstück der Fabrik ist die Karbonabteilung. In der 'camera bianca', dem Clean Room, arbeiten in der Hochzeit bis zu 50 Angestellte. Vom kleinen Frontflügel-Flap bis zum großen Monocoque wird jede Form aus Karbon im Haus laminiert. Weil nicht nur Luftblasen beim Laminieren strengstens verboten sind, sondern auch Staub und Dreck, gibt es ein Schleusensystem. Ist die Tür eines Laminierraums geöffnet, lassen sich die anderen nicht öffnen, ohne einen Alarm auszulösen.
Vor jeder Sicherungstür ist ein Klebeband angebracht, der die letzten Fussel von den Schuhsohlen löst. Wer es nicht besser weiß, könnte den Clean Room auch leicht für einen OP-Saal halten. Die Kleidung würde die Arbeiter jedenfalls nicht verraten, höchstens die Patienten. Das sündhaft teure Karbon kommt aus Russland, den USA und Kanada. Obwohl es bei -20° bis -18° Celsius gelagert wird, ist das schwarze Gold nur begrenzt haltbar. Rechtzeitig verarbeitet, kommen die laminierten Formen vakuumverpackt in die Autoklaven. Die berühmten Karbonöfen backen die verharzten Karbonlagen unter Druck. Vier dieser Öfen stehen bei Toro Rosso. Im größten werden Chassis und Unterböden gebacken, in den beiden mittleren Flügel und Motorabdeckungen, im kleinen einzelne Flaps.
Neben Produktion beherbergt die Fabrik in Faenza auch die Entwicklung - abgesehen vom Windkanal. Im ersten Stock sitzt Ingenieur an Ingenieur. Von hier dauert es rund vier bis fünf Monate vom ersten Design, bis nebenan ein neues Auto komplett zusammengebaut werden kann. An 130 Computern tüfteln die Ingenieure, um noch eine Tausendstel herauszuquetschen. All das passiert in einem großen Raum, um die Kommunikation zu verbessern. Schließlich interagiert auch der Front- mit dem Heckflügel.
Toro Rosso startet in die Honda-Ära: Spezielle Trainings
Die Kommunikation ist bei Toro Rosso speziell seit der Formel-1-Saison 2018 ein wichtiges Thema. Wenn man so will, begann die dritte Ära des Teams mit dem Wechsel zu Honda. Für ein Jahr war Red Bulls Junior-Team so etwas wie ein Werksteam. Nach der Trennung von McLaren suchte Honda nach einem geeigneten Partner. Den fand man in Toro Rosso vorerst einmal - doch der Plan war von Anfang an einfach zu durchschauen. Toro Rosso sollte mit Honda Erfahrung sammeln, Red Bull sollte - wenn das Experiment glückte - nachziehen.
Toro Rosso lernte aus den Fehlern, die McLaren machte. Im Werk wurden Seminare über die japanische Kultur abgehalten, damit das Verständnis für den Partner vertieft wird. Uhrenpartner Casio Edifice brachte sogar eine Toro-Rosso-Sonderedition mit zwei Zeitzonen auf den Markt. Das ist nicht nur praktisch für die Rennwochenenden, sondern auch für den Lernprozess in der Zusammenarbeit mit einem japanischen Unternehmen.
Doch schon 2019 steht ein großer Einschnitt bevor. Dann beginnt das Projekt Toro Rosso 3.0 endgültig. Der Wechsel zu Honda war nicht nur für Red Bull der Vorbote, sondern auch für Toro Rosso selbst. Weil Bruder- und Schwesterteam wieder den gleichen Antrieb haben, sollen Synergien genutzt werden. Teamchef Franz Tost empfängt uns in seinem Büro: Schlicht gehalten, ein großer Schreibtisch mit viel Arbeit darauf. Nur das riesige Gemälde mit dem legendären alten Toro-Rosso-Design des österreichischen Künstlers Jos Pirkner sticht hervor.
Tost, dunkle Hose, hellblaues Hemd und eine edle Toro-Rosso-Uhr von Teampartner Casio Edifice am Handgelenk, ist gut gelaunt und auskunftsfreudig. "Wir werden im nächsten Jahr das komplette Heck von Red Bull übernehmen", erklärt er die neuen Synergien. "Wir müssen uns nicht mehr darauf konzentrieren, unser eigenes Getriebe zu designen oder die hintere Aufhängung zu entwickeln. Das brauchen wir nicht mehr. Wofür sollen wir das selbst machen?"
Toro Rosso wird mehr Red Bull: Lockereres F1-Reglement für 2019
Nach dem Einschnitt 2010 wurde das Reglement in der Formel 1 tatsächlich wieder gelockert. Anhang sechs des sportlichen Reglements ist inzwischen deutlich kürzer, die Listed Parts sind von einst 20 Zeilen auf nur mehr vier zusammengeschrumpft. Haas Ferrari ist das beste Beispiel dafür, wie man das Reglement auf die Spitze treiben kann. Das Monocoque kommt von Dallara, Vorder- und Hinterachse von Ferrari, Motor und Getriebe ebenfalls aus Maranello. Der US-amerikanische Rennstall stieg 2016 in die Formel 1 ein und fuhr auf Anhieb in die Punkte. Inzwischen ziehen auch schon andere Teams nach, Sauber machte als Ferrari-Kunde 2018 einen riesigen Performance-Sprung.
Ist das Dasein als Kundenteam die einzige Möglichkeit, als verhältnismäßig kleiner Rennstall heute in der Formel 1 erfolgreich zu sein? "Dadurch, dass alle anderen das machen - ja", meint Tost. "Der Haas ist mehr oder weniger ein Ferrari, bei dem die Zeichnungen ein paar Monate früher freigegeben worden sind und auch Sauber arbeitet sehr eng mit Ferrari zusammen. Man sieht ja, welche Entwicklungen das Team in der Zwischenzeit durchgemacht hat. Wozu sollen wir in Eigenregie Teile entwickeln, die man von Red Bull Technology kaufen kann?"
"Das ist nicht notwendig", fährt Tost fort. "Erstens werden wir diesen Level nie erreichen, zweitens ist es nicht nötig, das Geld auszugeben." Die Listed Parts kennt der Österreicher längst auswendig. "Wir werden so viele Teile, wie das Reglement zulässt, von Red Bull Technology beziehen", stellt er klar. Auch die Vorderachse wird bald vom großen Bruder kommen. 2019 aber noch nicht, weil das Reglement Änderungen am Frontflügel und an der Vorderachse vorschreibt. Toro Rosso will hier das Risiko nicht eingehen, dass Red Bull zu spät mit dem Design fertig wird und setzt deshalb vorerst noch auf eine eigene Lösung.
Die gesamte Hinterradaufhängung inklusive Feder-Dämpfer-Einheit im Getriebegehäuse, Querlenker, Radträger und Co. kommen aber bereits in der nächsten Saison von Red Bull. Die Getriebe-Innereien bezieht Toro Rosso schon jetzt, in Zukunft kommt auch noch das Gehäuse von extern. Der Teamchef freut sich: "Ich war wirklich mehr als glücklich, als sich Red Bull dazu entschieden hat, mit Honda zusammenzuarbeiten und umgekehrt. Toro Rosso wird davon nur profitieren, weil das ganze Paket einen wesentlich höheren Performance-Standard erreichen wird."
Toro Rosso sicher: Mehr Zusammenarbeit der richtige Weg
Hätte das Formel-1-Reglement Toro Rosso 2010 nicht ausgebremst, würde es Faenza in dieser Form heute nicht geben. "Ich habe dazumal schon gesagt, dass die Zusammenarbeit zwischen Red Bull und Toro Rosso der Weg der Zukunft ist", fühlt sich Tost bestätigt. "Ich finde es einfach blödsinnig, dass jedes einzelne Team einen eigenen Windkanal hat und eigene CFD-Simulationen macht. Wenn du die Autos in der Startaufstellung ansiehst, erkennst du nicht die großen Unterschiede, die man sich erwarten würde. Meiner Meinung nach sollte es fünf oder sechs Werksteams und fünf oder sechs Kundenteams geben. Dann haben wir interessantere Rennen, alles ist enger zusammen und wir geben nicht so viel Geld aus."
Doch das sieht längst nicht jeder so: Toro Rossos Technischer Direktor, James Key, gefällt die Idee offenbar nicht. Der Brite gilt als Genie, wurde schon oftmals mit einem Wechsel zu Red Bull in Verbindung gebracht. Nun verlässt er Toro Rosso in Richtung McLaren. Wann das genau passieren wird, steht noch in den Sternen, denn Key hatte erst im vergangenen Jahr seinen Vertrag mit Red Bulls Junior Team verlängert. McLaren und Toro Rosso streiten sich nun um die Freigabe. Dr. Helmut Marko poltert: "Das ist ein langfristiger Vertrag und wir gedenken nicht, ihn irgendwie frühzeitig aus dem Vertrag zu entlassen." An einer Lösung wird verhandeln, ein Ende soll sich hier zumindest abzeichnen.
Key selbst hat sich noch nicht zu seinem bevorstehenden Wechsel geäußert, aber nicht wenige glauben, dass der hochgelobte Ingenieur wenig Lust darauf hat, eine B-Spezifikation des Red Bull zu bauen. Dabei bleibt die Aerodynamik aber Hoheitsgebiet von Toro Rosso. Schließlich gehören alle aerodynamischen Oberflächen zu den Listed Parts, die ein jedes Team selbst machen muss. Key ist womöglich nicht der einzige, der sich an der Idee der Kundenteams stört. Auch andere Rennställe sehen die DNA der Formel 1 in Gefahr. McLaren sieht sich als letzten Mohikaner als unabhängiges Team mit WM-Anspruch - wobei Anspruch und Realität Welten auseinanderliegen -, auch Force India will die eigene Identität nicht aufgeben.
Toro Rosso wird diesen Weg also erneut beschreiten. Nachdem man jahrelang die Infrastruktur aufgebaut hat, fragt man sich jetzt, wofür all die 5-Achs-Fräsen, 3D-Drucker und Co. nun gut sind. "Das bleibt nach wie vor", verspricht Tost. "Dadurch, dass man die Listed Parts selbst herstellen muss, bleibt die Produktion, vor allem diese Teile betreffend, ganz normal bestehen. Das einzige, was wir nicht mehr in diesem Ausmaß brauchen, sind Aufhängungen."
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